Buer. Als Russland angriff, besuchte Vladyslav Vatav gerade seine Tante – und konnte fliehen. Jetzt spielt er in Gelsenkirchen bei Viktoria Resse.
Als Russland seine Heimat angriff, war Vladyslav Vatav gerade bei seiner Tante zu Besuch. Vladyslav Vatav ist Ukrainer und lebte bis zum russischen Angriff in der Hauptstadt Kiew. Wenige Tage vor dem 24. Februar war er nach Moldau gefahren, wo die Familie seines Vaters wohnt, so erzählt es Vladyslav Vatav. Ein Zufall, der ihm womöglich das Leben rettete. Er reiste nicht mehr zurück in die Ukraine, denn dort wäre er mit seinen 25 Jahren zum Militär eingezogen worden. Stattdessen flüchtete er mit dem Großteil seiner Familie nach Deutschland und landete in Gelsenkirchen. Hier arbeitet er nun als Fitnesstrainer, spielt für den Fußball-Bezirksligisten Viktoria Resse und sprintet quasi in ein neues Leben.
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In den achteinhalb Monaten, die Vladyslav Vatav nun in Deutschland ist, hat er schon recht gut Deutsch gelernt. Noch vor den ersten Fragen zu seiner Geschichte fängt er selbst an, auf Deutsch von sich zu erzählen – in kurzen, aber verständlichen Sätzen: „Ich heiße Vlad. Ich komme aus der Ukraine. Ich wohne in Gelsenkirchen. Ich spiele bei Viktoria Resse und arbeite bei Limitless. Ich bin Fitnesstrainer von Beruf.“
Viktoria Resse kooperiert mit dem Fitnessstudio Limitless
Vladyslav Vatav sitzt im Kursraum des Fitnessstudios Limitless in Buer. Hier hat er kurz nach seiner Flucht als Praktikant angefangen, mittlerweile ist er auf 450-Euro-Basis beschäftigt. In der Ukraine arbeitete der 25-Jährige als Fitnesstrainer für Tennisprofis. Außerdem spielte er Fußball und schaffte es in die zweite ukrainische Liga, wo er zwei Jahre lang bei Podillya Khmelnytskyi kickte. Davor hatte er sogar 17-mal für den moldauischen Erstligisten FC Dinamo-Auto Tiraspol gespielt. Als Russland im Februar die Ukraine angriff und Vladyslav Vatav bei seiner Familie in Moldau war, stand schnell fest, dass er nach Deutschland flüchten will. „Mein Vater hat einen Freund, der in Deutschland wohnt“, erzählt Vladyslav Vatav, der seine Gefühle bei Kriegsausbruch so beschreibt: „Katastrophe“.
Vladyslav Vatav leitet Kurse für Flüchtlinge
Mittlerweile hat Vladyslav Vatav eine eigene Wohnung und gibt beim Fitnessstudio Limitless kostenlose Kurse für andere Flüchtlinge aus der Ukraine. Ein solches Angebot hatte das Fitnessstudio schon kurz nach Kriegsbeginn eingerichtet, doch erst als Vladyslav Vatav kam, wurde es auch angenommen.
„Am Anfang“, erzählt Mit-Geschäftsführer Denis Wieser, „ist gar keiner gekommen, weil die Hemmung da war, ein kostenloses Angebot anzunehmen und die Sprache nicht zu können. Es ist viel besser, wenn da jemand wie Vlad ist, der weiß, wovon die Leute reden.“ Das Fitnessstudio möchte Vladyslav Vatav nun in Vollzeit anstellen.
In Gelsenkirchen kam er zunächst in einem Hotel unter. Er versuchte, sich direkt zu integrieren, zum einen über den Fußball, zum anderen über die Arbeit: Beides konnte ihm Viktoria Resse bieten, denn der Verein kooperiert mit Limitless. „Vlad war sofort total engagiert und wollte auch direkt die deutsche Sprache lernen“, erinnert sich Studio-Leiter Peter Krywobokow, der Vladyslav Vatav eingearbeitet hat. Beide konnten sich von Anfang gut verständigen, denn Peter Krywobokow spricht Polnisch, was dem Ukrainischen ähnelt. „Wir mixen Polnisch und Ukrainisch. Mittlerweile haben wir schon eine eigene Sprache entwickelt“, erzählt Peter Krywobokow und lacht.
