Rio de Janeiro. Mit Olympia-Gold im Beachvolleyball schreiben Laura Ludwig und Kira Walkenhorst deutsche Sportgeschichte. Wie war dieser Triumph möglich?

Dass auch Menschen, die Übermenschliches leisten, bisweilen höchst menschliche Probleme quälen, dafür lieferte Laura Ludwig am frühen Donnerstagmorgen den Beweis.

Die neue Olympiasiegerin im Beachvolleyball saß mit ihrer Gold-Partnerin Kira Walkenhorst im Pressezelt auf dem Podium an der Copacabana und sollte erklären, wie der 21:18, 21:14-Finaltriumph über Brasiliens Weltmeister-Duo Agatha Bednarczuk Rippel und Barbara Seixas de Freitas möglich gewesen war.

Hinter den erwartungsfrohen Journalisten hockten ihr Trainer Jürgen Wagner und der 2012-er Olympiasieger Jonas Reckermann, sie tranken Dosenbier und lauschten. „In dem Moment, als ich die beiden sah, habe ich gedacht: Geil, ich will auch einfach nur Bier trinken“, sagte die 30-Jährige später, „aber mein Problem war, dass ich dringend auf Toilette musste. Ich hätte gar kein Bier mehr reingekriegt.“

Die Goldfrau mit Wurzeln in Essen

Kira Walkenhorst lernte ihren Sport in Essen, wo die 25-Jährige bei ihrem Vater Ulrich, selber Trainer, und später als Kind beim VC Essen-Borbeck spielte. Nach der Volleyball-Ausbildung im Internat in Berlin, einst die deutsche Kaderschmiede, spielte sie kurz auch Bundesliga in der Halle, bevor sie zum Beachvolleyball wechselte.

Die ersten Jahre an der Seite von Laura Ludwig waren mühsam. Walkenhorst plagte sich mit Krankheit und Verletzung, wovon der schwarze Kinesiotape-Verband zeugt, den sie trägt und der mittlerweile ihr Markenzeichen ist. Bruder Alexander erzählt: „2014 stand Kira heulend vor mir. Sie konnte nicht mal ein Sixpack Wasser in ihre Wohnung tragen. Ihre Karriere stand auf der Kippe.“ Für ihren Vater Uli ist Kira Walkenhorst eine Kämpferin. Er rechnet damit, dass die Emotionen ihn erst übermannen werden, wenn er seiner Tochter mit Medaille wieder persönlich gegenübersteht. Seine Gattin Betina hat den Moment größter Gefühle bereits bei der Siegerehrung erlebt: „Mir kamen dann endgültig die Tränen. Da wurde für meine Tochter die Fahne hochgezogen.“

Nun, die Getränkefrage wurde im Lauf der folgenden Stunden geklärt. Mit seinem Team feierte das Duo in einem Hotel im Stadtteil Ipanema einen Triumph, der das Ergebnis von vier Jahren harter Arbeit war, in seiner Deutlichkeit aber von niemandem erwartet werden konnte. Die Art und Weise, wie sich die Europameisterinnen am weltberühmten Strand von Copacabana das Gold holten – das ist der Erfolg eines außergewöhnlichen Teams. „Ich hätte nicht gedacht, dass man bei Olympia seinem Ideal nahe kommen kann“, sagte Laura Ludwig, „aber es ist uns gelungen, und ich muss sagen, dass es sich total surreal anfühlt.“

Walkenhorst (25) sagte: „Dafür haben wir vier Jahre alles getan. Es ist krass, und es wird dauern, bis es richtig angekommen sein wird.“

Bundestrainer wiederholt den Erfolg

Der Mann, der zum Wunder beigetragen hatte, hielt sich wie gewohnt im Hintergrund: Jürgen Wagner, der Cheftrainer, der vor vier Jahren Reckermann und Brink zum Olympia-Gold geführt hatte und dieses Kunststück wie einst Hockeytrainer Markus Weise mit dem anderen Geschlecht wiederholte, genoss den Triumph still.

„Ich habe sehr früh verstanden, mich nicht über Titel zu definieren, sondern meine Zufriedenheit danach zu bemessen, wie sich mein Team entwickelt“, sagte er.

Lobeshymnen wollte er jedoch lieber auf seine Schützlinge singen. „Laura hat in Rio extrem gut gespielt, sie ist in der besten Form ihrer Karriere“, lobte er die beste Abwehrspielerin der Welt. Die beste Blockakteurin Walkenhorst habe sich als Olympia-Debütantin in Rio freigespielt. „Das hat ihr einen Kick gegeben. Sie war unglaublich gut.“

Teamsitzung mit Psychologin

Wagner hat, seit Ludwig nach Rang fünf in London 2012 ihre langjährige Partnerin Sara Goller verabschieden musste, darauf geachtet, nicht zu viel Harmonie zwischen den neuen Kolleginnen entstehen zu lassen. „Harmonie oder gar Freundschaft schadet einem Team, weil man zu sehr versucht, es dem Partner recht zu machen“, erklärte er.

Verschiedene Charaktere, wie sie die stets gut gelaunte und extrovertierte Ludwig und die bisweilen grüblerische und zurückhaltende Walkenhorst einbrächten, seien ihm stets wichtig gewesen. „Es gibt zwei Voraussetzungen: Man muss den Partner respektieren und mit ihm gemeinsam die maximale Leistung erreichen wollen. Beides tun Laura und Kira“, sagte er.

Was in den Tagen von Rio besonders beeindruckte bei den Auftritten der Weltranglistenersten, das war ihre Fähigkeit, sich niemals von ihrer Linie abbringen zu lassen.

Auch interessant

Wer sah, wie souverän sie sich aus kleinen Schwächeperioden herauszogen und gestärkt daraus hervorgingen, der konnte erahnen, welchen Anteil Anett Szigeti an der Goldmedaille hat. Seit dreieinhalb Jahren arbeitet die Psychologin mit Ludwig und Walkenhorst, zunächst führte sie viele Einzelgespräche, seit zwei Jahren gibt es Teamsitzungen.

Spiele 2020 in Tokio sind das Ziel

Szigeti erinnerte in der Stunde des Überschwangs auch an die schweren Phasen, die man gemeinsam durchlaufen habe – wie Walkenhorsts Erkrankung am Pfeifferschen Drüsenfieber im Frühsommer 2014 und die anschließende Meniskus-Operation, die letztlich fast ein gemeinsames Jahr kosteten.

Wie es weitergehen wird mit ihnen in den nächsten Monaten, das konnte Laura Ludwig unter dem Eindruck des noch frischen Erfolgs nur mutmaßen. „Unser Plan ging nur bis Rio“, sagte sie, „aber natürlich wäre es dumm, jetzt nicht weiterzumachen.“ Sie selbst fühle sich so fit wie nie zuvor, „und es macht mir so viel Spaß, mit Kira zusammenzuspielen“.

Die Spiele 2020 in Tokio seien definitiv ein Thema für sie: „Mensch, dann bin ich doch erst 34.“