Montreal. Kubica kehrt dorthin zurück, an dem er seinen schwersten Unfall in der F1 hatte und seinen ersten Sieg feierte, den einzigen überhaupt mit BMW.

Die rechte Hand, die scheinbar wichtigster, manchmal sogar ausschließlicher Bestandteil aller Betrachtungen über den Formel-1-Rennfahrer Robert Kubica ist, hat er vor den Körper und auf den Tisch gelegt. Sie dient am Vorabend des Großen Preises von Kanada als Sonnenbrillenhalter. Daran ist vermeintlich nichts Besonderes, auch wenn sie selbst im Ruhezustand seltsam steif wirkt. Ist sie auch, jedenfalls für die Ansprüche, die für gewöhnlich ans Rennfahren gestellt werden. Aber dieser Kubica, der mit seinem unterlegenen Williams-Auto mehrheitlich hinterherfahren muss, hat zumindest über alle Zweifler gesiegt, die nicht glauben wollten, dass man mit links Formel 1 fahren könne. Kann man, sogar in Monte Carlo. Dass seine Behinderung kein wirkliches Handicap ist, will er jetzt in Montreal beweisen, auf seiner Schicksalsstrecke.

Als er noch Werkspilot BMW-Sauber war, überlebte er auf dem Circuit de Gilles Villeneuve einen der spektakulärsten Unfälle der jüngeren Renngeschichte, mit seitlichem Salto und ein paar Schrauben durch die Luft, das Auto ein Wrack, ihm ist nichts passiert. Das war 2007, damals ermöglichte er einem gewissen Sebastian Vettel das Formel-1-Debüt, weil ihn die Ärzte im nächsten Rennen nicht fahren lassen wollen. 2008, bei der Rückkehr nach Kanada, feierte er einen spektakulären Sieg – seinen einzigen in der Formel 1, auch den einzigen für BMW. Drei Jahre später schien nach einem schrecklichen Rallyeunfall, bei dem er um Millimeter und Millisekunden dem Tod entrinnen konnte, alles aus für ihn. Auch der in Aussicht gestellte Ferrari-Vertrag nur noch Makulatur, wie vieles seiner rechten oberen Körperhälfte.

Er hat sich zurückgekämpft, das erscheint noch immer unglaublich. Will keine Sonderbehandlung, will einfach nur das Tun, für das er immer schon gelebt hat. Was für ein Comeback, mit 34 und nach 3046 Tagen Formel-1-Pause. Seine beste Platzierung seither: Zweimal Platz 16. Eine Witzfigur ist er trotzdem nicht, wird er nie sein. Er ist hochgeachtet, auch unter den anderen Fahrern – und das in dieser Neidbranche. Die Straßen Monacos bezwungen zu haben vor zwei Wochen, da belegte er Rang 18 und machte am Start zwei Positionen gut, ehe ihn ein Rookie auf der Piste rammte, muss ihm Genugtuung verschafft haben. Denkt man. Wenn man nicht so denkt wie Robert Kubica. Für ihn war auch das nichts Besonderes: „Ich glaube, es gab eine Menge Leute, die dachten, ich könnte nicht einmal das Lenkrad drehen. Aber ich wusste, dass ich klarkommen würde."

Robert Kubica spricht, wie er denkt, wie er lenkt: Immer auf der Ideallinie. Stur. Klare Kante bekommen auch die Frager, die den Unfall von damals geschildert haben wollen. Was damals war, das zähle doch nicht. Der kanadische Journalist fragt trotzdem nochmal nach, das sei doch ein schlimmer Crash gewesen. Kubica grinst, dann sagt er: „Ich wünschte mir heute, es wäre mein schlimmster Unfall gewesen." Ernster wird er erst wieder, als es um Nicholas Latifi geht. Das ist ein kanadischer Millionärs-Zögling, dem er im ersten Training sein Cockpit überlassen musste. Es könnte schon ein Probelauf für die gesamte Saison 2020 sein. Talent und finanzielle Mitgift gegen Willen und finanzielle Mitgift, das strauchelnde Williams-Team hat beides nötig. Kubicas sensationelle Rückkehr wurde maßgeblich von einer polnischen Tankstellenkette unterstützt. Ihn ärgert an dem neuen Konkurrenten nur, dass er wichtige Abstimmungsarbeit und ein paar Sätze Reifen für Qualifikation und Rennen einbüßt. So ist er, so wird man wohl, wenn man so ein Schicksal hat: Immer nur an das nächstliegende denken. Weltmeister Lewis Hamilton, der sehr viel von Kubica hält, hat in Montreal auch davon gesprochen, dass man nicht weiß, wie viel Zeit man noch hat, um Spaß zu haben. Der Williams-Pilot hat diesen Spaß, vielleicht sollte er mit dieser Einstellung später mal auf Motivationstour für Manager gehen: die Robert-Methode.

Auf den Genuss von Champagner kommen

Sich über so etwas Gedanken zu machen, ist für ihn Zeitverschwendung, er will einfach nur fahren, auch wenn das mit links natürlich wirklich nicht einfach ist. Und George Russell, den Mercedes-Junior, endlich mal in der Qualifikation hinter sich zu lassen, das wäre jetzt am Wichtigsten. Kleine Ziele, aber eben seine. „Positives Momentum" nennt er die Energie, die ihn immer wieder antreibt. Die Dinge zu emotional zu betrachten, das hat er während seiner Leidensgeschichte gelernt, bringe nichts. Deshalb regt er sich auch nicht darüber auf, dass der zum Alfa-Werksteam gewordene Sauber-Rennstall in dieser Woche im Rahmen einer ironisch gemeinten Mitteilung verbreitet, dass Kubica vor lauter Freude vergessen habe, den Champagner zu verspritzen und die volle Flasche noch in der Schweiz stünde...

Robert Kubica konterte den Witz, wie es seine Art ist – er schickte einfach ein Foto, dass ihn dabei zeigt, wie er auf dem Podium den BMW-Sportchef Mario Theissen volle Pulle duschte. Und schickte beste Wünsche hinterher, dass Alfa bald mal wieder in den Genuss von Champagner komme, sie hätten ja – wie er selbst – eine Story voller Auf und Abs. Die Botschaft hinter seiner Aufklärungsaktion: Wenn schon Legende, dann will er sie gefälligst sein.