Gelsenkirchen. . Olivier Kruschinski bietet in Gelsenkirchen die Mythos-Tour an. Bei einer dreistündigen Führung durch den Stadtteil Schalke geht es dorthin, wo das Herz des Fußball-Bundesligisten FC Schalke 04 schlägt.

Ein schmuddeliger Parkplatz im Schatten einer Brücke, am Rande eines Gewerbegebiets. So sieht der Ort auf den ersten Blick aus, an dem ein Mythos entstand, der in den Stadien und Arenen deutschland- und europaweit aus tausenden Kehlen besungen wird: Wer kennt ihn nicht, den Mythos vom Schalker Markt?

Wenn ihn einer kennt, dann ist es Olivier Kruschinski. Vor 16 Jahren meldete er sich auf ein Stellengesuch für Baustellenführer der Arena AufSchalke. „Das hing da am schwarzen Brett in der Uni.“ Als „0li4“ setzt sich Kruschinski besonders für den Stadtteil Schalke ein und organisiert die „Mythos-Touren“ durch den Stadtteil rund um die Berliner Brücke, in deren Schatten auch der Schalker Markt liegt, früher das Zentrum von Schalke.

Den Mythos (oder zumindest die Melodie) kennt jeder, den Ort an sich viel zu wenige, findet Kruschinski: „Viele Schalke-Fans haben noch nie einen Fuß auf Schalker Boden gesetzt, kennen höchstens die Abfahrt der A2.“ Denn Schalke - also der Fußball-Klub Schalke - hat Schalke - also den Stadtteil Schalke - längst verlassen. Anfang der 1970er Jahre zog er ins Parkstadion im Berger Feld um.

Am Grab der Schalker Idole

Für Kruschinski ist Schalke identitätsstiftend. Für den Verein, die Stadt, die Menschen. „Ich bin kein Schalke-Fan. Ich bin Schalker.“ Schalke ist Teil seiner Identität, so wie der Ort Schalke Teil der Identität des Klubs Schalke ist. Geht es nach Kruschinski, würden Klub und Stadtteil sich schnell wieder näher kommen. Der Verein mache zu wenig aus seiner einzigartigen Geschichte. „Ganz ehrlich: Wenn du so ein Drehbuch schreibst und in Hollywood vorstellst, zeigen die dir den Vogel. Diese Geschichte ist selbst für Hollywood zu viel.“

Diese Geschichte ist die Keimzelle des Mythos Schalke. Es ist die Geschichte von Ernst Kuzorra und Fritz Szepan. Geboren und aufgewachsen in Schalke, mit dem FC Schalke Deutsche Meister, Nationalspieler, Legenden geworden. Nur ein einziges Spielsystem im Fußball ist nach einem Verein benannt – der „Schalker Kreisel“. Kuzorra heiratete Szepans Schwester, hatte noch jahrelang seinen Tabakladen an der Kurt-Schumacher-Straße und nur wenige Häuser weiter einen Stammplatz im Vereinslokal unmittelbar an der Glückauf-Kampfbahn. Begraben ist er auf dem Friedhof Am Rosenhügel. Für immer Schalke.

Das ist auch der räumliche Horizont, in dem sich Kruschinski mit seiner Mythos-Tour bewegt, von der Kirche St. Joseph an der Grillostraße, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu Kuzorras Geburtsort in der Blumendelle liegt, bis zu Kuzorras Grab.

Die Tour führt von St. Joseph auf die Schalker Straße bis zum Schalker Markt unterhalb der Berliner Brücke. Über die Brücke, die Schalker Meile entlang zur Glückauf-Kampfbahn, hinauf in die Zechensiedlung mit dem Friedhof Am Rosenhügel. Zum Abschluss lädt er im Quartiersbüro und Fanshop auf der Schalker Meile auf ein Kaltgetränk.

Deutlich mehr als drei Stunden lang erzählt Kruschinski Geschichte und Geschichten, die manchmal wie eine Ansammlung verschiedener Anekdoten wirken, die aber gemeinsam ein großes Bild ergeben. „Schalke ist Familie“; sagt Kruschinski zum Beispiel. Oder: „Schalke ist Gemeinde.“ - „Schalke ist Gelsenkirchen.“ Eine bunte Mischung aus Stadtgeschichte, Gesellschaftskunde und Fußball-Folklore verbindet Kruschinski liebevoll zu einem Erklärungsansatz, was denn dieser Mythos vom Schalker Markt ist.

Ein Lehrstück über die Menschen

„Ich habe keinen Bildungsauftrag“, sagt er und schafft es gerade durch diese Einstellung, dass man auf der Mythos-Tour nicht nur viel über den FC und seine Verbindung zum Stadtteil Schalke lernt, sondern auch über die Menschen in Gelsenkirchen, die Menschen im Ruhrgebiet, die Menschen, die sich Schalker nennen. Den Bildungsauftrag könnte er komplett auch nicht erfüllen, hat aber auch gar keinen Anspruch dazu. Denn eine Frage lässt er offen: Was ist der Mythos Schalke? „Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen“, sagt Kruschinski oft. Den Mythos müsse aber jeder für sich selbst verstehen.