Gelsenkirchen. André Breitenreiter trainierte Paderborn und Schalke. Vor dem Spiel am Sonntag spricht er über die Entwicklung der Klubs und über Nübels Anfänge.

André Breitenreiter muss nicht lange überlegen, „kein Problem“, sagt er: Das Bundesliga-Spiel zwischen dem SC Paderborn und Schalke 04 am Sonntag ist auch für ihn ein besonderes. Denn Breitenreiter hat beide Vereine schon trainiert, die Ostwestfalen führte er 2014 zum ersten Mal in die Bundesliga, mit Schalke erreichte er in der Saison 2015/16 die Europa League. Der heute 45-Jährige war damals der Nachfolger von Roberto Di Matteo, der beim ersten Duell zwischen Paderborn und Schalke am 17. Dezember 2014 noch Schalkes Coach war.

Herr Breitenreiter, wissen Sie noch, was Sie der Paderborner Mannschaft damals vor dem Spiel gegen das große Schalke mit auf den Weg gegeben haben?

André Breitenreiter Ganz genau weiß ich das nicht mehr (lacht). Aber generell galt für uns: Das sind genau die Spiele gegen die großen Gegner, die wir uns durch unseren verdienten Aufstieg erarbeitet haben – darauf müssen wir uns freuen und die müssen wir genießen. Es war klar, dass wir in jedem Spiel unsere beste Leistung benötigten, um gegen Top- Mannschaften wie Schalke überhaupt eine Chance zu haben. Aber manchmal wird der vermeintliche Underdog auch unterschätzt...

Am Ende haben Sie mit Paderborn sehr unglücklich mit 1:2 verloren..

Wir haben 1:0 geführt, waren in der ersten Halbzeit die bessere Mannschaft. Ich weiß noch genau: Schalkes Siegtreffer fiel nach einem langen Einwurf, der mit dem Hinterkopf ins Tor verlängert wurde. Eine Kleinigkeit hat das Spiel entschieden.

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Mit Paderborn Tabellenführer

In der damaligen Saison waren Sie mit dem Aufsteiger Paderborn nach vier Spieltagen Tabellenführer. Wie haben Sie das wahrgenommen?

Diese Momentaufnahme hat uns stolz gemacht, keine Frage. Da es aber keine Selbstverständlichkeit war, habe ich auch gewarnt: Es werden in dieser Saison auch andere Phasen kommen, in denen uns die Gegner nicht mehr unterschätzen werden. So ist es ja leider auch eingetreten. Trotzdem bleibt es unvergessen, wenn man als Aufsteiger am fünften Spieltag in München spielt und der Stadionsprecher sagt: Wir begrüßen den Tabellenführer aus Paderborn. Das war schon eine tolle Geschichte. Aber das Spiel haben wir dann 4:0 verloren.

Großes Lob für Krösche und Baumgart

In dieser Saison ist Paderborn als Aufsteiger noch ohne Sieg, wirkt aber genauso furchtlos wie einst unter Ihrer Regie.

Ganz ehrlich: Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass noch einmal ein zweites Wunder Paderborn geschrieben wird – und für mich ist das, was unter Markus Krösche und Steffen Baumgart fast in der vierten Liga begann, eine sensationelle Geschichte. Markus Krösche hat sehr gute Transfers getätigt, die zur Spielphilosophie des Vereins passen. Steffen Baumgart hat es als Trainer dann herausragend verstanden, diese Spielphilosophie auf die Mannschaft zu übertragen. Dass sie mit ihrer Art Fußball jetzt auch in der Bundesliga so weiterspielen, ist verständlich – warum sollte man etwas verändern, was zum Erfolg geführt hat? Allerdings ist Fußball auch ein Ergebnissport: Jetzt, da die Ergebnisse ausgeblieben sind, werden sie sich überlegen, ihr Spiel in Nuancen zu verändern. Ich habe das Paderborner 1:1 in Wolfsburg live im Stadion verfolgt: Schon da haben sie nicht mehr ganz so hoch gepresst und standen defensiv stabiler.

Einst mit Paderborn gegen Schalke: André Breitenreiter begrüßt hier  Roberto Di Matteo, dessen Nachfolge er später antrat
Einst mit Paderborn gegen Schalke: André Breitenreiter begrüßt hier Roberto Di Matteo, dessen Nachfolge er später antrat © imago/Eibner | imago sportfotodienst

Für Sie war Paderborn im Sommer 2015 das Sprungbrett nach Schalke. Nach der 0:1-Niederlage im Rückspiel am 16. Mai 2015 in der Arena standen Sie auf dem Rasen und haben gedacht: Da will ich gerne hin.

An diesem Tag war es für mich herausragend, wie das Schalker Publikum unsere Paderborner Leistung anerkannt hat. Wir haben fantastisch gekämpft und gut gespielt – das haben die Schalker Zuschauer honoriert, weil sie das seinerzeit von ihrer eigenen Mannschaft nicht gesehen haben. Aus dieser Begeisterung heraus habe ich zu meinen Co-Trainern gesagt: Die brauchen auf Schalke genau das, was wir vorhaben.

Ist Schalke heute noch die Top-Adresse, die Sie da gesehen haben?

