Tokio/Berlin. Nach ihrem grandiosen Auftreten bei der jüngsten WM in Berlin sind die Erwartungen an Emma Hinze und Lea Friedrich in Tokio enorm.

Etwas außerhalb von Tokio fehlt nicht nur das Flair der Spiele. In Izu, wo rund 120 Kilometer von der Hauptstadt entfernt die Bahnrad-Sportler untergebracht sind, zeugt kein Fähnchen von Olympia. Dazu ist die Unterkunft alt und trist, ungepflegt und eng. „Als wir hier ankamen, war ich ein bisschen geschockt“, sagt Emma Hinze. Selbst die Nähe zum Velodrom kann die schwierigen Umstände nur bedingt auffangen, denn dorthin müssen die Athleten immer noch 45 Minuten mit dem Shuttle fahren.

Wenigstens die Bahn hat Niveau, ist sehr schnell. So wie die jungen deutschen Sprinterinnen. Die haben die Szene zuletzt beherrscht. Aber das war zu Beginn der Pandemie, kurz vor dem ersten Lockdown. In den drei olympischen Disziplinen Teamsprint, Sprint und Keirin flog Hinze bei der WM in Berlin Anfang März 2020 unnachahmlich zu drei Titeln. Das wirkt natürlich nach. „Ich merke schon, dass ein bisschen Druck da ist“, sagt sie vor dem olympischen Auftakt im Teamsprint am Montag (ab 8.30 Uhr). Hinze steht im Mittelpunkt, alles schaut nach dieser grandiosen WM nun auf die Cottbusserin.

Starke Konkurrenz aus dem eigenen Lager

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Doch die 23-Jährige hat ihren eigenen Umgang mit den Erwartungen anderer gefunden. „Ich lasse das nicht so an mich heran“, erzählt sie. Hinze besitzt eine sehr zurückhaltende Persönlichkeit, sie drängt sich nicht in den Vordergrund. Schon gar nicht mit Worten. Selbst Ziele gibt sie vor Rennen nicht öffentlich aus. Auch nicht in Tokio.

Gut möglich, dass in diesem speziellen Fall sogar ein wenig Verunsicherung mitspielt. Seit der WM gab es pandemiebedingt keine richtigen Wettkämpfe mehr. Nur interne Vergleiche. Die immerhin sagen auch einiges, denn mit Lea Sophie Friedrich kommt enorm starke Konkurrenz aus dem eigenen Lager. Weshalb Detlef Uibel sich nicht scheut, die Ambitionen deutlich zu formulieren. „Wir stehen durch die Ergebnisse von Berlin in der Pflicht, da wollen wir anschließen. Ohne gleich von Gold zu reden“, sagt der Bundestrainer.

Langer Blindflug ohne Wettkämpfe

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Vielleicht verbietet Letzteres das junge Alter der Frauen. Friedrich ist erst 21 Jahre, beiden fehlt noch etwas Erfahrung. Auch der lange Blindflug ohne Wettkämpfe macht Vorhersagen nicht einfacher. Doch Uibel weiß um das große Talent der beiden Sportlerinnen. Noch keine Frau dominierte ein Sprintturnier derart wie Hinze in Berlin. Selbst die große Kristina Vogel (30) nicht, die zweifache Olympiasiegerin, die inzwischen nach einem Trainingsunfall ihre Karriere querschnittsgelähmt beenden musste.

Hinze und Friedrich besitzen das Potenzial, Vogels olympische Nachfolge anzutreten. „Emma ist in der Lage, mit einem sehr hohen Geschwindigkeitsniveau zu agieren und zeigt dabei einen geschmeidigen Fahrstil“, so Uibel über die Sprint-Königin, die sagt, dass sich mit den Triumphen das Interesse an ihr deutlich verstärkt hätte. Dass die Titel sie gleichzeitig „hungrig auf mehr machen“ würden.

Weiterentwicklung im Lockdown

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Friedrich, die schon in Berlin im Teamsprint eingesetzt wurde, im Finale jedoch nicht fuhr, hat die Verschiebung der Spiele genutzt, um sich weiter zu entwickeln. „Ich bin schneller geworden, habe mehr Kraft und bin im Kopf weiter“, erzählt die Dassowerin, die im Vorjahr Weltmeisterin im 500-Meter-Zeitfahren wurde. Ihre Fortschritte nimmt Uibel zum Anlass, ihr alles zuzutrauen. „Für Lea geht es darum, dass sie abruft, was sie kann. Dann ist alles möglich, natürlich auch Platz eins“, sagt er über Friedrich.

Sie fährt im Teamsprint an, soll Hinze mit dem nötigen Tempo auf die zweite Runde schicken. „Ich denke, danach weiß man mehr“, erzählt Hinze auch bezüglich der Aussichten auf Sprint und Keirin in den folgenden Tagen. Bislang weiß sie nur, dass ihre Wattzahlen und Zeiten sich seit Berlin durch hartes Training verbessert haben. Wenn sie das auf der Bahn in Izu umsetzt, lässt sich in der tristen Unterkunft bald mit Edelmetall ein wenig olympisches Flair verbreiten.