Rio de Janeiro. Deutscher Schwimmstar zieht in Rio seine letzten Bahnen im Becken. Akribische Vorbereitung und Gelassenheit soll noch einmal eine Medaille bringen.

Kurz vor seiner letzten Bahn, rechtzeitig vor dem finalen Auftritt nach 18 Jahren im Leistungssport hat Paul Biedermann ein Vorbild gefunden: den Brasilianer an sich. „Die Menschen hier nehmen das Tempo raus”, sagt er und meint damit natürlich nicht die Geschwindigkeit im Schwimmbecken. „Die Brasilianer sind sehr entspannt. Das wirkt sich auch auf mich aus.“ Wenn Biedermann am Sonntag an seinem 30. Geburtstag mit dem Vorlauf über 200 Meter Freistil seine dritten und letzten Olympischen Spiele in Angriff nimmt, dann will er es mit brasilianischer Lockerheit tun.

Das Debakel von 2012 ist abgehakt

Der Biedermann des Jahres 2016 ist nicht der Biedermann der olympischen Tage von London 2012. Vor vier Jahren lastete ein gewaltiger Druck auf den Schultern des Schwimmprofis aus Halle. Die sind ziemlich muskulös, doch sein Kopf kam mit den riesigen Erwartungen der Öffentlichkeit und auch von sich selbst nicht klar. Als Doppel-Weltrekordler war er nach England gereist, als zweimal Geschlagener kehrte er in seine Heimat zurück. Erst schied er über 400 Meter Freistil im Vorlauf aus, dann schlug er über seine Lieblingsstrecke 200 Meter Freistil als Fünfter an. Fünftbester der Welt im Königsrennen des Schwimmens: 2008 war er mit dieser Platzierung in Peking noch zufrieden aus dem Wasser gestiegen, aber 2012 war dies eine herbe Enttäuschung. „Ich hatte andere Ziele”, gibt Biedermann zu. „Ich hatte mir zu viel Druck gemacht, das hat sich am Ende alles gerächt.”

Für Rio hat er sich noch einmal voll reingekniet, hat Tausende von Trainingskilometern abgespult und nichts dem Zufall überlassen. Weil die US-Amerikaner ihre Schwimmstars um den 18-maligen Olympiasieger Michael Phelps zur Primetime im Fernsehen sehen wollen, zwingt das IOC die Sportler in Rio bis nach Mitternacht zu den Finals ins Wasser. Biedermann hat diese Bedingungen erst zu Hause in Halle und jetzt in der Vorbereitung in Brasilien simuliert. Mit Hilfe von Tageslichtlampen hat er seinem Körper vorgegaukelt, es sei noch hell. Wer am Montag im Finale die Medaillen gewinnt, der muss nicht nur biorhythmisch auf der Höhe der Zeit sein. Biedermann geht mit 1:45,45 Minuten als Vierter der Weltjahresbestenliste in sein letztes olympisches Rennen. „Ich habe nicht trainiert, um wieder Fünfter zu werden”, sagt Biedermann, fügt aber gleich hinzu: „Ich bin mit mir im Reinen. Ob ich eine Olympia-Medaille gewinne, davon hängt mein Seelenfrieden nicht ab.” Erster der Weltrangliste ist der Chinese Sun Yang. Der zweimalige Olympiasieger wurde bereits des Dopings überführt. Ob dieser jetzt sauber sei, darüber mache er sich keine Gedanken, sagt Biedermann. Daran könne er sowieso nichts ändern.

Blütezeit im Schwimmanzug

Ohne diese olympische Medaille wird die Karriere des Paul Biedermann dennoch eine unvollendete sein. 2009 war sein großes Jahr. Doppel-Weltmeister in Rom mit zwei Weltrekorden: Selbst der große Phelps musste gegen ihn klein beigeben. Es war die Zeit der High-Tech-Anzüge. Es war die Zeit, in der die kräftigen Schwimmer bevorteilt waren. Manche Schwimmer benötigten 20 Minuten, um sich in die Kunststoff-Pellen hinein zu zwängen. Nach dem Verbot der Ganzkörper-Anzüge nahm Biedermann ab, doch in Badehose war es vorbei mit seiner Überlegenheit. 2011 holte er immerhin noch dreimal Bronze bei der WM, 2015 einmal.

Britta Steffen, die Doppel-Olympiasiegerin von 2008, traut ihrem früheren Lebensgefährten die ersehnte Medaille in Rio zu: “Paul ist vor seinen Rennen einerseits wahnsinnig aufgeregt, aber sobald er auf dem Block steht, wird er zum Krieger.“

Wie es genau weiter geht nach seinem letzten Start als Schwimmer, das weiß Biedermann noch nicht genau. Trainer will er auf keinen Fall werden. Den Führerschein wird er endlich machen. „Ich war wahnsinnig gern Schwimmer, aber jetzt freue ich mich auf das Leben danach“, sagt er. Nach den Olympischen Spielen will er erst einmal in den Urlaub fliegen. Last Minute, weil er sein ganzes Schwimmerleben alles bis in die kleinste Kleinigkeit planen musste. Jetzt hat er die Chance, es seinen  neuen Vorbildern gleich zu tun, den lockeren Brasilianern.