Pyeongchang. Die nächste Goldmedaille für Deutschland: Pilotin Mariama Jamanka hatte im Zweier-Bob sieben Hundertstelsekunden Vorsprung vor den USA.

Zunächst schien es so, als wollte Mariama Jamanka gar nicht aussteigen. Um sie herum flippten alle aus. Die Trainer und Betreuer schrien und hüpften und rissen die Arme nach oben. Auf den Zuschauerrängen jubelten die deutschen Fans, unter die sich die Rennrodel-Olympiasiegerinnen Sylke Otto und Silke Kraushaar-Pielach gemischt hatten. Doch die Frau, die gerade die Welt des Bobsports auf den Kopf gestellt hat, schlug nur die Hände vors Gesicht - und blieb einfach sitzen.

"Ich war fassungslos, konnte überhaupt nicht begreifen, was da auf der Anzeigetafel stand", sagt sie nach ihrem sensationellen Olympiasieg. Und Anschieberin Lisa-Marie Buckwitz, die das Resultat ebenfalls erst einmal sacken ließ, gesteht: "Ich dachte: Das darf nicht wahr sein. Da steht eine 1." Als jedoch ein paar Momente später Annika Drazek auf sie zugesprungen kam, immer wieder die Hände über dem Kopf zusammenschlug - da schien das Gold-Gespann so langsam aus seinem Traum aufzuwachen.

Jamanka und Buckwitz waren als deutsches B-Team gestartet

Nach vier starken Läufen im Olympic Sliding Centre hatte das nur als deutsches B-Team gestartete Duo völlig unerwartet die Weltmeisterin Elana Meyers Taylor mit Lauren Gibbs um acht Hundertstelsekunden auf den Silberrang verwiesen. Dritte wurde die Doppel-Olympiasiegerin Kaillie Humphries aus Kanada mit Phylicia George. Die angeschlagenen Stephanie Schneider (muskuläre Rückenprobleme) und Drazek, denen in Pyeongchang größere Medaillenchancen eingeräumt worden waren, verbesserten sich im Finallauf zwar noch von Platz fünf auf vier, verpassten aber Bronze.

Doch alle herzten im Zielraum die sich sichtlich ungläubige Jamanka. Dass sie soeben in die Fußstapfen von Sandra Kiriasis (Olympiasiegerin 2006 mit der Erfurterin Anja Schneiderheinze) getreten ist, konnte sie offenbar nicht begreifen. "Es ist alles so unwirklich. Ich weiß gar nicht, was hier gerade los ist", meint sie kopfschüttelnd.

Ihr Trainer am Stützpunkt in Oberhof, Matthias Höpfner, steht indes völlig überwältigt am Rande des Geschehens. Mehrfach macht er die "Scheibenwischer"-Geste in Richtung seines Schützlings und erklärt: "Sie ist eine Verrückte. Ich ziehe jeden Hut vor ihr. Wie sie diese Bahn viermal runtergehämmert ist, war Wahnsinn. Das hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht gedacht. Ich könnte heulen vor Glück." Auch Bundestrainer Rene Spies meint anerkennend: "Wir haben immer gesagt: Wenn die Nordamerikanerinnen Fehler machen und das Tor offen lassen, müssen wir da sein und durchfahren. Mariama hat das eindrucksvoll getan."

Kurioserweise hatte er erst im Januar die Besatzungen seiner beiden stärksten Bobs verändert. Die als beste "Beifahrerin" der Szene geltende Drazek, die bis dahin hauptsächlich mit Jamanka gefahren war, wechselte in den Schneider-Schlitten; die Schneider-Freundin Buckwitz wurde Jamanka zugeteilt. Ein Tausch, der nicht einfach zu verdauen war. Doch Jamanka bewies Kampfgeist: "Wir wollten zeigen, was geht und allen beweisen, was wir können", sagt sie nach dem unverhofften Triumph. "Dieses Ziel hat uns zusammengeschweißt."

Noch nie hatte die Pilotin ein Rennen gewinnen können. "Dass nun ausgerechnet bei Olympia der erste Sieg herausspringt, macht das Ganze noch unfassbarer", sagt die 27-Jährige. Ihr Oberhofer Trainer, der aus Aberglauben alle vier Läufe am Starthaus verfolgte, sieht in Jamankas Beharrlichkeit einen entscheidenden Grund für die Überraschung: "Sie hat akribisch am Schlitten gearbeitet, den Sommer über mit ihrem Techniker von FES getüftelt und sich dann die schnellste Karre hingestellt." Aber das Top-Material ist das eine, die schwierige Bahn in den Griff zu kriegen, das andere. Als es darauf ankommt, düpiert sie die gesamte Weltspitze. Cool bis in die Haarspitzen.