Gladbeck. Fußball-Provinz Gladbeck? Von wegen!Julian Draxler, Pierre-Michel Lasogga und Moritz Nicolas sind gebürtige Gladbecker. Eine Spurensuche.

„Durchschnitt macht depressiv“, diagnostizierte Jürgen Klopp, damals noch Trainer in Diensten von Mainz 05. Unterstellt, der Gladbecker Fußball sei Patient, dürfte die Notwendigkeit, sich in psychotherapeutische Untersuchung zu begeben, äußerst gering sein. Denn gekickt wird in der Kleinstadt im nördlichen Ruhrgebiet in den untersten vier Ligen. Nicht einmal Mittelmaß also? Mitnichten! Es lohnt der zweite, der genauere Blick.

Aktuell haben eine Hand voll Kicker, die einst in Gladbeck das Licht der Welt erblickten, ihr Hobby zum wahrlich lukrativen Beruf gemacht. Profis aus der Provinz! Vor wenigen Tagen erst setzte ein junger Mann namens Moritz Nicolas seinen Namenszug unter einen Vertrag, den ihm Union Berlin vorlegte. Der Kult-Klub aus Köpenick schaffte bekanntlich via Relegation den Sprung in die bundesdeutsche Eliteklasse und verhalf damit dem aus Gladbeck stammenden Torwart zum Sprung von der Regional- (Borussia Mönchengladbach U23) in die Bundesliga.

Jörg Waschkewitz möchte einen Eimer Asche nach Berlin schicken

Im Borussia Park in Mönchengladbach hat sich vor zwei Jahren Moritz Nicolas mit der Gladbecker WAZ getroffen. Nun geht’s für den Torwart nach Berlin zu Union.
Im Borussia Park in Mönchengladbach hat sich vor zwei Jahren Moritz Nicolas mit der Gladbecker WAZ getroffen. Nun geht’s für den Torwart nach Berlin zu Union. © Funke Foto Services | Lars Heidrich

In der E- und D-Jugend lag Nicolas’ Spielerpass im Geschäftszimmer des Kreisligisten Adler Ellinghorst. „Er ist mir sofort aufgefallen“, erinnert sich Adler-Chef Jörg Waschkewitz. „Er haute sich mächtig rein, hatte überhaupt keine Angst und erinnerte mich vom Outfit her ein wenig an Olli Kahn.“ Eigentlich habe er in den letzten Jahren damit gerechnet, dass er schon in Mönchengladbach den Sprung schaffe. „Moritz ist keinen Deut schlechter als Yann Sommer, aber Trainer Dieter Hecking setzte halt mehr auf Ältere“, so Waschkewitz.

Das anfängliche Manko, auf der Linie zu kleben, habe man ihm in Ellinghorst abgewöhnt. „Wenn ein Stürmer allein auf Moritz zuläuft, hat der mehr Bammel als der Keeper“, so Waschkewitz, der hofft, dass sein ehemaliger Schützling an der Alten Försterei deutlich mehr Einsätze erhält als in Mönchengladbach: „Einem Jugendnationaltorwart kann man doch vertrauen.“ Das Torwart-ABC erlernte er auf dem Adlerhorst, bekanntlich ein Hartplatz. „Ich würde ihm als Erinnerung daran gern einen Eimer Asche nach Berlin schicken“, sagt Waschkewitz und lacht.

Daniel Griese betont: Im Kopf muss es stimmen

Pierre-Michel Lasogga begann seine Karriere einst an der Roßheidestraße in Brauck. In der neuen Saison kickt der Torjäger für Al-Arabi/Katar.
Pierre-Michel Lasogga begann seine Karriere einst an der Roßheidestraße in Brauck. In der neuen Saison kickt der Torjäger für Al-Arabi/Katar. © dpa | Friso Gentsch

Eine Quiz-Frage zum Auftakt. „Wie viele aktuelle Profis stammen aus Gladbeck?“ Daniel Griese, Trainer des BV Rentfort III, tippt nach kurzer Überlegung: „Fünf bis sieben. Julian Draxler, Moritz Nicolas und einige, die in der Regionalliga unterwegs sind.“ Ausgerechnet Pierre-Michel Lasogga hatte er nicht auf dem Schirm, obwohl, so Griese, „der damals in der gleichen Straße wohnte wie ich.“ Aber der Ex-Goalgetter des Hamburger SV, der vor kurzem einen dreijährigen Vertrag bei Al-Arabi (Katar) unterschrieb und seine ersten Ballübungen beim FC Gladbeck absolvierte, ist zehn Jahre jünger als der Coach der BVR-Dritten.