Wenn Sie auf die sportlichen Resultate anspielen: Es gab in den vergangenen Jahren ja auch einen zweiten Platz in der Bundesliga, den man nicht unterschlagen darf – ansonsten hinkt Schalke natürlich seinem eigenen Anspruch hinterher. Was aber bleibt, ist die Wucht und Macht dieses Vereins, die wird sich niemals ändern, weil die Fans zu Schalke stehen. Ich werde heute noch von vielen Fans angesprochen, obwohl meine Zeit auf Schalke ja jetzt schon einige Jahre zurückliegt.

Breitenreiter beklagt Schalkes Verlust an Identifikationsfiguren

Worin sehen Sie denn die sportlichen Gründe, dass die vergangenen Jahre abgesehen von der Vize-Meisterschaft 2018 enttäuschend verliefen?

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Es steht mir nicht zu, das zu beurteilen, weil ich für eine Analyse auch viel zu weit weg bin. Was ich aber sagen kann: Ich finde es schade, dass es nicht gelungen ist, junge Spieler langfristig an den Verein zu binden – dadurch sind Identifikationsfiguren verloren gegangen. Joel Matip konnte man nicht halten, der wollte unbedingt nach Liverpool. Aber es gab ja noch andere Spieler wie Leroy Sané, Leon Goretzka, Sead Kolasinac oder Max Meyer, der unter unserer Regie 2015/16 die beste Saison seiner Karriere gespielt hat. Mit solchen Spielern hätte Schalke eine Mannschaft aufbauen können, die um Titel mitspielt. Und nach meiner Beobachtung war in den vergangenen Jahren auch die Durchlässigkeit von der Jugend zu den Profis nicht mehr so wie zu meiner Zeit oder in all’ den Jahren davor.

Erfreut es Sie, wenn Johannes Geis heute sagt: Sie wären der einzige Trainer gewesen, der ihn in seiner Zeit auf Schalke weitergebracht hätte?

Ich habe das auch gelesen, und es zeigt sicherlich, dass wir auf Schalke alle zusammen eine gute Zeit hatten. Solche Aussagen sind für mich die schönsten Bestätigungen, nicht nur als Trainer, sondern auch als Mensch im Umgang mit den Jungs Vieles richtig gemacht zu haben, auch wenn man harte Entscheidungen treffen muss und somit für punktuelle Enttäuschungen sorgt.

Erster Bundesliga-Einsatz am 14. Mai 2016: André Breitenreiter bereitet Alex Nübel auf seine Einwechslung gegen Hoffenheim vor.
Erster Bundesliga-Einsatz am 14. Mai 2016: André Breitenreiter bereitet Alex Nübel auf seine Einwechslung gegen Hoffenheim vor. © imago/Team 2 | imago sportfotodienst

In Ihre Schalke-Zeit fällt auch die Verpflichtung von Alexander Nübel, der heute Schalkes Kapitän ist. Reklamieren Sie ihn als Ihre Entdeckung?

Alex war zu meiner Zeit in Paderborn Torwart der U19 und stand nicht im Fokus. Der damalige Manager Michael Born hatte immer ein Näschen für Talente und sagte mir eines Tages: Guck dir den mal an. Gemeinsam haben wir ihn als dritten Torwart zu den Profis geholt, weil wir in ihm ein außergewöhnliches Potential für eine große Karriere gesehen haben.

Und dort hat Sie Nübel gleich überzeugt?

Alex war zu Beginn vor jedem Training bei den Profis so nervös, dass er die Nacht davor kaum schlafen konnte. Sein erster Einsatz war ein Testspiel in Osnabrück: Da habe ich ihm am Tag vorher bewusst nicht gesagt, dass er spielen wird, weil er sonst vielleicht über Nacht krank geworden wäre. (lacht) Mit dem Anpfiff war die Nervosität jedoch komplett verflogen und er hat eine sehr souveräne Leistung gezeigt. In der Folgezeit hat er eine ganz tolle Entwicklung genommen; stets gefördert von Simon Henzler, der ein überragender Torwart-Trainer ist.

Mit Nübel-Verpflichtung Werte geschaffen

Schalke musste für das Talent Nübel damals eine relativ hohe Ablösesumme zahlen, aber es hat sich rentiert.

Anfangs hat man diese Verpflichtung nicht verstanden. Es herrschte die unausgesprochene Meinung, Paderborn damit einen Gefallen zu tun. Heute ist es schön zu sehen, dass wir einen großen Wert für Schalke geschaffen haben. Es war genau der richtige Schritt für Alex Nübel, zusammen mit Ralf Fährmann trainieren zu können. Ralf ist nicht nur ein überragender Mensch, sondern für mich auch heute noch einer der besten deutschen Torhüter.

Welchem Ihrer Ex-Klubs stehen Sie eigentlich heute noch näher? Paderborn oder Schalke?

Da bin ich völlig neutral. In Paderborn habe ich auf meiner ersten Station als Profi-Trainer mit dem erstmaligen Bundesligaaufstieg des Vereins eine besondere Ära geprägt. Schalke ist ein großer Verein mit fantastischen Fans, bei dem ich eine turbulente, aber auch wunderschöne und erfolgreiche Zeit mit der direkten Euro-League-Qualifikation erlebt habe. Zudem haben wir Spieler weiterentwickelt, was zu hohen Transfererlösen geführt hat. Ich wünsche beiden Klubs, Paderborn und Schalke, nur Gutes. Die bessere Mannschaft soll am Sonntag gewinnen.

Und wer wird das am Sonntag sein?

Ich tippe normalerweise nicht. Aber okay: Am Sonntag tippe ich auf ein 2:2.