London. . Die Angehörigen der israelischen Opfer des Olympia-Attentats von München fordern nach wie vor eine Schweigeminute bei der Eröffnungsfeier in London. Doch das Internationale Olympischen Komitee IOC mit dem deutschen Vize Thomas Bach möchte davon nichts wissen - auch aus persönlichem Interesse?
Und nun zum Geschäftlichen. Davon verstehen die Olympier viel. „Unsere finanziellen Reserven“, sagte Jacques Rogge, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) auf der Vollversammlung im noblen Grosvenor House, „sind auf 558 Millionen Dollar angewachsen.“ Als Rogge 2001 antrat, waren es 105 Millionen. Inzwischen ist der Olympiakonzern in der Lage, den Ausfall von Olympischen Spielen zu überstehen. Moralische Fragen aber werden umschifft. Warum das IOC auf der Eröffnungsfeier der Sommerspiele in London partout keine Schweigeminute für die Opfer des Olympia-Attentats von 1972 durchführen will, wurde bisher nie überzeugend begründet.
Das Thema wird weltweit diskutiert. Überraschend hat Rogge am Montag im Athletendorf in kleinem Kreis eine Schweigeminute zum Gedenken an die elf Israelis abgehalten, die bei den Spielen in München vor 40 Jahren von palästinensischen Terroristen ermordetet wurden. Eine „spontane Aktion“ sei das gewesen, sagte der Belgier. „Die israelischen Athleten haben das verdient.“
Nur etwa 100 Zuhörer – Offizielle, einige Sportler und ausgewählte Reporter – waren Zeuge, als Rogge bei einer Zeremonie, die der Olympischen Waffenruhe gewidmet war, ein paar Worte für den Terrorakt fand und um Stille bat. Die Kontroverse hat das kaum befriedet.
Gedenken im kleinen Kreis
„Wir haben um eine Schweigeminute bei der Eröffnungszeremonie gebeten“, kommentierte Ankie Spitzer, die Frau des 1972 ermordeten Fechttrainers André Spitzer, „nicht darum, dass jemand was vor ein paar Menschen murmelt.“
Ankie Spitzer hat mit anderen Hinterbliebenen mehr als 100 000 Unterschriften gesammelt für diese 60 Sekunden auf der Eröffnungsfeier vor einem TV-Publikum von rund vier Milliarden Menschen. Spitzenpolitiker aus aller Welt, auch US-Präsident Barack Obama, schlossen sich dem Begehr an. Bewirkt hat das nichts – außer der PR-Aktion, die das IOC abzog.
Offiziell hält das IOC die Eröffnungsfeier für „keinen geeigneten Anlass für ein Gedenken an diese tragische Tat“. Im Frühjahr, bei einer Audienz für Spitzer, war Rogge deutlicher. Ihm seien „die Hände gebunden“, zitierte die Witwe aus dem Gespräch – wegen der arabischen und muslimischen IOC-Mitglieder und Staaten. „Nein”, hat Spitzer zu Rogge gesagt: „Die Hände meines Mannes waren gebunden. Ihre sind es nicht.“
Bach spricht von Boykott - und rudert dann zurück
Insofern war es irritierend, dass Thomas Bach, IOC-Vize und DOSB-Präsident, die arabischen IOC-Mitglieder erneut ins Spiel brachte. Ein „Boykott der arabischen Staaten könnte nach Ansicht vieler eine Auswirkung sein”, sagte Bach. Kurz darauf ruderte er zurück. Das sei nicht richtig, behauptete Bach nun: „Ich habe mich davon distanziert.“
Die eigentliche Frage war: Warum hat Bach überhaupt von einem Boykott und der angeblichen „Ansicht vieler“ gesprochen? Hört man sich um im IOC, so kommt als Antwort meist ein Grinsen. Es möchte niemand zitiert werden. „Es ist Wahlkampf, wissen sie“, sagt einer, dem Ambitionen nachgesagt werden. Im September 2013 wird Rogges Nachfolger gewählt. Bach galt bisher als aussichtsreichster Kandidat, auch wenn das Momentum für einen Nicht-Europäer spricht. Es sieht doch sehr danach aus, als ob der Deutsche mit der Boykott-Warnung seinen Wahlkampf gestartet hat. Bach zählt 2013 auf das Stimmenpaket aus dem arabischen Raum. Zu den Golfmonarchen hat der Wirtschaftslobbyist auch geschäftlich enge Beziehungen. Eine Verquickung beruflicher Interessen mit dem IOC-Ehrenamt weist Thomas Bach stets von sich.