Hamburg. Michael Ehnert ist leitender Mannschaftsarzt der deutschen Beckenschwimmer. Der 58-Jährige spricht über die Gesundheitsaspekte bei Olympia.
Wir vergessen es manchmal, aber es gab sie, die Zeit, als Corona noch eine Biermarke war. Damals gab es für die Menschen, die sich aus medizinischer Sicht auf die Olympischen Sommerspiele in Tokio vorbereiteten, nur ein Thema: Wie können die Aktiven mit den klimatischen Bedingungen im japanischen Hochsommer umgehen? Michael Ehnert, leitender Mannschaftsarzt der deutschen Beckenschwimmer und in Hamburg Leiter des Instituts für Sportmedizin am Asklepios-Klinikum in St. Georg, hat trotz des Virus, das die Welt in seinen Klauen hält, Antworten auf diese Frage gesucht, denn er ist überzeugt davon, dass ein optimaler Umgang damit über das Wohl und Wehe im Medaillenkampf entscheiden kann.
„Das feuchtheiße Klima, das für Tokio zu dieser Jahreszeit typisch ist und Temperaturen von bis zu 40 Grad und mehr als 90 Prozent Luftfeuchtigkeit mit sich bringt, ist eine extrem harte Herausforderung für Mitteleuropäer“, sagt der 58-Jährige. Der deutlich erhöhte Flüssigkeits- und damit einhergehende Mineralstoffverlust müsse nach einem ausgeklügelten Plan ausgeglichen werden. „Es reicht nicht, einfach nur mehr zu trinken“, sagt er, „es braucht eine Kombination aus der richtigen Ernährung und der Gabe von Nahrungsergänzung, um dem Verlust von Leistungs- und Regenerationsfähigkeit entgegenwirken zu können.“
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Sportler sollen alle Substanzen melden
Nahrungsergänzungsmittel (NEM) sind im Leistungssport ein sehr sensibler Teilbereich. Beliebt sind die in Pulver-, Kapsel- oder Gelform dargereichten Stoffe, die den notwendigen Bedarf an Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen decken helfen, sportartenübergreifend. Zu beachten ist dabei aber, dass alle verwendeten Substanzen mit der Kölner Liste, auf der alle in Deutschland gängigen NEM mit minimierter Dopinggefahr aufgeführt sind, übereinstimmen. Zusätzlich sind aber auch die in Japan geltenden Vorschriften und die Einschränkungen der Welt-Antidoping-Agentur Wada zu berücksichtigen. „Deshalb rufen wir alle unsere Sportlerinnen und Sportler auf, den Teamärzten ausnahmslos alles zu melden, was sie einnehmen“, so Ehnert.
Die richtige Ernährung ist von Sportart zu Sportart individuell zu betrachten, alle Athletinnen und Athleten folgen auf sie abgestimmten Plänen. Generell aber empfiehlt Ehnert eine wasser- und eiweißreiche Kost, abends vor allem leichte Mahlzeiten, die zwar die kalorischen Bedarfe ausgleichen, aber den Organismus nicht zu stark belasten. Das wiederum könne sich sonst auf den Nachtschlaf auswirken – und der ist die wichtigste Säule, auf der Regeneration aufbaut.
Zeitverschiebung: Sportmediziner rät von Schlafmitteln ab
Angesichts von sieben Stunden Zeitverschiebung und der nervlichen Belastung, die das wichtigste Sportereignis der Welt auf viele Athleten ausübt, weiß der Hamburger Sportmediziner um die Probleme, die Schlafstörungen auslösen können. Dennoch ist er ein strikter Gegner des Einsatzes von Schlafmitteln. „Diese sollte man nur bei ernsthaften Erkrankungen nutzen, da sie den erholsamen Schlaf blockieren und am nächsten Tag zu Hangover führen können, was der Leistung abträglich ist“, sagt er.
