Wanne-Eickel. Der TC BW Wanne-Eickel gründet eine Rollstuhltennis-Abteilung und hat bereits das erste Mitglied: Samuel Mirzaian (22).

„Locker den Arm durchschwingen.“ „Näher an den Ball ran.“ „Ja, der war gut!“ „Und jetzt Bälle einsammeln.“ Welcher Tennisspieler kennt diese Trainersätze nicht? Wie Samuel Mirzaian, 22-jähriger Medizinstudent an der Ruhr-Universität in Bochum.

Doch der Börniger schwingt nicht auf zwei Beinen stehend oder laufend durch, sondern rollt näher an den Ball heran und sammelt die gelben Filzkugeln im Sitzen ein. Samuel Mirzaian ist seit über zweieinhalb Jahren an ALL (Akute Lymphatische Leukämie) erkrankt und sitzt nach mehreren Operationen mit einer inkompletten Querschnittslähmung im Rollstuhl.

TC Blau-Weiß schafft zwei der besonderen Sportgeräte an

Er muss gleich zwei Sportgeräte beherrschen, wenn er auf dem Tennisplatz ist: den Schläger und sein Fortbewegungsmittel, den Rollstuhl.

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Samuel Mirzaian ist das erste Mitglied der neuen Rollstuhltennis-Abteilung im TC Blau Weiß Wanne-Eickel. Der Traditionsverein von der Emscherstraße hat zwei der besonderen Rollstühle für ca. 6000 Euro angeschafft, da Betroffene keine finanzielle Unterstützung der Krankenkassen erhalten.

Verein will für „Offenheit und Mut zur Veränderung“ werben

Norbert Zielonka, 1. Vorsitzender des TC Blau-Weiß: „Inklusion, also die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung, ist auch im Sport ein wichtiges Thema. Wir als Tennisspieler wollen für Offenheit und für Mut zur Veränderung werben. Dies ist die Basis in unserem Verein, in dem Verschiedenheit normal ist.“

Die beiden Sport-Rollstühle sowie ein Jahr kostenloses Training für die Mitglieder der neuen Abteilung sind Indizien dafür, dass „wir es mit der Inklusion Ernst meinen“.

Samuel Mirzaian versuchte es ab Sommer 2019 wieder mit dem Tennissport

Schon vor seiner Krankheit spielte Samuel zwei Jahre Tennis bei Blau-Weiß, hörte dann aber irgendwann auf. Sein Interesse an dem Sport verflog aber nie und im Sommer 2019 versuchte er es wieder – im Straßen-Rollstuhl und auf roter Asche.

BW-Trainer Oliver Buschmann und Norbert Zielonka animierten ihn dann zum Weitermachen. Ab Januar will der 22-Jährige einmal wöchentlich in der Tennishalle trainieren, weil „es mir riesigen Spaß macht und ich vor allem beweglich bleiben will“.

Dreimal in der Woche im „Rewalk“, einem Exoskelett

Überhaupt hadert der Student nicht mit seinem Schicksal, sondern nimmt es an. Dreimal in der Woche zwängt er sich in einen „Rewalk“, ein Exoskelett, schnallt sich an und versucht, selbstständig zu laufen.

Trainer Oliver Buschmann, Justin Blum und Samuel Mirzaian (v.li.) bereiten die Übungseinheit vor.
Trainer Oliver Buschmann, Justin Blum und Samuel Mirzaian (v.li.) bereiten die Übungseinheit vor. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Dafür benötigt er kräftige Hände, Arme und Schultern, ein gesundes Herz-Kreislauf-System, ausreichende Knochenfestigkeit und Durchhaltevermögen, um die Handhabung des Gerätes zu erlernen. Dazu kann das Tennisspiel im Rollstuhl einiges beitragen. Hinzu kommt regelmäßige Physiotherapie, um Muskeln und die Rumpfstabilität aufzubauen.

Der Tennis-Rollstuhl ist weniger und schneller

Denn seinen Traum, die Krankheit zu besiegen, will er nicht aufgeben, obwohl er zugibt: „Es ist nicht klar, ob ich je wieder laufen kann.“

Mobil fühlt er sich trotzdem, auch dank seines behindertengerecht umgebauten Autos. Und zu Hause in Börnig ist alles barrierefrei, so dass „ich gut durch den Alltag komme“, sagt Samuel, um dann augenzwinkernd hinzuzufügen: „Wenn ich nicht gerade im Supermarkt einkaufe, wo viele Regale für uns Rollstuhlfahrer viel zu hoch sind.“

Viel wohler fühlt er sich beim Probesitzen im Tennis-Rollstuhl: „Die sind wendiger und schneller als normale Rollstühle und haben einen Kippschutz.“ Gurte am Oberkörper, an den Oberschenkeln und an den Waden sorgen zudem für Sicherheit.

Außenplätze an der Emscherstraße sind noch nicht barrierefrei

Und wenn der Sommer naht, sprich die Freiluft-Saison? „Wir haben beim Stadtsportbund finanzielle Unterstützung für einen barrierefreien Außenplatz beantragt. Dafür wird ein anderer Unterbau benötigt“, so Norbert Zielonka.

Überhaupt will der Vorsitzende den TC Blau-Weiß so barrierefrei wie möglich gestalten: „Ein Lift, um ins Clubhaus zu kommen, barrierefreie Duschen und WCs, dafür werden wir versuchen, in so viele Fördertöpfe wie möglich zu greifen“.

Dass das Vereinsangebot der Wanne-Eickeler an der Emscherstraße aber jetzt schon einzigartig ist, lässt sich daran erkennen, dass Samuel Mirzaian in kürzester Zeit mit seinem Studienkollegen Justin Blum einen Trainingspartner gefunden hat – über viele weitere Rollstuhltennis-Spielerinnen oder -Spieler würde er sich sehr freuen.

Ausnahme im Regelwerk: der Ball darf zweimal aufticken

Die Regeln im Rollstuhltennis entsprechen mit einer Ausnahme denen des „Fußgänger“-Tennis: Der Tennisball darf nicht ein, sondern zweimal aufspringen, bevor er geschlagen wird.

Dies ist aber auch nur eine Option, denn der Ball darf natürlich auch als Volley oder nach dem ersten Aufsprung gespielt werden.

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Wichtig: Lediglich der erste Bodenkontakt des Balles, nicht aber der zweite, muss innerhalb des Feldes erfolgen.

Der individuell angepasste Tennisrollstuhl wiegt nicht nur wesentlich weniger als ein normaler Rollstuhl, sondern unterscheidet sich auch durch den extrem negativen Sturz der Lauf- sowie durch zusätzliche Stützräder vorne und hinten.

Dadurch wird eine größere Wendigkeit erreicht, zudem ist ein Kippen des Tennisrollstuhls (fast) unmöglich. Die hohen Anschaffungskosten erschweren allerdings den Einstieg in die Sportart Rollstuhltennis.

Schatzmeister beim Leo-Club „Die Dickköppe“

Samuel Mirzaian nutzt seine Freizeit gerne zum Lesen, zum Bau von Lego-Technik-Modellen oder für die Gartenarbeit. Zudem führt er als Schatzmeister die Kasse beim Leo-Club „Wanne-Eickel Dickköppe“.

Über die Sozialen Medien steht er in Kontakt mit Nick Nobbe, einem erfolgreichen Rollstuhltennisspieler aus Münster, „der mir geraten hat, Rollstuhltennis zu spielen und meinen Traum zu leben. Das will ich jetzt angehen“.