Tokio. Zwei Niederlagen hat US-Schwimmstar Katie Ledecky gegen die Australierin Ariarne Titmus kassiert. Nun steht das letzte Duell an.

Es dauerte ein wenig, bis Katie Ledecky die Charme-Herrschaft im olympischen Schwimmbecken wieder übernahm. Noch etwas verkniffen dreinblickend von der Niederlage gut eine Stunde zuvor näherte sich die 24 Jahre alte US-Amerikanerin ihrem Startblock an Bahn vier. 1500 Meter Freistil, ihre Paradestrecke, stand im Tokyo Aquatics Centre vor der Olympia-Premiere.

Die Augenblicke bis zum Start und die Siegerzeit von 15:37,34 Minuten später waren aus Ledeckys Gesicht die Sorgenfalten genauso verschwunden wie die Wellen aus dem Wasser. Vier Titel hätten es für die Ausnahmeathletin werden sollen, genauso wie vor fünf Jahren in Rio. Nach zwei Demütigungen in Tokio war Ledecky nun mit Gold erlöst. Ihre Spiele können es trotzdem nicht mehr werden.

Katie Ledecky soll Geschichten für die Prime Time liefern

Weil eine Amerikanerin auch die Zweite in diesem Rennen geworden ist, ging es im Doppelpack zu den NBC-Kameras am Beckenrand. Die olympische Kernsportart steht hoch in der Gunst der Amerikaner. Die Rennen in Tokio werden am Vormittag ausgetragen, in Los Angeles ist man dann 16 Stunden zurück – Prime Time am Abend. Freistil-Königin Katie Ledecky sollte für die Geschichten sorgen, die die TV-Rechteinhaber in ihrer Heimat im Quotenkampf gegen die großen Sportarten Baseball, Football, Basketball und Eishockey brauchen. Mit der Australierin Ariarne Titmus (20) tat sich nun sogar eine echte Konkurrentin auf, und Ledecky musste sich die ungewohnte Frage stellen: Wie besiege ich die nur?

Wachablösung: Katie Ledecky (l.) musste sich in Tokio in den Finalläufen über 200 und 400 Meter Freistil gleich zweimal der Australierin Ariarne Titmus geschlagen geben.
Wachablösung: Katie Ledecky (l.) musste sich in Tokio in den Finalläufen über 200 und 400 Meter Freistil gleich zweimal der Australierin Ariarne Titmus geschlagen geben. © afp

Neue Wesen kehren gut, aber für den US-Markt braucht Olympia seine vorgesehenen Topstars. Ledecky gegen Titmus – so neu die persönliche Rivalität zwischen den beiden ist, so alt ist die der beiden führenden Schwimmnationen. 20 Medaillen holten die Ozeanier 2008 in Peking, mit 31 beziehungsweise sogar 33 Mal Edelmetall schlug die Wasser-Urgewalt USA in London 2012 und Rio 2016 zurück.

Olympia-Topstar Katie Ledecky profitiert von ihrer Kraft

In Brasilien war Ledecky mit vier Olympiasiegen und einem zweiten Platz der große Star. Wo bei anderen Topathleten Dominanz nach Anstrengung aussieht, strahlte ihre Vorherrschaft im 50-Meter-Becken, die sie als schüchterne 15-Jährige in London mit dem ersten von nun sechsmal Olympia-Gold begründete, Routine und Leichtigkeit aus. Anders als der beste Schwimmer der Geschichte, ihr mit 23 Goldmedaillen dekorierter Landsmann Michael Phelps, scheut Ledecky die Schufterei nicht: „Ich liebe Training“, sagt sie. Das zahlt sich aus.

Du wurdest ledeckied – in den Vereinigten Staaten ist ihr Namen sogar ein Verb. Frei übersetzt sagt es der Konkurrenz, dass sie in Rennen jenseits der 400 Meter Freistil auch mit drei Sekunden Vorsprung vom Startblock ins Nass springen könnte; am Ende wäre die Siegerin sowieso wieder Ledecky. Was sie so gut macht? Ledecky ist groß und trotz schmächtiger Erscheinung muskulös. Ihre Beine und der Oberkörper generieren im Wasser unglaublich viel Kraft, ihre Arme wirken dann wie der Turbo Boost von David Hasselhoffs Auto in Knight Rider. Große Stärke ist die Wende, ihre Delphintechnik bringt ihr unglaublichen Zeitvorteil. Zumindest auf den erlaubten 15 Metern.

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Erfolge wecken Erwartungen. „Es ist unfair, dass von ihr erwartet wird, die Beste in allem zu sein, alles gewinnen und jedes Jahr Rekorde brechen zu müssen“, sagt ihr Trainer Greg Meehan, „das ist lächerlich.“ Ledecky lebt im kalifornischen Palo Alto, sie machte in diesem Jahr an der Elite-Uni Stanford ihren Abschluss in Psychologie. Ihr wird nachgesagt, auch im neunten Superstarjahr einer der aufmerksamsten, bodenständigsten Menschen der Szene geblieben zu sein.

Ariarne Titmus ist nun die erste Schwimmerin, die Katie Ledecky bei einer WM (2019 über 400 Meter) und in einem olympischen Finale (über 200 und 400 Meter, über 1500 Meter war sie nicht am Start) besiegen konnte. Die 20-Jährige ist in Tasmanien aufgewachsen, wo der Schwimmsport gar nicht so populär ist wie auf dem Festland. 2015 zogen die Eltern mit ihr nach Brisbane, aus dem dünnen Teenager wurde die kraftvolle Olympiasiegerin, die am Mittwoch über 200 Meter noch auf der letzten Bahn noch an Haughey Siobhan (Hongkong) vorbeizog und in 1:53,50 Minuten gewann. „Ehrlich gesagt ist das nicht die Zeit, die ich mir vorgestellt habe“, sagte Titmus, down-under die erste Olympiasiegerin in einem Einzelrennen seit 2008, hernach. „Aber das ist Olympia – hier geht es nur ums Gewinnen.“

Ariarne Titmus vermiest die Fünf-Ringe-Mission

Titmus hat Ledecky die Fünf-Ringe-Mission ganz schön verhagelt. Ihr Trainer Dean Boxell hatte Recht, als er vor den Tokio-Spielen sagte: „Ich habe das Gefühl, dass bei Olympia nicht alles nach der Nase der Amerikaner gehen wird.“ Die bereits zweimal Besiegte erkannte das an: „Es wird immer härter, Bestzeiten zu schwimmen“, sagte Katie Ledecky. „Aber die Leute zu Hause müssen nicht mit mir fühlen. Ich möchte lieber, dass sie sich Sorgen um andere Dinge auf der Welt machen, wo Menschen wirklich leiden.“

Am Samstag steht für Katie Ledecky über 800 Meter das dritte und letzte Duell mit Ariarne Titmus an. Startschuss ist um 10.23 Uhr. Amerika wird genau hinschauen.