London. . In Rekordzeit hat sich London auf die Olympischen Spiele 2012 vorbereitet. Doch nicht alle Londoner brennen für das Sport-Spektakel. Denn der Umbau der britischen Hauptstadt fordert seinen Preis.

Für 30 Milliarden Euro räumt die britische Hauptstadt ihr East End auf: Ein Jahr vor den Olympischen Spielen ist das Erdreich entgiftet, sind aus Kloaken Bäche geworden und inspizieren junge Eltern Neubauten, wo sich unlängst Jugendbanden bekriegt haben. Nicht jedem gefällt diese Erfolgsgeschichte: Der Charakter des wilden Ostens, sagen Kritiker, wird für ein flüchtiges Sportspektakel zu Tode saniert. Großbritanniens ewiges Armenhaus droht, zur Yuppie-Enklave aufzusteigen.

Fish Island ist die feindseligste Landschaft Londons, die düstere Gegenseite zum Glanz und Glamour rund um Piccadilly Circus. Schrottpressen und Lagerhallen verdauen hier den Müll der Metropole, verbannt in ein Niemandsland zwischen Betontrasse und muffigem Kanal. Früher hätte dies gut das Ende der Welt sein können, heute erhebt sich hier die futuristische Dachkrone des Olympia-Stadions.

Für Oliver David könnte es nicht schlimmer kommen: „Es gab bisher keinen anderen Ort in Großbritannien, an dem Künstler so billig experimentieren konnten.“ 600 Kreative leben und arbeiten in der Ecke. Doch viel mehr hausen wie David in verlassenen Fabrikhallen. Für sie war die Industriebrache stets Schutzraum in einer überhitzten Metropole – bis London den Olympia-Zuschlag bekam. Planer, Investoren und Käufer in Krawatten schnüffeln seitdem durch Fish Island. Mit nur 100 Metern zum olympischen Park wittern sie hier das Schnäppchen ihres Lebens.

Neben Davids Billigatelier im „Stour Space“, einem alten Backsteinbau, der früher Taxizentrale und Prostituiertenquartier war, klettern die Mieten schon rasant. Tausende neue Häuser rund um den Olympia-Park sollen zudem die Wohnungsnot im West End lindern. Für Europas größtes Städtebauprojekt sind S-Bahn-Linien verlegt, Erdreich entgiftet und Bäche renaturiert worden. Wenn Gäste 2012 für die Spiele am neuen Eurostar-Bahnhof „Stratford International“ aussteigen, stehen sie erst einmal vor Europas größtem, neuen Einkaufszentrum.

Autor Iain Sinclair schmerzt dieser Mega-Strukturwandel: Ihm scheint es, als ob „Frankenstein mit Hilfe von Google Earth und einem Laser-Skalpell“ sein Viertel umpflügen würde. „Hier wird nicht regeneriert, sondern zerstört“, sagt er. Kleingärtner mussten dem Olympia-Park bereits weichen. Auch auf Fish Island sind für einen gigantischen Reisebus-Parkplatz 170 Kleinbetriebe vertrieben worden.

Das Schicksal des Ruderclubs „Eton Mission“ zeigt, wie löchrig die offiziellen Versprechen von nachhaltiger Planung sind. Seit 1886 lässt der Club in der Nähe von Fish Island seine Boote ins Wasser. Jetzt soll sein Geräteschuppen für eine Brücke in den Olympia-Park weichen. Einen Abtretungsvertrag musste der Verein bereits unterschreiben, ein neues Grundstück ist jedoch nicht mehr zu finden.

„Was wir hier sehen, ist eine politische, keine menschliche Vision von Städtebau“, sagt Sinclair, „der Osten soll nicht mehr länger für arme Einwanderer, sondern für die Mittelschicht da sein.“ Die Yuppifizierung der ärmsten Viertel Großbritanniens ist nirgendwo so gut sichtbar wie in der Chatsworth Road. Auf der einst desolaten Straße gab es lange nur das Café Venetia. „Die Frage ist doch“, so Oliver David in Fish Island, „wo wir und alle anderen mit wenig Einkommen hin sollen, wenn diese Ecke Londons verschwindet.“ Dass es ausgerechnet die flippige Avantgarde-Atmosphäre der Künstler ist, die reiche Immobilienhaie anlockt, gehört zu den Paradoxien des Umbruchs. Nur wer sich wie die „Odyssey Media Collective“ mit den neuen Vorzeichen arrangiert, profitiert. Die Künstler-Genossenschaft ist gerade auf Erfolgskurs. Auch sie arbeiten 100 Meter neben dem neuen Stadion, fühlen sich aber als Teil des Olympia-Booms. „Im Herzen bin ich Zyniker“, sagt ihr Mediengestalter Jeremy Newton, „aber bei der Zukunft von Fish Island wäre ich gern mal Optimist.“ Auf die Olympischen Spiele 2012 freut er sich.