Gelsenkirchen. Philipp Marquardt vom Portal transfermarkt.de sieht Nabil Bentaleb als Sinnbild für die sportliche S04-Talfahrt. Aber er erkennt auch Positives.
Schalke 04 hat sowohl sportliche als auch wirtschaftliche Sorgen. Große Sprünge waren vor der Saison auf dem Transfersektor nicht drin. Die Zeiten, in denen 25 Millionen Euro für einen Stürmer wie Breel Embolo investiert wurden, gehören der Vergangenheit an. Wie viel Potenzial gibt der aktuelle Kader der Königsblauen überhaupt her? Wie viel Geld würde für einen Verkauf von Ozan Kabak in die Kasse sprudeln? Philipp Marquardt, Experte des Portals transfermarkt.de, beantwortet die wichtigsten Schalke-Fragen im Interview.
Herr Marquardt, Schalke ist finanziell angeschlagen und hat nicht allzu viel Tafelsilber im Kader: Welche Ablöse wäre in Winter für den türkischen Nationalspieler Ozan Kabak, der zuletzt immer wieder mit italienischen und englischen Klubs in Verbindung gebracht wurde, realistisch?
Philipp Marquardt: Schalke hat das Glück, den talentierten türkischen Innenverteidiger bis 2024 gebunden zu haben. Dank einer Ausstiegsklausel ist Kabak 2021 für 45 Millionen Euro zu haben – für die Königsblauen in Corona-Zeiten eine stolze Summe. Möglich scheint aber, dass der Klub Kabak für eine niedrigere Summe schon im Winter gehen lassen muss, die sich am Marktwert des Spielers – 29 Millionen Euro – orientiert.
Mit Malick Thiaw hat Schalke ein Talent für die Verteidigung seit einigen Monaten neu bei den Profis dabei: Kann er mittelfristig den Durchbruch in der Fußball-Bundesliga packen oder halten Sie den Schritt für zu groß?
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Mit Thiaw ist bei Schalke ein junger variabler Defensivmann dabei, der bei weiteren Entwicklungsschritten sicherlich eine gute Rolle in den nächsten paar Jahren spielen kann. Im Nachwuchs wurde er von Norbert Elgert auf vielen Positionen ausprobiert. Thiaw erinnert viele an den jungen Matip. Der Youngster bringt auch eine gewisse Spielstärke mit, muss aber in Sachen Stellungsspiel noch zulegen. Der 19-Jährige benötigt an der Seite von erfahrenen Spielern definitiv noch Zeit, um zu reifen.
Die Marktwerte von Amine Harit, Benito Raman, Salif Sané, Rabbi Matondo oder Eigengewächs Ahmed Kutucu sind in den letzten Monaten deutlich gesunken. Wie kann der Trend beim Kursabfall gestoppt werden?
Im Fußball kann es so einfach sein: In allererster Linie durch gute Einzel- und Teamleistungen. Wenn Schalke das sportliche Tal durchschreiten und wieder eine gewisse Aufbruchstimmung erzeugen kann, wirkt sich das mittelfristig auch positiv auf den Wert einzelner Spieler aus. 14 Spieler aus dem erweiterten Kader sind unter 25 Jahre alt. Das Potenzial für eine Wertsteigerung ist daher allemal vorhanden.
Der FC Schalke 04 hat für Mittelfeldspieler Nabil Bentaleb rund 19 Millionen Euro an den englischen Top-Klub Tottenham Hotspur überwiesen. Nach dreieinhalb Jahren liegt Bentalebs Wert bei rund vier Millionen Euro. Ist so etwas erklärbar oder ein Novum für einen 25-Jährigen?
Der Fall von Bentaleb wirkt ein wenig stellvertretend für die sportliche und finanzielle Dauerkrise bei S04. Mit großen Erwartungen wurde der 25-Jährige geholt, seit seiner Verpflichtung ging es aber stetig bergab, mehrfache Suspendierungen inklusive. Im Sommer sollte er eigentlich weg, nun spielt er mangels Alternativen und wegen finanziell arg begrenzter Möglichkeiten. Newcastle United verzichtete nach einer Leihe in der Vorsaison auf seine Kaufoption. Vom Anspruch früherer Tage ist Nabil Bentaleb aktuell weit entfernt. Vom Potenzial müsste der Profi aber zumindest bei Schalke vorneweg gehen. Dass ein Marktwert innerhalb von dreieinhalb Jahren so stark schwankt, kommt durchaus öfter vor. Im höheren Bereich gibt es teilweise sogar noch drastischere Werteeinbußen.
Muss Schalke angesichts der Finanzkrise noch stärker auf Jungs wie Can Bozdogan, Levent Mercan und den bereits erwähnten Malick Thiaw, also Eigengewächse aus der Knappenschmiede, setzen?
Schalke wird in den kommenden Jahren vermutlich keine andere Wahl haben, zu sehr belasten die Schulden den Klub. Größere Ablösesummen sind künftig utopisch. Königsblau muss auf das Potenzial aus der Knappenschmiede setzen, die Werte der eigenen Spieler steigern und diese irgendwann gewinnbringend verkaufen – nur so wird man den Schuldenberg Stück für Stück abarbeiten können und gleichzeitig konkurrenzfähig bleiben.
Welches Potenzial erkennen Sie als Transfermarkt-Experte im aktuellen S04-Kader? Steckt da mehr drin als nur ernüchternder Abstiegskampf?
Beim Blick auf den Gesamt-Marktwert liegt Schalke immerhin auf Platz zehn im Vergleich aller Bundesligisten – hinter Eintracht Frankfurt und vor dem SC Freiburg. Mit Suat Serdar (23), Amine Harit (23), Rabbi Matondo (20) und Ozan Kabak (20) stehen Spieler im Kader, die ihre Qualitäten mindestens angedeutet haben. Vieles steht und fällt mit der Frage, wann die Mannschaft die ersten Erfolgserlebnisse der noch immer jungen Saison nachweisen kann – daraus kann ein stabileres Gesamtgebilde entstehen. Der Vergleich zum ehemals großen Hamburger SV, der Spieler mit Potenzial und Qualität im Kader hatte, die in einem hektischer werdenden Umfeld aber nicht mehr funktionierten, ist keineswegs abwegig.