Hamburg/Tokio. Der Hamburger Alexander Zverev hat bei den Olympischen Spielen eine Medaille dicht vor Augen. Im Halbfinale wartet aber Novak Djokovic.

Kei Nishikori musste einem leid tun. Wie ein geprügelter Hund schlich der japanische Tennisprofi vom Center-Court, nachdem seine olympischen Heimspiele ein jähes Ende gefunden hatten. Nichts anderes als eine Prügelstrafe war dieses 2:6, 0:6 für den 31 Jahre alten Weltranglisten-69., mit dem seine Hoffnungen auf Edelmetall innerhalb von 70 Minuten auf dem Hartplatz im Ariake Park zertrümmert wurden. Und sollte sich noch irgendjemand gefragt haben, wie ernst die Mission ist, auf der Nishikoris Viertelfinalbezwinger sich befindet, der kennt spätestens jetzt die Antwort. Novak Djokovic, 34 Jahre alter Weltranglistenerster aus Serbien, will dieses Olympiagold.

Tennis-Star Novak Djokovic hat den Golden Slam vor Augen

Er will es mit Macht, weil es ihm die Tür öffnen würde zu einem Triumph, der seine Gier nach totaler Dominanz befriedigen könnte. Gewönne der Branchenprimus anschließend auch noch die Anfang September anstehenden US Open in New York, hätte er den „Golden Slam“ geschafft, dieses herausragende Kompositum aus den Titeln der vier Grand-Slam-Turniere eines Jahres und dem Olympiasieg, das nur alle vier – und in Pandemiezeiten gar nur alle fünf – Jahre möglich ist. Bei den Herren hat dieses Kunststück noch niemand vollbracht, bei den Damen nur eine: Steffi Graf, die sich die Golden-Slam-Krone 1988 bei den Ende September ausgetragenen Sommerspielen in Seoul aufsetzte.

An diesem Freitag nun, im zweiten Match nach 8 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit, versucht im Halbfinale der beste deutsche Tennisprofi, Djokovics Durchmarsch zu stoppen. Alexander Zverev, Weltranglistenfünfter aus Hamburg, qualifizierte sich in ähnlich dominanter Art und Weise für den Showdown wie der Topfavorit. Der 24-Jährige bezwang den Franzosen Jeremy Chardy (34) nach 66 Spielminuten mit 6:4 und 6:1 und konnte dank der späten Ansetzung und seines Expresstempos Kraft sparen, die er brauchen wird.

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„Ich weiß, dass ich den härtesten Gegner vor mir habe, den es im Tennis gibt, und dass ich mein bestes Tennis zeigen muss, um überhaupt eine Chance zu haben“, sagte Zverev. Warum er sich dazu in der Lage fühlt, erklärt er mit der emotionalen Verbindung, die er zu den Olympischen Spielen fühle. „Du spielst hier nicht nur für dich selber, du spielst für deine Mannschaft und für dein eigenes Land. Das macht es so besonders.“

Wer weiß, wie leidenschaftlich Alexander Zverev im Daviscup spielte, bevor der Mannschaftswettbewerb einen neuen Modus bekam, den der deutsche Topspieler ablehnt, der glaubt ihm diese Worte. Während sich die Hälfte der Top Ten der Weltrangliste die lange Reise zum olympischen Turnier in der Corona-Blase nicht antun wollte, trat Zverev auch im Doppel an, wo er an der Seite des Warsteiners Jan-Lennard Struff (31) im Viertelfinale ausschied. Vom Start im Mixed hielt ihn lediglich das extrem herausfordernde Klima ab, an seiner Statt spielte der Coburger Kevin Krawietz (29) mit Laura Siegemund (33/Metzingen) – und scheiterte am Donnerstag im Viertelfinale mit 1:6, 2:6 am serbischen Duo Nina Stojanovic und: Novak Djokovic.

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Hoffnungen, dass die Doppelbelastung seinen Rivalen geschwächt haben könnte, hegt Alexander Zverev keine. „Novak ist einer der fittesten, wenn nicht der fitteste Spieler auf der Tour. Der steckt so ein Mixed locker weg“, sagte er. Dem darf man getrost zustimmen. Der Marathonmann aus Belgrad, der Anfang Juli mit seinem sechsten Triumph in Wimbledon mit nun 20 Majortiteln zu den Rekordsiegern Roger Federer (39/Schweiz) und Rafael Nadal (35/Spanien) aufgeschlossen hatte, gilt als Meister des Comebacks, der sich auf Grand-Slam-Level auch aus aussichtslos erscheinenden 0:2-Satzrückständen herauswindet.

Genau darin jedoch könnte Alexander Zverevs größte Chance liegen, denn sollte Novak Djokovic an diesem Freitag mit 0:2 Sätzen zurückliegen, hätte er das Match verloren, schließlich wird lediglich bei Grand-Slam-Turnieren noch über drei Gewinnsätze gespielt. Zwei von acht bisherigen Duellen mit dem „Djoker“ konnte Zverev gewinnen, sein wichtigster Sieg war der im Finale der ATP-WM 2018. Zweimal trafen die beiden sich in diesem Jahr bereits, beide Male siegte Djokovic, zunächst beim ATP-Cup in Australien, dann im Viertelfinale der Australian Open über vier Sätze.

Die letzte Tennis-Medaille bei Olympia gewann Tommy Haas

Vielleicht jedoch ist auch Alexander Zverevs Herkunft ein gutes Omen. Die einzige olympische Goldmedaille für die deutschen Herren holten 1992 in Barcelona im Doppel der Leimener Boris Becker und der aus Elmshorn stammende Hamburger Michael Stich. Die letzte olympische Medaille für einen deutschen Tennisprofi gab es vor 21 Jahren in Sydney, als der gebürtige Hamburger Tommy Haas erst das Finale gegen den Russen Jewgeni Kafelnikow verlor.

Alexander Zverev ist sich der Schwere seiner Aufgabe bewusst; ebenso weiß er die Mehrheit der Tenniswelt hinter sich, die dem wegen seiner bisweilen egozentrischen Art nicht überall beliebten Serben das Besteigen des Throns der Dominanz nicht gönnt. Djokovic selbst zeigte sich nach der Vorführung des bemitleidenswerten Japaners Nishikori zumindest nicht großartig beeindruckt von dem, was ihn heute erwartet. „Die Matches werden nicht leichter, aber mein Level wird besser und besser“, sagte er. Man muss befürchten, dass das stimmt.