Melbourne. Nico Hülkenberg ist froh, nach einer zwischenzeitlichen Saison als Ersatzfahrer, endlich wieder regelmäßig im Cockpit sitzen zu können. Sein Ziel ist es sich über die nächsten Jahre in der Formel 1 zu etablieren - mit Sebastian Vettel möchte Hülkenberg aber nicht tauschen.

Nach einem harten Jahr auf der Ersatzbank ist Nico Hülkenberg zurück im elitären Zirkel der 24 Stammpiloten der Formel 1 und blüht wieder auf. Das Ziel des 24-Jährigen für diese Saison ist ganz einfach. „Spaß zu haben, die Formel 1 zu genießen“, sagte er im Interview mit dem Sport-Informations-Dienst (SID).

Wenn Sie Ihre Gefühle in diesem Jahr mit denen von vor zwölf Monaten vergleichen. Was ist anders?

Hülkenberg: „Die ganze Gemütslage, die Perspektive ist das komplette Gegenteil. 2011 wusste ich, dass mich ein Jahr erwartet, das zäh wird, das wehtun und mir nicht gefallen wird. In diesem Jahr ist alles anders. Ich habe das, was ich wollte, und zwar ein Renncockpit, und die Chance, mich weiter zu beweisen.“

Wieviel Spaß macht es mit dieser anderen Perspektive, in einem Rennauto zu sitzen?

Hülkenberg: „Sehr viel Spaß. Ein Formel-1-Auto fahren zu dürfen, ist eh ein Privileg. Ich bin dankbar für diese Chance. Es ist einfach so, wenn man sein Leben lang danach strebt, Formel 1 fahren zu wollen, und das dann verliert, weiß man das vielleicht ein bisschen mehr zu schätzen. Wenn man es dann wieder hat, ist man sehr glücklich darüber.“

Gehen Sie mit dieser Erfahrung jetzt anders an die Dinge heran? Haben Sie irgendetwas verändert?

Hülkenberg: „Es hat sich schon ein bisschen was verändert, einfach dadurch, dass ich jetzt erfahrener bin. Ich hatte die Saison 2010 als aktiver Rennfahrer erlebt, die Saison 2011 als Ersatzfahrer, war aber trotzdem bei allen Rennen dabei. Das sind natürlich Erfahrungen, die ich mitgenommen habe. Auch wenn ich 2011 im Auto nicht viel gelernt habe, habe ich mich weiterentwickelt, Sachen herausgepickt, die für mich gut sind, Dinge angepasst oder modifiziert.“

Was zum Beispiel?

Hülkenberg: „Das fängt bei ganz simplen Sachen wie der Vorbereitung mit den Ingenieuren an. Um in einem Formel-1-Auto gut zu fahren, braucht man viele Kilometer und Erfahrung. Je mehr man davon hat, desto einfacher ist es, Leistung aus dem Auto oder aus dem Team herauszuholen. Es ist einfach so, dass man mit Erfahrung in der Formel 1 einiges wettmachen kann.“

Wenn man viele Kilometer braucht, wie ärgerlich war es dann, dass Ihr geplanter Testeinstieg in Jerez ausfiel, weil Ersatzpilot Jules Bianchi vorher das Auto beschädigt hatte?

Hülkenberg: „Sehr ärgerlich natürlich. Aber das liegt hinter uns. Ich kann das auch nachvollziehen, ich habe solche Dinger selber geritten, als ich 2008 und 2009 bei Williams Testfahrer war. So etwas passiert. Klar war das schlechtes Timing und nicht ideal, aber Jules hat das sicher nicht mit Absicht gemacht. Die 30, 40 Runden, die ich an dem Tag verloren habe, werden am Ende nicht über Sieg oder Niederlage entscheiden.“

Wie sind Ihre Eindrücke vom neuen Auto?

Hülkenberg: „Sehr gut. In Jerez war es am Anfang ein bisschen schwierig nach der langen Zeit ohne Fahren am ersten Tag wieder reinzukommen. Aber von Stunde zu Stunde wird das Fahrgefühl besser, die Harmonie zwischen mir und dem Auto. Das ist wie ein Schuh, den man einlaufen muss. Das wird immer komfortabler.“

Was haben Sie sich für diese Saison vorgenommen?

Hülkenberg: „Spaß zu haben, die Formel 1 zu genießen. Ich mache jetzt wieder das, was ich mein Leben lang tun wollte: Formel-1-Rennen fahren. Deshalb steht an erster Stelle, das zu genießen. Natürlich will man auch den Erfolg, aber es ist schwer, das jetzt in Zahlen zu fassen. Das Team hat vorgegeben, Fünfter in der Konstrukteurs-WM werden zu wollen. Das setzt zwangläufig gute Ergebnisse voraus, und das wäre natürlich auch schön für mich.“

Das könnte dann ja auch einen Top-10-Platz für Sie in der Fahrer-WM bedeuten ...“

Hülkenberg: „Das stimmt. Aber ob das wirklich möglich ist, dafür habe ich im Moment noch kein Gefühl. Da ist es noch zu früh im Jahr. Für mich steht noch an erster Stelle, mich in der Formel 1 über die nächsten Jahre zu etablieren. Ich will jetzt erstmal die ersten paar Rennen fahren und das meiste aus mir und dem Auto herausholen.“

Fühlen Sie ein bisschen mit Adrian Sutil mit, dessen Cockpit Sie übernommen haben und der jetzt ungefähr in der Situation ist, in der Sie ein Jahr zuvor waren?

Hülkenberg: „Es ist schade und hart zu sehen, wie grausam der Sport sein kann. Adrian ist im letzten Jahr eine super Saison gefahren. Wenn so jemand dann trotz einer Super-Leistung am Ende ohne Cockpit dasteht, ist das traurig. Ob das fair ist oder nicht, darüber kann man ewig debattieren, da wird jeder seine eigene Meinung haben. Mir ist es 2010 ja auch widerfahren. Von daher kenne ich die Situation sehr gut. Natürlich ist das bitter.“

Wie ist Ihr Verhältnis zum Teamkollegen Paul di Resta?

Hülkenberg: „Sehr gut. Wir verstehen uns und haben auch über den Winter gut zusammengearbeitet. Wir haben regelmäßig Telefonkontakt, was sich beim Team so tut, was er im Simulator gemacht hat, was ich im Simulator gemacht habe.“

Kann man mit einem Teamkollegen befreundet sein? Oder ist da immer ein gewisser Grad Rivalität?

Hülkenberg: „Das hängt sehr von den beiden Personen ab, ob die das zulassen, ob sie Rennstrecke und Privates gut trennen können oder nicht. In der Theorie würde ich das nicht ausschließen, in der Praxis ist es eher ungewöhnlich. Aber so etwas muss sich entwickeln.“

Würden Sie gerne mit Sebastian Vettel oder Michael Schumacher tauschen? Zum einen, was das Auto betrifft, zum anderen aber auch in Bezug auf mehr Interesse an Ihnen, mehr Öffentlichkeitsarbeit?

Hülkenberg: "Was das Sportliche angeht: Das Top-Auto zu haben, würde sich jeder hier wünschen, keine Frage. Aber das andere nicht. Ich fühle mich sehr wohl in meiner Haut. Force India ist noch ein sehr junges Team und wächst ständig. Zwischen Ende 2010, Anfang 2011, als ich die ersten Male in Silverstone in der Fabrik war, und heute sind 20, 30 Leute mehr dazugekommen. Die wollen wachsen, sich verbessern, sind hungrig und motiviert. Von daher bin ich jetzt nicht neidisch oder möchte unbedingt in Sebastians Haut."