Gladbeck. Die Olympia-Absage hat Jessica Steiger hart getroffen. Aber der Traum der Gladbeckerin von Tokio lebt weiter - auch wenn es manchmal schwerfällt.
In den vergangenen Wochen und Monaten versuchte sie sich einigermaßen erfolgreich als Verdrängungskünstlerin. „Zuletzt“, sagt Jessica Steiger, „bin ich aber schon ein paar Mal darauf angesprochen worden.“ Auch von der WAZ. Am heutigen Freitag wären nämlich eigentlich in Tokio die Olympischen Spiele eröffnet worden - und die 28-jährige Topschwimmerin des VfL Gladbeck wollte ja unbedingt dabei sein. „Ich versuche“, sagt Steiger, „möglichst wenig daran zu denken. Es macht doch nur traurig.“
Jessica Steiger heiratet Mitte August ihren Marco
Am 24. März wurden die Spiele 2020 wegen der Corona-Pandemie abgesagt. Bei Jessica Steiger flossen an diesem Tag Tränen. Nachdem sie London 2012 und Rio de Janeiro 2016 verpasst hatte, sollte in Tokio ihr großer Traum von Olympia doch endlich in Erfüllung gehen. Entsprechend hart hatte sie dafür trainiert, tagein, tagaus, die Spiele 2020 immer vor Augen. „Es ist einfach bitter“, sagt die Gladbeckerin heute noch. Und: „Ich kämpfe das ganze Leben dafür.“
Aber Jessica Steiger will und wird auch nicht aufgeben. Eine Crowdfunding-Kampagne verlief erfolgreich, so dass sie unter anderem die unbedingt erforderlichen Trainingslager finanzieren kann. Und auch ihr Privatleben hat sie neu ausgerichtet: So heiratet sie nun Mitte August im Gladbecker Standesamt ihren Freund Marco. Dafür lässt sie das traditionelle Meeting in Rom sausen, das am 12. und 13. August ausgetragen werden soll. „Dieses Risiko möchte ich nicht eingehen, bei meinem Glück schaffe ich es nicht rechtzeitig zurück“, sagt sie und lacht.
Am Wochenende nimmt Jessica Steiger an einem Wettkampf in Magdeburg teil
Wettkämpfe hat Jessica Steiger seit dem Corona-Lockdown übrigens nicht bestritten. Der Grund: Es fanden, anders als in anderen Sportarten, im Schwimmen schlichtweg noch keine statt. Alle internationalen Meetings wurden abgesagt. „Ich bin in einem Schwebezustand“, beschreibt die VfLerin ihre Gemütslage. Sie habe fleißig trainiert. „Aber der Druck ist nicht da“, betont sie.
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Was sie nun allmählich ändert. Kürzlich nahm Steiger aus dem vollen Training heraus an einem internen Vergleich im Rüttenscheider Leistungszentrum teil („Ich war ziemlich nervös, weil ich lange keinen Wettkampfanzug mehr anhatte“), an diesem Wochenende fährt sie zu einem Wettkampf für Bundeskader nach Magdeburg.
Die DM soll Ende Oktober/Anfang November steigen
Die größte Herausforderung wartet schließlich vom 29. Oktober bis zum 1. November in Berlin auf die nationale Elite. Dann sollen nämlich die Deutschen Meisterschaften ausgetragen werden. „Das“, sagt Steiger, „wird definitiv komisch. Ursprünglich sollten die Deutschen ja der Abschluss der Quali für Olympia 2020 sein.“
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Ihre nun wichtigste Aufgabe? „Ich muss vom Trainings- in den Wettkampfmodus finden.“ Was aus Jessica Steigers Mund wirklich merkwürdig klingt, weil sie als absoluter Wettkampftyp gilt und eigentlich immer, wenn es darauf ankam und die Konkurrenz stark war, ihre Leistungen gebracht hat.
Jessica Steiger stellen sich quälende Fragen
Wie auch Anfang des Jahres, als die Gladbeckerin bereit war, sich für die Olympischen Spiele 2020 zu qualifizieren. Ihr Frühform war top, in 1:07,33 Sek. hatte sie am 7. März in Antwerpen in eine persönliche Bestleistung aufgestellt. Ein Ausrufezeichen, gleich zu Saisonbeginn!
Nun quält Jessica Steiger immer mal wieder die Frage, ob sie im nächsten Jahr ähnlich fit sein wird wie sie es im März war. Und wenn sie sich schon einmal Gedanken macht, stellt sich ihr irgendwann diese, noch viel quälendere Frage: „Finden die Spiele im nächsten Jahr überhaupt statt?“
Für Jessica Steiger ist Tokio 2021 die letzte Chance
Jessica Steiger schlüpft dann wieder in die Rolle Verdrängungskünstlerin. Allerdings nur mit mäßigem Erfolg, wie sie selbst zugibt: „Es gibt Tage, an denen ich googele, wie die Tendenz aussieht, also ob die Spiele im nächsten Jahr überhaupt stattfinden können oder nicht. Und wenn ich dann etwa lese, dass sie möglicherweise ohne Zuschauer stattfinden sollen, fühle ich mich schlecht.“ Die VfLerin sagt: „Ich trainiere doch dafür, an einer richtigen Olympiade teilzunehmen.“
Plötzlich hält Jessica Steiger im Gespräch inne. „Es ist meine letzte Chance“, sagt sie. Und dann fügt sie an: „Aber es gibt ja Schlimmeres.“