London. Monatelang hat sich der Deutschland-Achter in Trainingslagern auf die Olympischen Spiele vorbereitet. 35 Rennen hatten sie hintereinander gewonnen, drei Welt-Meister-Titel in Serie geholt. Nach dem Olympiasieg gab es nur ein Kommando von Steuermann Martin Sauer: Feiern bis zum Abwinken.
Acht Hünen, alle um die zwei Meter lang, hängen in ihrem schmalen Boot wie geschlagene Boxer in den Ringseilen. Während sie husten, während sie schnaufen, springt der nur 1,69 Meter große und nur 55 Kilo leichte Martin Sauer auf und wirft seine Kappe vor grenzenloser Erleichterung ins Wasser. Sauer, der im Vergleich zu seiner Besatzung wie eine Maus unter Elefanten wirkt, hat gerade den Deutschland-Achter zum Olympiasieg gesteuert. Einige tiefe Atemzüge später rafft sich Lukas Wilke auf, schraubt die mit Milchsäure bis zum Anschlag gefüllten Muskeln in die Höhe und schießt einen virtuellen Pfeil in die voll besetzte Tribüne. So wie es Usain Bolt nach seinem Gold über 100 Meter vor vier Jahren in Peking getan hat. Wilke steht allerdings in einem wackligen Boot, Bolt und wir alle wären bei dieser Siegesgeste in den Eton Dorney Lake gestürzt.
Es war nur eine kleine Zugabe von Wilke nach einer Vorstellung, die im Welt-Rudern einzigartig ist. Seit dem Debakel von Peking, als das Flaggschiff des Deutschen Ruder-Verbandes noch nicht einmal ins Finale kam, ist der Achter unbesiegt. 35 Rennen hatten sie hintereinander gewonnen, drei Welt-Meister-Titel in Serie geholt. Aber all diese Triumphe wären Makulatur, wären eine traurige Statistik gewesen, wenn sie das wichtigste Rennen um das Gold in London verloren hätten.
Müller freute sich „über das geilste Rennen, das ich je erlebt habe“
Doch die Ruderer vom Stützpunkt Dortmund bewiesen ein weiteres Mal, dass sie alles aus ihren Körpern herausholen können, dass sie technisch perfekt sind. Aber als ihre wichtigste Stärke erwies sich ihre unerschütterliche Ruhe, damit sie diesen immensen Erwartungsdruck, den von außen und den eigenen, schultern konnten. Kein Wunder, dass die acht starken Männer und ihr kleiner Steuermann nach Vollendung der Gold-Mission ihren Gefühlen freien Lauf ließen. „Ich habe keine Zwiebeln geschnitten. Das sind Freudentränen“, scherzte Schlagmann Wilke. Lukas Müller, mit 2,08 Metern der längste Mann im Boot, freute sich „über das geilste Rennen, das ich je erlebt habe“. Der Düsseldorfer gab allerdings zu, dass er zwischenzeitlich Sorge um das Gold hatte: „Die Briten haben sich reingehängt, das war der Hammer. Scheiße, habe ich gedacht, die packen uns heute.“
Aber als die Briten zur Hälfte der Strecke bei 1000 Metern nur um einen Wimpernschlag hinter den Deutschen lag, machte Sauer das, wozu ein Steuermann im Boot sitzt. „Martin hat genau die richtigen Ansagen gemacht und das Tempo erhöht“, sagte Bundestrainer Ralf Holtmeyer, der schon beim letzten Olympiasieg eines Deutschlandachters 1988 in Seoul das Kommando hatte. 400 Meter vor dem Ziel war sich der Gold-Trainer sicher, dass seine Jungs auch diesmal wieder triumphieren würden. „Ich bin ja mit dem Fahrrad neben der Strecke gefahren“, sagte der 56-Jährige, „ich konnte in die Augen der Briten sehen. Da wusste ich, die packen wir.“ Am Ende mussten die Briten für ihren Mut, dem deutschen Boot einen so spannenden Kampf zu liefern, bezahlen und die Kanadier auf den Silberplatz vorbeiziehen lassen.
Monatelang hat sich der Achter, der eigentlich ein Neuner ist, in Trainingslagern zusammen auf das große Ding vorbereitet, die Jungs haben sich gequält und asketisch gelebt. „Wir haben die vergangenen vier Jahre alles geopfert und alles gegeben, um heute hier zu stehen“, sagte Kristof Wilke, „der Wille hat es am Ende herausgerissen.“ Nach dem Olympiasieg gab es nur ein Kommando von Steuermann Sauer: Feiern bis zum Abwinken.