Marl. Georg Ahlmann sagt: „Wir wollen nur noch unsere Ruhe haben.” Aber gut acht Monate nach den Olympischen Reiterspielen in Hongkong kann von Ruhe keine Rede sein.
Deutschlands Reitsport wird von einem neuerlichen Medikations- oder Dopingfall unter dem Zeichen der fünf bunten Ringe erschüttert. Der Name Ahlmann taucht dabei zwar nur am Rande auf. Aber die Gerüchte wollen nicht verstummen, wonach aus Marl der Hinweis auf die Vorkommnisse um das Pferd Cornet Obolensky von Olympiareiter Marco Kutscher kam.
Das wurde wie Kutscher und Teamarzt Dr. Björn Nolting nun bestätigten in Hongkong ohne Wissen des Weltreitverbandes FEI mit den Substanzen Arnika und Lactanse behandelt, was eine unerlaubte Medikation bedeuten würde, und soll nach dem ersten Umlauf des Nationenpreises in der Box kollabiert sein. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) soll früh davon gewusst haben, entschied sich nach eigener Aussage aber dafür, „hierüber die Öffentlichkeit nicht zu unterrichten” und sieht sich jetzt massiven Vorwürfen ausgesetzt. Ist das womöglich die Bombe, die Georg Ahlmann hatte platzen lassen wollen?
„Quatsch”, sagt der Vater des für acht Monate gesperrten und auf Drängen ausgerechnet der FN als Dopingsünder verurteilten Springreiters Christian Ahlmann. „Wenn wir so etwas hätten machen wollen, dann hätten wir das doch viel früher getan. Wir schwärzen niemanden an, nur um uns reinzuwaschen.” Er verhehlt jedoch nicht seine „Genugtuung darüber, dass diese Funktionäre von ihrer eigenen Scheinheiligkeit eingeholt und jetzt an den Pranger gestellt” werden.
In Verdacht geraten sind die Ahlmanns, weil es ausgerechnet Dr. Peter Cronau war, der mit einem kritischen Brief an die FN den Stein ins Rollen gebracht hat. Jener Mann, der für die Familie Ahlmann als Gutachter vor dem Internationalen Sportgericht in Lausanne aufgetreten ist. „Natürlich ist der Verdacht nachvollziehbar”, räumt der Bochumer ein. „Aber das war ein Alleingang von mir. Der Brief ist vom10. März, Georg Ahlmann kennt ihn erst seit kurzem.”
Fass ohne Boden
Zum Ende ihrer Verbandstagung in Nürnberg ließ die FN gestern auf Antrag einiger Mitglieder nach nahezu einstimmigem Votum verlautbaren, „die Aufklärung und Aufarbeitung aktueller Fälle möglicher Regelverstöße ist unter Wahrung größtmöglicher Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit fortzusetzen.”
Ein unverhohlener Seitenhieb gegen die eigenen Funktionäre, die Informationen über den Fall Kutscher wochenlang für sich behielten. „Natürlich könnte man im Nachhinein sagen, dass das falsch war”, räumt FN-Generalsekretär Sören Lauterbauch ein.
Zumal der „Fall Kutscher” nicht das Ende der Fahnenstange sein könnte. FN-Geschäftsführer Sport Reinhard Wendt, seit 20 Jahren Delegations-Chef bei Championaten, räumte ein, dass es Verdachtsmomente für weitere Fälle unangemeldeter Behandlungen innerhalb der deutschen Mannschaft in Hongkong gibt.
Der Bochumer Tierarzt Dr. Peter Cronau ist überzeugt, dass es noch mehr Unregelmäßigkeiten gibt: „Was jetzt Bestandteil des öffentlichen Kenntnisstandes ist, ist noch nicht alles. Ich arbeite an weiteren Aussagen.”
Dass nun etwa vom Teamarzt in Hongkong, Dr. Björn Nolting, von einem eigenmächtigem Verhalten der Pflegerin von Cornet Obolensky die Rede ist, hält er für einen Witz. „Wie soll die denn an das Medikament gekommen sein?” Und: „Wenn Pflegerinnen bei einem Wettbewerb ohne Sanktionen ein Medikament benutzen dürfen, das nicht erlaubt ist, dann wäre allem Tür und Tor geöffnet.”
Dann gäbe es vielleicht doch Zustände wie noch vor Jahrzehnten. Cronau: „Die erste Dopingprobe im Reitsport gab es 1984. Bei den Olympischen Spielen in München oder Montreal konnten doch sie tun und lassen was sie wollten. Und das wurde auch getan.”
Wer das Schreiben beim Nachrichtenmagazin Spiegel lanciert hat, wisse er nicht, so der 67-jährige Inhaber einer Tierklinik, der von 1976 bis 1998 Team-Tierarzt der deutschen Springreiter war. Beim gestern in Mannheim zu Ende gegangenen Maimarkt-Turnier musste sich Christian Ahlmann jedenfalls gegenüber einigen Kollegen rechtfertigen. Sein Vater berichtet von einer Aussprache, die Verdächtigungen seien aus der Welt.
Derweil gerät der deutsche Verband in die Schusslinie. Warum hat er nicht wie bei Ahlmann auch sofort Sanktionieren ergriffen und Kutscher aus dem A-Kader gestrichen? Nach einem vermeintlichen Gutachten, vom Gutachter selbst, dem CAS-Mitglied Dr. Dirk Rainer Martens (München) als „schnell gestrickte Stellungnahme” bezeichnet, wird es vorerst keine verbandsjuristischen Schritte gegen Kutscher geben, der bei Deutschlands Springreiter-Ikone Ludger Beerbaum angestellt ist. Wird da mit zweierlei Maß gemessen?
„Nein”, sagt FN-Generalsekretär Sören Lauterbauch. „Wir haben jetzt einige neue Erkenntnisse, konnten uns aber wegen der Jahrestagung in Nürnberg an diesem Wochenende noch nicht darum kümmern.” Ohnehin sei zunächst der Weltreiterverband FEI gefragt, da es sich um eine internationales Turnier gehandelt habe. Die FEI hat gestern einen Untersuchungsausschuss eingesetzt. „Es ist eine außergewöhnliche Maßnahme, die die mögliche Beteiligung von Repräsentanten des nationalen Verbandes bei einem Verhalten widerspiegelt, das die Verletzung des Doping-Regelwerks beinhalten könnte”, heißt es.