Witten. Drei Mädchen und junge Frauen sind dem Krieg in der Ukraine entflohen und spielen bei der DJK BW Annen Tischtennis. Sie teilen Hoffnung und Sorge.
Zu einer der besten Adressen im Damen-Tischtennis in Nordrhein-Westfalen hat sich die DJK Blau-Weiß Annen entwickelt. Jahrelang auf Verbandsliga-Niveau etabliert, stieg der Wittener Club auch dank einiger günstiger personeller Entscheidungen gleich mehrfach auf, spielt inzwischen in der zweiten Saison in der 2. Bundesliga.
Von einem Umbruch war lange die Rede, auf jüngere, hochveranlagte Spielerinnen will man mittelfristig bauen. Dabei helfen seit einigen Monaten drei junge Ukrainerinnen mit, die in Annen eine sportliche Heimat gefunden haben und dem Krieg in der seit Februar so gebeutelten Heimat entfliehen konnten.
DJK BW Annen bietet den drei Spielerinnen eine sportliche Perspektive
„Für uns sind die Drei ein absoluter Glücksfall. Ich hoffe, dass wir sie lange an uns binden können. Als Verein tun wir alles, um ihnen den Alltag hier in Deutschland zu erleichtern und ihnen eine Perspektive zu verschaffen“, sagt Paulo Rabaca, Geschäftsführer der Tischtennis-Abteilung von BW Annen.
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Für die beiden Schwestern Anastasiia (17) und Mariia Bodnar (13), die aus der Nähe der ukrainischen Hauptstadt Kiew stammen, ging es im März 2022 über Polen zunächst nach Brandenburg. „Danach wurden wir dann weiter vermittelt nach Nordkirchen in der Nähe von Münster“, sagt Anastasiia Bodnar, die ebenso wie ihre jüngere Schwester zu den herausragenden Perspektivspielerinnen in ihrer Heimat gehört, schon früh das Nationaltrikot der Ukraine trug und deren Traum es ist, mal bei den Olympischen Spielen für ihr Land an den Tisch zu gehen.
Kontakt mit den Verwandten in der Ukraine
„Natürlich sind wir ständig mit unseren Verwandten, die dortgeblieben sind, in Kontakt. Aktuell geht es ihnen ganz gut, aber die Angst ist natürlich immer da“, so die 17-Jährige über die Folgen der Kriegswirren nach dem Angriff der russischen Truppen. Mit ihren Eltern und den beiden jüngeren Schwestern (Nesthäkchen Anna ist sechs Jahre alt) kam die junge Frau ins sichere Deutschland – weit weg von der täglichen Bedrohung, der Angst um Leib und Leben für sie und ihre Lieben.
Anhelina Lebid, die aus Saporoshje stammt und gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter aus der Ukraine flüchtete, hatte daheim schon ein Englisch-Studium begonnen, will hier in Deutschland ihren Weg möglichst fortsetzen. Zunächst landete sie in Eisenach, kam dann aber nach Witten und fühlt sich in der Ruhrstadt mittlerweile richtig wohl.
Anhelina Lebid legt eine gute erste Saisonhälfte in der Regionalliga hin
„Mit dem Tischtennis habe ich als Zehnjährige begonnen, für mich ist das aber in erster Linie ein schönes Hobby“, sagt die 18-Jährige, die in der Regionalliga mit BW Annen eine gute erste Saisonhälfte hinlegte (6:4-Einzelbilanz). Sie wurde von der ehemaligen Holzbüttgener Drittliga-Spielerin Valeria Mühlbach – ebenfalls Ukrainerin – an den Wittener Club vermittelt. „Wir haben ihr anfangs mit Behördengängen geholfen“, so Paulo Rabaca über die Rolle des Clubs.
