Rotthausen. Melina Wien vom Judo-Club Koriouchi Gelsenkirchen wird bei den Deutschen Meisterschaften erst im Finale gestoppt. So tickt die 21-Jährige.
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Es ist der Tag davor, der Tag vor dem Triumph, der für Melina Wien mit dem Gewinn der Silber-Medaille bei den Deutschen Judo-Meisterschaften in Stuttgart endet. „Ich war semiaufgeregt“, sagt sie, „und habe mir die Liste nach der Waage abends zuvor extra nicht angeguckt.“ Alle Namen möglicher Kontrahentinnen ausblenden und volle Konzentration auf den Wettkampf in der Scharrena in Bad Cannstatt, die bereits zum fünften Mal Schauplatz der nationalen Titelkämpfe ist.
Und tags darauf, nach dem Blick auf die Liste, ist klar, dass „es nicht schlecht sein würde“, sagt Melina Wien. Bestätigung hat es von Mohsen Ghaffar gegeben. „Heute ist Dein Tag!“, hat der Trainer gesagt. Die Ahnung der beiden führt die 21-Jährige bis ins Finale des Schwergewichts (+78 Kilo), in dem die Judoka des JC Koriouchi Gelsenkirchen dann gestoppt wird, und zwar von Jasmin Grabowski. Zum Verständnis: Die 30-Jährige vom 1. JC Zweibrücken hat für Deutschland bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro sowie Tokio gekämpft und 2021 in Japans Hauptstadt mit der Mixed-Mannschaft die Bronze-Medaille gewonnen.
Mit einer Schweinerolle kommt Jasmin Grabowski gegen Melina Wien zum Síeg
Als wir uns vor dem Training auf dem Hof der Hauptschule Am Dahlbusch treffen, sitzt da eine junge Frau auf der Bank, die immer noch strahlt und immer noch glücklich ist, die Deutschen Meisterschaften mit Edelmetall beendet zu haben. Dabei hat sie auch Yoko, das Maskottchen des Deutschen Judo-Bundes, das alle Platzierten bei den Siegerehrungen erhalten haben und das noch in einer Cellophan-Hülle wohnt.
„Als ich von der Matte gekommen bin, war ich schon enttäuscht. Ich war so nah an der Gold-Medaille“, sagt Melina Wien, die seit 2021 für den Judo-Club Koriouchi startet, als Siebenjährige nach einem Schnupperkurs mit ihrem Bruder David in ihrer Geburtsstadt bei der DJK Adler Bottrop gelandet ist und sich dank ihres zweiten Platzes bei den Westdeutschen Meisterschaften für Stuttgart qualifiziert hat.
„Ich war vorm Finale sehr aufgeregt. Aber Mohsen hat es geschafft, mich gut runterzubringen. Wir haben auch viel durchgesprochen“, sagt sie. „Aber dann war es doch schneller vorbei als gedacht.“ Nach einer Technik namens Soto-maki-komi, die die Judoka Schweinerolle nennen und die bei Schwergewichten sehr beliebt ist.
Gelsenkirchens Silber-Mädchen trainiert fast jeden Tag
Das Problem im Finale gegen die mehrmalige Deutsche Meisterin: deren Linksauslage. „Und als ich dann meinen linken Arm gelöst hatte, war ich vielleicht zu glücklich und habe nicht aufgepasst“, sagt Gelsenkirchens Silber-Mädchen, das fast täglich trainiert und dafür auch in die Nachbarstädte fährt, zum Beispiel mittwochs gerne zum Wittener Kälberweg, zum Judo-Landesstützpunkt bei der Sport-Union Annen.
Nach gerade mal zehn Sekunden hat Jasmin Grabowski rechts gekontert, eben mit dieser Schweinerolle, und sich ihren dritten DM-Titel geholt. „Aber sie hat mich dann auch irgendwann aufgefangen“, erzählt Melina Wien, die als U-18- und U-21-Judoka Siebte bei Deutschen Meisterschaften geworden ist. „Sie hat mir vor der Siegerehrung gesagt, dass sie auch sehr nervös gewesen und es ihr letzter DM-Kampf gewesen sei. Sie wollte auf jeden Fall Gold holen.“
Nach dem Finale muss Melina Wien zur Doping-Kontrolle
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Und dann? Doping-Kontrolle. „Ich glaube, ich musste dahin, weil ich die Leichteste in der Gewichtsklasse war: Aber ich habe keine Rückmeldung bekommen. Deshalb sollte alles durch sein“, sagt Melina Wien, die 84 Kilo auf die Waage bringt. Was von Jasmin Grabowski nicht behauptet werden dann. „Das ist ein bisschen viel“, sagt die Koriouchi-Judoka und lacht. Fast 130 Kilo sind es, um etwas genauer zu sein. „Die wiegen alle über 90.“
Was jedoch nicht verhindert hat, dass sich Melina Wien nach ihrem vielleicht etwas holprigen Start ins Turnier in Stuttgart dann im Halbfinale die Silber-Medaille gesichert hat. Ausgerechnet gegen Maren Eggert vom VfL Hüls. „Wir sind Freundinnen, wir trainieren immer zusammen“, sagt sie. Mit einer Großen Innensichel (O-uchi-gari) hat sie ihre Freundin aufs Kreuz gelegt.
Melina Wien hofft, dass es beim JC Koriouchi Gelsenkirchen mal ein Frauen-Team geben wird
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Klar: Im nächsten Jahr wird Melina Wien, die wegen ihrer Ausbildung zur Hebamme von Bottrop nach Bochum gezogen ist, einen neuen Anlauf auf DM-Gold starten. „Auf jeden Fall!“, sagt sie. „Zumal Jasmin ja wahrscheinlich nicht mehr dabei sein wird.“ In einer Sportart, die sie so sehr liebt. „Judo hat mich damals voll überzeugt“, sagt Melina Wien, die sich als Tänzerin und Schwimmerin im Kindesalter nicht so glücklich gefühlt hat. „Es ist nicht nur Kampfsport. Du lernst deinen Körper dadurch richtig gut kennen und kannst es nicht nur einzeln, sondern auch in der Mannschaft absolvieren.“
In der Oberliga kämpft die Deutsche Vizemeisterin, die erst kurz vor den Titelkämpfen ihren 1. Dan (Schwarzgurt) erworben hat, für die Judo-Kampfgemeinschaft Essen, sie hofft aber, dass es Frauen-Judo kurz über lang auch beim JC Koriouchi Gelsenkirchen als Mannschaftssport geben wird. Angeführt von einer Deutschen Meisterin?