Vorrangig ginge es darum, Schlafstörungen mittels Entspannung zu beheben. Dafür stehen natürliche Mittel wie Melatonin, Melisse oder Ringelblume zur Verfügung. Außerdem setzen viele Aktive auf bewusste Übungen wie die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson, spezielle Atemtechniken oder Yoga. Zudem haben sie sich langfristig einen festen Schlafrhythmus anzutrainieren versucht und sind angehalten, elektronische Ablenkung durch Mobiltelefone oder Tablets vor dem Zubettgehen zu minimieren.
Infektionsrisiko für Athleten steigt
Angesichts ihrer extremen körperlichen Beanspruchung sind Hochleistungssportler grundsätzlich „offene Fenster für Infektionskrankheiten“. Das Risiko von Erkältungen steigt überall dort, wo Menschen großer Hitze ausgesetzt sind und dann nass geschwitzt in klimatisierte Räume kommen. „Die Athleten sind deshalb angewiesen, die direkte Sonne zu meiden. Außerdem haben die Ausrüster auf atmungsaktive Bekleidung geachtet, die Flüssigkeit schnell absorbiert“, sagt Ehnert. Besondere Impfungen sind für Japan nicht vorgeschrieben. „Wichtig ist Hepatitis A, da gerade über rohen Fisch, wie er im japanischen Nationalgericht Sushi beliebt ist, Keime aufgenommen werden könnten“, sagt Ehnert.
Bleibt die Frage nach Corona. Rund 85 Prozent der 434 deutschen Tokio-Teilnehmenden sind geimpft, die meisten mit dem Vakzin von Johnson & Johnson, das den (terminlichen) Vorteil hat, nur einmal gespritzt werden zu müssen. Eine Impfpflicht gab es für Sportlerinnen und Sportler nicht, wohl aber für die Betreuungsteams, da diese einen deutlich höheren Kontaktlevel erreichen. Getestet werden sollen dennoch alle täglich. Noch nicht geklärt ist die Frage, ob Geimpfte in Quarantäne müssen, wenn sie als Kontaktperson der Gruppe eins mit Infizierten in Verbindung waren.
Corona bei Olympia: Sorge vor Infektionen
Diejenigen, die von einer Infektion genesen sind, müssen vor Ort nicht zusätzlich untersucht werden. „Die Langzeiteffekte einer Covid-19-Erkrankung werden noch erforscht. Aber alle Genesenen haben umfangreiche Checks absolviert, bevor sie wieder in den Trainings- und Wettkampfbetrieb einsteigen durften. Wer nicht vollkommen leistungsfähig ist, wird in Tokio nicht an den Start gehen“, sagt Ehnert.
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Viel mehr Sorgen bereiten ihm die Delegationen aus Ländern, die bislang keinen Zugang zu Impfstoffen erhalten haben. Zwar bietet das Internationale Olympische Komitee (IOC) auch noch Impfungen vor Ort an, deren Nutzen allerdings sieht Michael Ehnert durchaus beschränkt. „Der volle Schutz entfaltet sich ja erst drei bis vier Wochen nach der zweiten Impfung. Und wenn man zu nah an den Wettkämpfen impft, könnten die Nebenwirkungen die Leistungsfähigkeit einschränken.“
Ehnert glaubt, dass nicht Corona, sondern Kreislauf- und asthmatische Beschwerden die Mediziner vor Ort beschäftigen werden. Neben der Hoffnung, dass es möglichst wenige Corona-Infektionen geben möge, hat Ehnert noch einen Wunsch. „Natürlich wurde viel darüber diskutiert, welche verheerenden Folgen die Corona-Krise auf das Thema Doping gehabt hat“, sagt er. „Dass nicht so umfangreich getestet werden konnte, wie es nötig gewesen wäre, damit müssen wir uns abfinden. Aber ich wünsche mir sehr, dass die harten Kontrollen, die es in Tokio geben wird, diejenigen herausfiltern, die betrügen wollen.“ Chancengleiche, faire oder gar saubere Spiele sind eine Illusion, das weiß auch Michael Ehnert. Aber möglichst gesunde Spiele, dieser Wunsch wird hoffentlich erfüllt werden.