London. Die Weltstadt ist so groß, dass sie sogar die Spiele verschlucken könnte. Noch trifft man keine Olympia-Stars in London. Aber langsam kommt die richtige Stimmung auf. Trotzdem wird über die Sicherheit und über das Wort “Verkehrschaos“ diskutiert.
Es gibt einen Streit auf der Regent Street. Ausgerechnet vor Hamleys Spielzeuggeschäft. Hamley wirbt damit, das beste Spielzeug der Welt zu verkaufen. Doch nun sitzen auf dem Podest vor dem Eingang drei Touristinnen aus Italien mit Sonnenbrillen groß wie Panoramafenster. Dabei ist es das Podest, auf dem ein junger Mann im Piraten-Kostüm die Kunden für Hamley anlocken soll. Der Pirat möchte aufs Podest, die Italienerinnen bleiben sitzen, es wird laut.
An dieser Stelle von London ist Olympia noch sehr weit weg. Auf der Einkaufs- und Modemeile rund um die Regent Street gibt es jede Menge Frauen, die sich beim Hinfallen die Frisur brechen würden. London ist ein Gigant, der alles auf einmal schluckt. Touristen-Alltag und Olympische Spiele.
Noch kein Eintritt in den Olympia-Park
Zehn Kilometer entfernt im Stadtteil Stratfort tritt Sebastian Coe vor eine Kamera. Das macht er seit einem Jahr eigentlich jede Stunde. Trotz des starken Gebrauchs ist sein Lächeln nie zerknittert, sondern immer frisch wie ein gerade gebügeltes Oberhemd. Der Organisations-Chef der Spiele begrüßt dieses Mal Jacques Rogge, den belgischen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees in London. Am Freitag beginnen die Spiele mit der Eröffnungsfeier, und die Prominenz trifft langsam ein. Nach dem Handschlag für die Fotografen verschwinden beide Männer in ihren dunklen Anzügen durch eine Hintertür. Olympia ist plötzlich wieder weg.
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Draußen brennt die Sonne. Rund um den Olympia Park, in dem das Stadion in der Mitte wie ein Ufo gelandet ist, steht ein Zaun. Noch darf niemand rein. Die Wachposten sehen mit ihren rosa Leibchen über den Uniformen lustig aus. Die Sätze, die aus den Walkie-Talkies fiepen, klingen unverständlich wie aus einem Comic-Film. Aber in Wahrheit würde das Sicherheitsaufgebot ausreichen, um ein Land wie Luxemburg zu verteidigen.
Sorge vor Terroranschlägen und das böse Wort "Verkehrschaos"
Über die Olympische Idee, über das friedliche Miteinander der Menschen aus aller Welt, spricht in London eigentlich niemand. Die Diskussionen drehen sich einerseits um das Thema Sicherheit. Aus Sorge vor Terroranschlägen haben die Briten sogar Luftabwehrraketen in der Stadt stationiert. Zum anderen drehen sie sich um das böse Wort: Verkehrschaos.
Bis zu zehn Millionen Gäste erwartet die Stadt in den kommenden Wochen. Doch schon im Vorfeld bleiben die U-Bahnen der Circle-Line in der außergewöhnlichen Sommerhitze auf den veralteten Streckennetzen hängen, und über der Erde sorgen die Taxifahrer mit Protesten gegen Fahrspur-Sperrungen für Staus. Einer der Männer sprang am Montag sogar von der Tower Bridge in die Themse, um auf die Probleme seiner Taxifahrer-Kollegen aufmerksam zu machen. Er hatte seine Schwimmkünste überschätzt und musste vor dem Ertrinken gerettet werden.
Im Pub „The Court“ servieren sie den englischen Küchenklassiker Fish and Chips und zeigen dazu auf Großbildschirmen Sport. Der Fish hat Gräten, das Bier hat keinen Schaum, und im Fernsehen läuft eine Wiederholung des Testspiels zwischen dem FC Bayern und dem SSC Neapel. Bayern verliert 2:3, und auf die großen Olympia-Stars wartet man in den Fußgängerzonen der Stadt noch vergeblich.
Das Olympische Dorf ist eine Hochhaussiedlung
Vor dem Olympischen Dorf türmen sich Parkhäuser auf. In einer Baugrube davor fahren Bagger hin und her, als hätten sie eine Choreographie einstudiert. Der Krach könnte den Mann im Mond aufwecken. Olympia schminkt sich erst Schritt für Schritt, und vor dem Eingang zum Dorf stimmt die Fassade dann endlich. Dabei ist das Dorf gar kein Dorf, es ist eine Hochhaus-Siedlung. Aber aus den Fenstern hängen die Fahnen der teilnehmenden Nationen. Es wird bunt.
Unten, auf einer kleinen Bühne, begrüßt der Bürgermeister des Dorfes die ankommenden Delegationen. Nigeria ist eingetroffen. „Hello Nigeria!“ Die Afrikaner tragen dunkelgrüne Trainingsanzüge, sie winken dem Bürgermeister. Eine Band spielt „Don’t stop me now“ von Queen. Im Hintergrund hört man einen Fluch, jemand knallt ein Fenster zu. Hinter der Bühne liegen die Zimmer der ungarischen Mannschaft. Es gibt über 200 Delegationen zu begrüßen. „Don’t stop me now“, und Ungarn hört jedes Mal mit.
Keiner kann wissen, was bei Olympia passieren wird
Auf einer Treppe sitzt ein Mann in einem rot-gelben Trainingsanzug. Er sieht aus wie der junge Mick Jagger. Auf seiner Jacke leuchten die Buchstaben „KYRGYZ“. Ein Athlet aus Kirgisien. Welche Sportart? Er versteht die Frage nicht. „No English“, sagt er, und: „London good.“
Er lächelt. Vielleicht sieht man Mick Jagger aus Kirgisien in den nächsten Tagen ja sogar von einem Podium lächeln, um den Hals eine Medaille. Keiner weiß vorher so genau, was bei Olympia alles passieren wird.
Der Abend gehört wieder Sebastian Coe. Der zweimalige Olympiasieger über 1500 Meter empfängt die Haupt-Sponsoren der Spiele. Coe lächelt weiterhin sein souveränes Lächeln.
Erst kurz vor dem Schlafengehen wird er es vermutlich vorsichtig aus dem Gesicht nehmen und in den Schrank legen. Es muss schließlich noch fast drei Wochen halten.