London. Der deutsche Vielseitigkeitsreiter Michael Jung hat bei den Olympischen Spielen in London auf seinem Pferd Sam Gold in der Einzelentscheidung gewonnen. Für Jung war es an seinem 30. Geburtstag die zweite Medaille binnen weniger Stunden. Bronze ging an seine Teamkollegen Sandra Auffarth auf Opgun Louvo.
Im Pub, nicht einmal 250 Meter vom Reitstadion entfernt, war die Hölle los. Ale und Lager, die britischen Biersorten, flossen in Strömen, die deutschen Reiter hatten wieder einmal ihre Stammkneipe „Greenwich Tavern“ am Ausgang des Königlichen Parks geentert. An den Vortagen hatten sie dort noch grundlos ihr Feierabendbier zu sich genommen. Der Anlass für ein richtig zünftiges Reiterfest war glänzend, die Medaillen baumelten an den Hälsen. Die deutschen Vielseitigkeitsreiter hatten zuvor Doppel-Gold mit der Mannschaft und durch Welt- und Europameister Michael Jung sowie eine Bronzemedaille durch Sandra Auffarth geholt.
Ein kleiner Mann mit freundlichem Gesicht, schütterem Haar und heller Stimmer stand im Mittelpunkt: Michael Jung machte an seinem 30. Geburtstag als erster Reiter der Welt einen Gold-Hattrick aus WM- und EM-Titel sowie Olympiasieg perfekt. „Das ist wunderschön und fantastisch“, freute sich der gebürtige Hesse, der im schwäbischen Horb lebt. Vater Joachim und Mutter Brigitte waren die ersten Gratulanten, nachdem ihr Sohn entscheidend dazu beigetragen hatte, dass die „Buschreiter“ die Tage eröffneten, in denen deutsche Reiter Medaillen zur Regel machen wollen. Die Dressur- und Springreiter wollen ab nächsten Montag bei den Entscheidungen ihrer Spur folgen.
Starke Briten auf Platz zwei verwiesen
Für die Vielseitigkeitsspezialisten, die früher ein weniger erfolgreicher Bereich in der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) waren, war es ein ganz großer Tag. Inzwischen sind auch sie eine Medaillenbank im deutschen Olympia-Team. 2004 bei Olympia in Athen fühlte sich die Mannschaft schon einmal 24 Stunden als Goldgewinner, doch dann verlor sie nach einem Juryentscheid den Sieg, wurde auf Platz vier zurückgesetzt, weil Bettina Hoy, die auch ihren Einzelsieg verlor, zu früh die Startlinie touchiert hatte. 2008 siegte die Mannschaft bei Olympia in Hongkong, der Schleswig-Holsteiner Hinrich Romeike holte auch Einzelgold. Nun kam Jung und ergriff mit seinem elfjährigen Wallach Sam als neuer König im Reit-Triathlon das Zepter. Auch Herzogin Kate, umrahmt von ihrem Prinzen-Gatten William und ihrem Schwager Harry, applaudierten.
„Dies ist ein ganz großer Tag für uns Vielseitigkeitsreiter. Im Mutterland unserer Sportart zu gewinnen und die starken Briten zu besiegen, ist eine wunderbare Leistung“, sagte Bundestrainer Hans Melzer. In der Teamwertung wurde mit 133,70 Strafpunkten Großbritannien (138,20) knapp auf Platz zwei verwiesen, Dritter wurde Neuseeland (144,40) vor Schweden (148,40). Im Einzel war Jung zwar als Favorit in den Wettbewerb gegangen, aber nach teilweise seltsamen Wertungen hatte er die Dressur nur als Elfter beendet, steigerte sich aber im Gelände auf Rang vier. Aber am Schlusstag war es dem Pferdewirtschaftsmeister vorbehalten, mit seinem Nullfehlerritt das Team-Gold perfekt zu machen.
Jung fehlerlos im abschließenden Einzelspringen
Damit rückte Jung auf Platz zwei vor dem abschließenden Einzelspringen vor. Dort blieb er erneut fehlerlos und verdrängte die führende Sandra Auffarth aus dem niedersächsischen Ganderkesee, die mit Opgun Louvo die Springprüfungen makellos absolvierte, von Platz eins. Die Schwedin Sara Algotsson-Ostholt auf Wega hatte es in der Hand, Deutschland das Doppel-Gold zu verderben. Jung und mit ihm die Team-Olympiasieger Ingrid Klimke (Münster), Dirk Schrade (Spockhövel), Peter Thomsen (Lindewitt) und Sandra Auffarth warteten gebannt auf den Ritt der Konkurrentin. Am allerletzten Hindernis riss die Stute der Schwedin eine Stange, vier Fehlerpunkte, Algotsson-Ostholt fiel auf Rang zwei zurück. Sie konnte es nicht fassen, die Deutschen jubelten. Um 15.21 Uhr Ortszeit in Greenwich, wo die Mean Time der ganzen Welt den Uhren-Maßstab setzt und der Längengrad null verläuft, war eine prächtige Geschichte deutscher Vielreiterei vollendet.
Vize-Europameisterin Sandra Auffarth und Dirk Schrade auf King Artus boten, als Olympia-Debütanten wie Jung, sehr gute Leistungen und glichen im großen Garten von Königin Elizabeth II. den Schwächeanfall von Thomsens Pferd Barny in der Dressur aus. Sie sorgten mit null Fehlern im Springreiten dafür, dass das Team-Gold früher als erwartet unter Dach und Fach gebracht wurde. Damit fiel der Druck von Ingrid Klimke und ihrem Butts Abraxxus ab. Als Führende fiel die 44-Jährige mit ihrem Pferd, das nicht als guter Springer bekannt ist, auf Rang sieben zurück. Wie 2008 konnte sich die Tochter des sechsmaligen Dressur-Olympiasiegers Reiner Klimke aber über den Teamsieg freuen. Sie verzichtete auf den Start im Einzelspringen, aber Schrade wurde es nicht erlaubt, für sie nachzurücken. Die Gläser beim Feiern in der Taverne hoben schließlich wieder alle gemeinsam. (dapd)