Der Sport hat einen großen Anteil daran, dass sich die jungen Osteuropäerinnen so schnell hierzulande zurechtgefunden haben. Im Münsterland gab’s für die Bodnars zu Beginn gleich die Möglichkeit, an diversen Turnieren teilzunehmen. Denn von der sportlichen Leidenschaft können die Teenager nicht lassen, wollen ihr Talent nicht brach liegen lassen. Zumal der ukrainische Verband weiterhin in engem Kontakt mit den Bodnar-Schwestern steht, sie für internationale Wettbewerbe nominiert. Angesichts ihrer Fähigkeiten lag es nah, dass schnell auch der Weg zum Olympiastützpunkt nach Düsseldorf führte. „Dort trainieren die beiden Schwestern zweimal pro Woche“, weiß Paulo Rabaca. Und nicht nur das: Inzwischen haben Anastasiia Bodnar und Anhelina Lebid in der Landeshauptstadt von NRW den Lehrgang zur C-Trainerin aufgenommen.
Sportlich sind die Neuzugänge für BWA ein echter Gewinn
„Als wir in Düsseldorf trainiert haben, kam bald auch der Kontakt zu Blau-Weiß Annen und zu Paulo Rabaca zustande“, wie Anastasiia Bodnar berichtet. Der nutzte seine Verbindungen, lotste die talentierten Ukrainerinnen zu seinem Club. In Annen sind die beiden Bodnar-Schwestern und Anhelina Lebid inzwischen fester Bestandteil des Regionalliga-Kaders, dürfen hier und da auch mal aushelfen, wenn in den Männer-Teams der Annener personelle Lücken entstehen – im Tischtennis ist diese Konstellation möglich und nun für Blau-Weiß allemal ein Gewinn.
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„Viele haben uns geholfen, damit wir hier schnell klarkommen und uns gut einleben können. Vor allem Oxana Fadeeva war zu Beginn eine große Hilfe. Dafür sind wir sehr dankbar. Es war ein schönes erstes halbes Jahr in Witten. Vielleicht“, so Anastasiia, die mittlerweile schon richtig gut Deutsch spricht, „finden wir ja im neuen Jahr eine Bleibe hier in Witten oder in der Nähe. Das würde es für uns noch einfacher machen.“ In den ersten Monaten verbrachten die Bodnar-Schwestern viel Zeit im Zug von Nordkirchen ins Revier bzw. nach Düsseldorf, aber auch ihre Mutter springt häufig als Fahrdienst ein. „Wir haben mittlerweile schon einige deutsche Freunde gefunden“, sagt die 17-Jährige, die wie ihre Schwester eine Schule in Münster besucht.
Es ist schwer, die Bilder vom Krieg aus der Heimat zu sehen
Nachdenklich wird die junge Frau, als sie wieder über die dramatische Lage daheim in der Ukraine spricht. „Es ist schwer, sich die Bilder hier im Fernsehen anzuschauen. Dass wir damals unser Zuhause verlassen mussten, war vor allem für meine jüngste Schwester Anna enorm hart.“ Unbeschwert wie früher können die Weihnachtstage daher für die Familie Bodnar natürlich nicht sein. Die Mutter der drei jungen Mädchen fährt am Sonntag in die Ukraine, „weil unsere Verwandten dort dringend Hilfe benötigen“, sagt Anastasiia, die bald das Abitur an einer deutschen Berufsschule ablegen will.
Im Januar geht es für die Bodnar-Schwestern zu einem internationalen WTT-Turnier nach Österreich. Zuletzt hatte die 13-jährige Mariia als Gaststarterin bei der Westdeutschen U-19-Meisterschaft in Einzel und Doppel als jüngste Teilnehmerin jeweils das Viertelfinale erreicht. „Sie wird bald auch an einem Lehrgang des WTTV teilnehmen“, weiß Paulo Rabaca. Am 8. Januar spielen die Blau-Weißen ihre Vorrunde – mit drei Teams - beim NRW-Liga-Pokal in Essen. Dort wollen die ukrainischen Top-Talente dem Wittener Club den Weg in die nationale Finalrunde ebnen. „Und Anastasiia wird wohl in der Rückrunde ihre ersten Einsätze in unserer Zweitliga-Mannschaft bekommen“, so der Ausblick des Annener Team-Managers.