Gelsenkirchen. Fast ein Jahr ist Jochen Schneider auf Schalke im Amt. Eine Analyse vor dem Duell mit seinem Ex-Klub RB Leipzig, dem kommenden Gegner.

Als Jochen Schneider (49) am 5. März 2019 seinen Dienst als neuer Sportvorstand auf Schalke antrat, tat er dies mit einer konkreten Ansage: „Sie wissen ja, wo ich die letzten dreieinhalb Jahre verbracht habe und welche Art von Fußball dort gespielt wird. Ich glaube, das ist eine Art von Fußball, mit der sich die Fans identifizieren können.“ Exakt 353 Tage nach seinem ersten Arbeitstag in Gelsenkirchen kann Schneider den ultimativen Vergleich in Sachen Offensivpressing, Umschaltspiel und Laufbereitschaft anstellen. Denn am morgigen Samstag (18.30 Uhr/Sky) gastiert sein ehemaliger Arbeitgeber RB Leipzig zum Bundesliga-Topspiel in der Veltins-Arena.

Keine Kopie von RB Leipzig: Jochen Schneider.
Keine Kopie von RB Leipzig: Jochen Schneider. © firo Sportphoto | firo Sportphoto/Ralf Ibing

Allerdings will Schalkes neuer Boss keinesfalls den Eindruck erwecken, die Knappen würden einen Wettbewerber kopieren: „Ich habe bei meinem Amtsantritt gesagt, dass jeder Verein idealerweise für eine Spielphilosophie stehen sollte, die zur DNA des Klubs passt“, erklärt der gebürtige Schwabe. „Das sollte meiner Meinung nach bei einem Verein wie dem unseren ein aktiver Fußball sein, der geprägt ist von hoher Laufbereitschaft, von einem außergewöhnlichen Teamgeist, von der Lust, Zweikämpfe zu bestreiten und zu gewinnen, und von einem schnellen Umschaltspiel in beide Richtungen. In Summe bin ich deshalb sehr zufrieden, wie wir uns in dieser Saison entwickelt und wie wir uns bislang präsentiert haben.“

Ein Highlight war der verdiente 3:1-Auswärtssieg beim kommenden Gegner Leipzig durch die Treffer von Salif Sané, Amine Harit und Rabbi Matondo. An jenem 6. Spieltag zog S04 nach Punkten mit dem Retortenklub gleich (je 13) und schien bereits zurück im Kreis der absoluten Topteams. „Die Mannschaft hat mutig und mit sehr viel Überzeugung nach vorne gepresst und die Leipziger quasi mit deren eigenen Waffen geschlagen“, lobte der einstige Knappen-Profi Bjarne Goldbaek (51), der das Hinspiel in englischer Sprache live im Fernsehen kommentiert hatte.

Seit dem Hinspiel ist Leipzig Schalke um neun Punkte enteilt

Seit jenem 28. September 2019 aber sind die Sachsen den Königsblauen um neun Punkte enteilt. Zuletzt, nach Schalkes enttäuschender Darbietung in Mainz (0:0) und insgesamt vier sieglosen Spielen in Serie, bekannte S04-Coach David Wagner: „Es ist sicher so, dass uns im Moment ein bisschen die Leichtigkeit beim Herausspielen von Torchancen fehlt.“ Was Wagner nicht sagte: Den Königsblauen fehlt seit der 0:5-Klatsche in München (19. Spieltag) auch der nötige Mut im Pressing, der das Team zuvor so stark und viele Torchancen erst möglich gemacht hatte.