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Vladyslav Vatav hätte nicht für sein Land kämpfen wollen
Auch jetzt hilft er Vladyslav Vatav beim Antworten. Teilweise gerät aber auch Peter Krywobokow an seine Grenzen, vor allem, wenn Vladyslav Vatav über emotionale Themen redet. Ob er für sein Land hätte kämpfen wollen, wenn er zu Kriegsbeginn nicht zufällig in Moldau, sondern in der Ukraine gewesen wäre? „Nein“, antwortet Vladyslav Vatav. Auf die Frage nach den Gründen zückt er sein Handy und gibt etwas in ein Übersetzungsprogramm ein. „Weil mir die Ukraine nichts gegeben hat“, lautet der erste von einigen bemerkenswerten Sätzen. „Wenn ich und mein Bruder krank wurden, mussten wir die Behandlungen selbst bezahlen. Wenn wir studieren wollten, lief’s genauso. Ich denke, dass ich mein Leben nicht der Ukraine verdanke.“
Vladyslav Vatav verweist etwa auf Korruptionsprobleme in der Politik. Dass die Ukraine den Krieg gewinnt, wünscht er sich dennoch – vor allem für seine Landsleute. „Das sind alles so gute Menschen. Sie haben es nicht verdient, dass sie jetzt alles ausbaden müssen. Ich liebe die Ukraine, aber von der Politik bin ich nicht überzeugt.“
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Vladyslav Vatavs Bruder ist noch in der Ukraine, arbeitet bei der Armee
Vladyslav Vatavs Bruder ist indes noch in der Ukraine, er arbeitet bei der Armee. Einmal im Monat telefonieren sie – häufiger geht es nicht, da die Gespräche abgehört werden und die Russen sonst den Standort der Armee herausfinden könnten. Jeden Tag denke er über den Krieg nach, meint Vladyslav Vatav. Doch genau hier hilft ihm der Fußball: „Dann denke ich mal an nichts.“
Derby am Lüttinghof: Der SC Hassel empfängt den SV Hessler 06
Die Hinrunde in der Fußball-Bezirksliga endet mit einem Derby am Lüttinghof. Der vom Abstieg bedrohte SC Hassel empfängt den Tabellendritten SV Hessler 06. „Wir wollen das erfolgreiche erste Halbjahr mit einem Sieg abschließen“, sagt 06-Trainer Holger Siska. „Es wird sicherlich kein einfaches Spiel für uns.“ Hassels Interimscoach Enes Ayyildiz hofft auf eine Überraschung: „Derbys schreiben ihre eigene Geschichte. Für uns ist jeder Punkt wichtig.“
Viktoria Resse freut sich auf Spitzenreiter SV Vestia Disteln, der am vergangenen Sonntag seine erste Niederlage kassierte. „Ich bin sicher, dass wir auch gegen Disteln ein Mittel finden, um mithalten zu können“, sagt Resses Coach Matthias Potthoff nach zuletzt zwei Siegen.
Der Erler SV 08 tritt beim VfB Günnigfeld an. Torwart Niko Wollny steht dem Tabellensechsten wieder zur Verfügung.
Den Traum vom Fußballprofi, dem er bei seinen Erst- und Zweitligastationen ziemlich nah war, hat Vladyslav Vatav aber inzwischen nicht mehr. Fußball sei nur noch ein Hobby. Einen anderen Traum hat er aber weiterhin: „Ich würde mich gerne mit einem Café selbstständig machen. Das wollte ich schon in Kiew machen, denn ich hatte früher einen Nebenjob als Barkeeper“, verrät er. Das alles plant er übrigens in Deutschland, denn er will auch nach Kriegsende bleiben. Warum? Vladyslav Vatav gibt wieder etwas in das Übersetzungsprogramm ein: „Erstens hat mir Deutschland sehr geholfen, als ich es brauchte. Zweitens mag ich die Menschen hier, dass die Gesetze funktionieren und sich alle geschützt fühlen. Das Komplett-Paket stimmt einfach.“