Herne. Chris Seifert, Co-Trainer von Westfalia Herne, bittet die Spieler auch zum Neuroathletiktraining. Was beim Westfalenligisten dahintersteckt.

Rohbar Derwish versucht gerade, den Ball hochzuhalten. Gar nicht so leicht, denn der Co-Trainer von Westfalia Herne, Chris Seifert, hat ihm eine Augenklappe für diese Übung empfohlen. Teamkollege Lokman Erdogan hat als Zuschauer schon so eine Ahnung: „Ist das schwer, Bruder?“

Derwishs Antwort ist ein gequältes Grinsen in Richtung seines Teamkollegen, während er den Ball holen muss, der ihm gerade doch ein Stück weiter vom Fuß gesprungen ist.

Aber das ist nicht schlimm: Fehler, hatte Chris Seifert gesagt, gehören an diesem Dienstagabend in diesem Bereich des Stadions am Schloss dazu. In Seiferts Bereich findet unter anderem ein „Neurozentriertes Training“ statt.

Das Material, das bereit liegt, sieht zu Beginn eher unspektakulär aus. Anfangs ist noch das Torwarttraining von Heribert Lachmann der stärkere Blickfang. Vor ihm sitzen zwei Torleute jeweils auf einem knallroten Gummiball und bekommen einen Ball von Lachmann zugeworfen. Aber nun ist auch die Zeit fürs Neurozentrierte Training gekommen.

Westfalia Herne: Schulterblick im Hütchenkreis

Drei Mann trainieren an diesem Abend mit Chris Seifert. Es gibt vier Stationen mit Übungen zur Koordination, zur Stabilisierung von Knie- und Sprunggelenk. So weit, so gängig – und dazu, „neurozentriert“, ein visuelles Training. An diesem Abend ist der Schulterblick dran. Ein Tablet gibt eine Zahl vor, der Spieler muss das passende Hütchen ansteuern.

Beim „Neurozentrierten Check Up“: Chris Seifert (re.) hat in diesem Fall Kopf- und Kinnhaltung von Lokman Erdogan im Blick.
Beim „Neurozentrierten Check Up“: Chris Seifert (re.) hat in diesem Fall Kopf- und Kinnhaltung von Lokman Erdogan im Blick. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Chris Seifert ist wie Marc Duic Co-Trainer im Trainerteam von Patrick Knieps, aber dabei ist er auch zuständig für den Bereich Neuroathletik. Die soll Spielern helfen, auf dem Platz die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die Übung im Hütchenkreis etwa soll den Schulterblick trainieren. „Das ist ein ergänzendes Training, das steht nie für sich alleine“, sagt Chris Seifert. „Aber die Spieler müssen auch auf dem Platz ständig denken und Entscheidungen treffen.“

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Seifert hatte seinem Spieler-Trio vor dem Beginn gesagt, dass Fehler hierbei erst mal kein Problem sind. Im Gegenteil: „Fehler sind hier eingeplant. Sie sind ja später auch Teil des Spiels.“ Die Frage ist, wie man mit ihnen umgeht. Chris Seifert hat schon bei der TSG Sprockhövel mit dem neuen Westfalia-Trainer Patrick Knieps zusammengearbeitet.

Für Knieps ist Seiferts Arbeit „extrem wichtig, vor allem die Schulung für die Augen. Das periphere Sehen zum Beispiel ist wichtig für enge und unübersichtliche Situationen im Spiel. Chris hat auch ein großes Wissen um die Nervenstränge im Körper und wie man auch nach Verletzungen schmerzfrei im Training arbeiten kann.“

Neuroathletiktraining ist etwa seit 2010 ein Thema, entwickelt von Lars Lienhard, der unter anderem 2014 zum Betreuerstab der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der WM in Brasilien gehörte. Es gibt Momente an diesem Abend in den Herner Hütchenkreisen, da erscheint die WM in Brasilien doch einigermaßen weit weg. Aber, sagt Chris Seifert: Dieses Training steht jetzt zu Saisonbeginn noch am Anfang, und: „Am Ende geht’s doch um Spaß.“

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Aber ein Ziel hat dieses Training ja. Wenn Seifert die Spieler durchcheckt, von der Augenfunktion bis zum richtigen Gang und der Körperhaltung in bestimmten Situationen, dann erklärt er das so: „Wir haben sozusagen den Körper als Hardware und gucken, ob auch die Software dazu funktioniert.“

Eine Kombination, die dem 35-jährigen Seifert – als Fußballer ist er noch bei den Alten Herren des FC Silschede aktiv – auch beruflich vertraut ist. Er ist Lehrer an einer Realschule in Herten, und seine Fächer sind: Biologie und Sport.

Während Seifert gerade Ivan Benkovic durchcheckt und Lokman Erdogan und Rohbar Derwish im Parcours unterwegs sind, rollt auf dem Platz schon die Kugel beim Trainingsspiel. Da geht es schon unter Wettkampfbedingungen zur Sache, und man kennt das: Hier wird jeder Fehler sofort – vom anderen Team – bestraft.

Neuroathletik: Gruppe der interessierten Trainer wird größer

Anfang der 2000er-Jahre fing der Athletiktrainer Eric Cobb damit an, ein Ausbildungssystem für Trainer und Therapeuten zu entwickeln, das als „Z-Health Performance Education“ Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und die gängigen Praktiken aus Therapie und Athletiktraining verbindet.

In Deutschland setzte vor allem Sportwissenschaftler Lars Lienhard Neuroathletiktraining im Spitzensport ein. Chris Seifert hatte sein erstes Seminar zu dem Thema 2018 gemacht, hat seit Jahren Kontakt zu Yassin Jebrini, Sportwissenschaftler und ehemaliger Leistungssportler. Die Gruppe von Trainern, die sich speziell für die Neuroathletik interessiert, werde immer größer, so Seiferts Erfahrung aus den vergangenen Jahren.