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Doch Jochen Schneider mahnt zu Geduld bei Rückschlägen. Auch sein Ex-Klub RB Leipzig benötigte Jahre, ehe man die neue Spielidee vollständig verinnerlicht hatte und auf einem hohen Niveau durchdrücken konnte. Wann dies auch auf Schalke der Fall sein werde, könne man „so pauschal nicht beantworten, da dies ein ständiger Prozess ist“, betont Schneider. „Es gibt immer Dinge zu verbessern, und daran arbeiten wir mit viel Akribie und der notwendigen Weitsicht.“

Neben der Spielweise auf dem Platz modifiziert Schalkes neue sportliche Leitung auch die Arbeitsweise in der Kaderplanung, um künftig noch besseres Personal für den von Schneider und Wagner bevorzugten Überfall-Fußball präsentieren zu können: schnelle, laufstarke und technisch gut ausgebildete Kicker, die gleichzeitig bezahlbar sind. Auch hier dient Leipzig durchaus als Vorbild. „Wir sind gerade mitten im Prozess, unsere Scoutingabteilung neu zu strukturieren, neue Schwerpunkte zu setzen, neue wertvolle Mitarbeiter zu gewinnen und zu integrieren“, erklärt Schneider. „Mit dem bislang erreichten bin ich zufrieden, wohl wissend, dass wir auch hier noch eine ordentliche Wegstrecke vor uns haben, um auf das Niveau von beispielsweise Leipzig oder Leverkusen zu kommen.“

Schalke und der Faktor Michael Reschke

Die Richtung aber stimmt, findet Schneider, dessen Treffsicherheit bei Neuverpflichtungen (Raman, Kabak, Kenny, Schubert, Miranda, Todibo und Gregoritsch) bislang beeindruckt – auch dank eines „Königstransfers“ für den Bereich Kaderplanung: „Michael Reschke als Technischer Direktor ist für unseren Verein von unschätzbarem Wert. Seine Expertise, seine Erfahrung, sein Netzwerk und sein Auge haben ihn zu einem der allerbesten Kaderplaner Europas gemacht“, so Schneider. „Aber auch unser Chefscout Adrian Babic (der langjährige Reschke-Vertraute kam aus Leverkusen; Anm. d. Redaktion) und sein Team leisten hervorragende Arbeit. Wir gehen bewusst auch neue, innovative Wege in Sachen Scouting und hoffen, hier schon in Kürze erste Früchte ernten zu können.“

Schalke und der Faktor Knappenschmiede

Im Gegensatz zu Leipzig, das bei der Talent-Entwicklung vor allem auf seine österreichischen „Farmteams“ FC Liefering und RB Salzburg baut, will Schalke seinen Profikader auch künftig aus der hauseigenen „Knappenschmiede“ beliefern. Eine Erhöhung der Produktion verspricht sich Schneider nicht zuletzt dank der neu entstehenden Infrastruktur am Berger Feld, aber auch von einem erhöhten Nachwuchs-Etat: „Was unser U19-Trainer Norbert Elgert und sein Team über mittlerweile zwei Jahrzehnte geleistet haben und immer noch leisten, ist schlichtweg grandios. Hier gilt es, die Knappenschmiede noch besser zu unterstützen, das heißt, ihr unter anderem noch bessere Möglichkeiten einzuräumen, Toptalente für Schalke 04 verpflichten zu können. Dies ist ein elementarer Baustein unserer künftigen Ausrichtung.“

Eine noch größere Rolle soll dabei auch Schalkes Zweitvertretung in der Regionalliga West spielen – als echtes Bindeglied zwischen Nachwuchs und Profibereich: „Ich habe gleich zu Beginn meiner Tätigkeit auch die Wichtigkeit unserer U23 betont“, erklärt Schneider, der das Zuliefer-Team in der Viertklassigkeit vorläufig gut aufgehoben sieht: „In punkto Kosten-/Nutzenrelation ist die Regionalliga eine hervorragende Spielklasse für unsere Zweite Mannschaft. Deshalb war es auch so wichtig, dass uns im vergangenen Sommer der Aufstieg gelungen ist und dass wir in dieser Saison die Liga halten werden, wovon ich überzeugt bin.“

Es ist ein Weg vieler kleiner Schritte, den Schalkes neuer Sportvorstand eingeschlagen hat – aber einer, der die Königsblauen auf Augenhöhe mit RB Leipzig bringen soll und der ein knappes Jahr nach Schneiders Amtsantritt noch lange nicht zu Ende gegangen ist.