Besser einschätzen kann Griese hingegen Gladbecks prominentesten Profi: „Jule Draxler habe ich einige Male in der B- und A-Jugend bei Schalke gesehen. Aus Spaß habe ich so gesagt, aus dem wird mal einer.“ Neben dem Talent spiele der Fleiß eine große Rolle. Griese: „Dem Ziel Profi muss man alles unterordnen. Und ein wenig Glück gehört auch dazu, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein mit einem Trainer, der einem vertraut.“ Kaum zu überschätzen sei zudem die mentale Verfasstheit: „Im Kopf muss es stimmen.“ Er kenne zwei heimische Fußballer, Top-Talente, „aber mental waren beide allenfalls C-Liga-Level.“

Mike Dierig weiß, dass Talent alleine nicht reicht

Timo Kunert wurde mit Schalke Deutscher Jugendmeister und spielt nun in der Regionalliga Südwest für den TSV Steinbach.
Timo Kunert wurde mit Schalke Deutscher Jugendmeister und spielt nun in der Regionalliga Südwest für den TSV Steinbach. © Thorsten Tillmann | Thorsten Tillmann

Glück, den absoluten Leistungswillen und vor allem ein intaktes Umfeld sind für Mike Dierig viel höher einzuschätzen als das Talent. Dierig, bei vielen Vereinen als Mittelfeldstratege am Ball, unterrichtet an der Gesamtschule am Berger Feld viele Top-Talente, die das Training in der Knappenschmiede kombinieren mit einer soliden schulischen Ausbildung. „Die vor mir die Schulbank drücken, sind allesamt Riesentalente, dennoch schaffen nur etwa zehn Prozent den Sprung in die Bundesliga“, so seine Bilanz.

„Dass es Draxler, Gündogan oder Özil so schaffen würden, war wegen ihrer fehlenden Robustheit auch nicht so ganz klar“, blickt er zurück. „Timo Kunert, auch er kommt aus Gladbeck, war mit Schalke Deutscher Jugendmeister, auf der Sechs ein Super-Fußballer, der aber auch den richtigen Durchbruch nicht geschafft hat.“ Kunert spielt derzeit beim TSV Steinbach in der Regionalliga Südwest.

Karl-Heinz Pia hat viele Top-Talente mitgeformt

Gleich in zweierlei Hinsicht kommt seinem Urteil ein besonderes Gewicht zu. Sein Enkelkind Jan-Niklas Pia hat gerade der U19 des MSV Duisburg ade gesagt, um bei der U23 von Borussia Mönchengladbach den nächsten Schritt zu tun. Zum anderen hat Karl-Heinz Pia als langjähriger Zweckeler Jugendtrainer und Coach der Westfalenauswahl einer ganze Reihe von jugendlichen Talenten geholfen, den Sprung nach oben zu riskieren und zu schaffen. „Benjamin Reichert, Marcel Landers, Karsten Hinz und Markus Schwiderowski sind unter meiner Regie Westfalenmeister geworden und haben auch den Sprung ins Profilager geschafft“, zieht der mittlerweile 73-Jährige Bilanz. Sein Credo: „Wenn man den Fußball zum Beruf machen will, sind Talent und Training absolute Voraussetzung. Nur wenn man jeden Tag mehr tun will als andere, hat man Erfolg. Man muss sich jeden Tag aufs Neue etwas beweisen und dabei über die Schmerzgrenze hinaus gehen.“ Daneben seien eine gesunde Ernährung und ausreichend Schlaf unerlässlich. Pia: „Zu meinen, es gehe von allein, ist ein Irrweg. Von nichts kommt nichts.“