Brustschwimmer Hendrik Feldwehr musste lange wegen einer Verletzung und der dadurch fehlenden Quali-Norm um seine Teilnahme bei den Olympischen Spielen bangen. Dann erhielt er vom DOSB eine „Wildcard“.
Ob er es packt? Ja, er hat es gepackt. Hendrik Feldwehr (25) wird in London gleich am ersten Wettkampftag der Spiele auf den Startblock steigen und sich kraftvoll ins Wasser katapultieren. Zum Vorlauf über 100-m-Brust. Sozusagen mit einer einer Wildcard, die ihm der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) ausgestellt hat. Die Erleichterung ist natürlich groß, denn Feldwehrs Olympia-Teilnahme war wegen einer Verletzung mehr als nur gefährdet.
Praktisch seit vier Jahren hat der Schwimmer der SG Essen zielstrebig und diszipliniert auf diesen sportlichen Höhepunkt hingearbeitet. Er hat unendlich viele Kacheln gezählt, wie es so schön heißt. Und es lief gut für ihn, für den Deutschen Meister. Super Serien sei er geschwommen, lobte Trainer Henning Lambertz immer wieder. Im Frühjahr, bei den British Open im Olympia-Bad zu London hatte Feldwehr ein großes Etappenziel bereits vor Augen: Er näherte sich der olympischen Norm bis auf vier Hundertstel Sekunden (1:00,48 Minuten). Alles planmäßig.
Plötzlich kam der Schmerz
Doch als es ernst wurde, als es darauf ankam, die Klasse bei der offiziellen Olympia-Qualifikation zu beweisen, warf ihn eine schwere Muskelverletzung aus der Bahn. Bei einer Kniebeuge im Krafttraining spürte er plötzlich diesen stechenden Schmerz in der Leistengegend. „Ich habe erst einmal das Bein geschüttelt und die eine oder andere Bewegung probiert“, erzählt Feldwehr. Und er klingt dabei so unendlich gelassen dabei. Der Physio wird’s schon richten, hatte er sich gedacht. „Doch am nächsten Morgen konnte ich mit dem Bein nichts mehr anfangen.“ Diagnose: Muskelbündelriss im Adduktorenbereich.
Ausgerechnet vor den Deutschen Meisterschaften, wo er sein Olympia-Tickets abholen wollte. Fieberhaft hatte daraufhin ein ganzer Tross von Physiotherapeuten und Ärzten tagtäglich Hand angelegt. Die Schmerzen blieben, die Zweifel wuchsen. Doch der Schwimmer ließ sie nicht irritieren. Feldwehr, der ohnehin hin und wieder etwas wortkarg daherkommt – eben wie man sich einen typischen Norddeutschen vorstellt – lamentierte nicht und machte unbeirrt weiter. Die Anderen ließ er stets wissen: „Das wird schon werden.“
Vorbildlich
Alle lobten diese Einstellung, diese unerschütterliche Zuversicht, die der Student ausstrahlte. Die Ausdauer und Disziplin, mit der er es immer wieder probierte. „Heute geht einiges, habe ich morgens gesagt. Leider ging dann gar nichts, das war dann schon ein bisschen frustrierend“, räumt der SGE-Athlet ein. Sein Trainer Henning Lambertz sagte indes, dass es wohl genügend Athleten gebe, die längst aufgegeben hätten. Und seine Freundin Isabelle Härle schwärmte geradezu: „Darin ist für mich ein wirklich großes Vorbild.“
Feldwehr sagt, dass er die Dinge des Lebens meistens positiv sehe. Irgendwie wird es schon klappen. Das sei sein Naturell, aber manchmal zwinge er sich auch dazu. „Das mag naiv oder blauäugig sein. Aber es hilft auch.“
So schnell wie möglich wollte der Schwimmer wieder ins Wasser – bloß nicht zu viel Substanz und Wassergefühl verlieren. Improvisation war angesagt, um die Hüfte zu entlasten. Der beim Brustschwimmen so eminent wichtig Beinschlag war lange wegen der Schmerzen unmöglich.
Koch und vom Lehn verpassten Norm
Es wurde ein Rennen gegen die Zeit, das Hendrik Feldwehr verlor. Bei der DM konnte er nicht starten. Er stand am Beckenrand und verfolgte „sein“ 100-m-Rennen. Würden zwei Konkurrenten die Norm knacken, wäre es für ihn vorbei gewesen. Der Essener fieberte mit, doch weder Marco Koch (Darmstadt) noch Christian vom Lehn (Wuppertal) schafften es. Auch nicht bei der Europameisterschaft in Debrecen, dem zweiten „Hoffnungslauf“ für die Olympia-Kandidaten. Der DSV empfahl dem DOSB daraufhin die Nominierung Feldwehrs. Und der stimmte schließlich zu.
Welche Chancen hat er in London? Auf welchem Platz liegt er derzeit in der Jahres-Weltrangliste? „Gute Frage“, lacht Feldwehr. Er weiß es so genau auch nicht. Es gibt einige Namen in der Welt, die schnell unterwegs sind. Und er vermag ja noch nicht einmal seinen Leistungsstand zuverlässig einzuschätzen. Wird er die Pause spüren, werden sich Folgen der Verletzung bemerkbar machen? „Die Grundzutaten stimmen“, habe man ihm nach der jüngsten Leistungsdiagnostik in Hamburg attestiert. „Ich bin schnell, die Kraft stimmt, die Ausdauer ist auch da. Es war ein Besttest.“
Hoffen auf das eine Rennen
Bei Meeting in Paris vor drei Wochen fühlte er über die 50 Meter den vollen Bein-Antrieb. Doch später über 100m-Brust: „Oh Gott, dachte ich, da ist überhaupt kein Schub mehr über die Beine. Dann denkt man nach und es ist wie eine Kettenreaktion.“ Seine Zeit war schlecht.
Hendrik Feldwehr denkt auch darüber wenig nach. Er hofft, das er in London das Rennen erwischt, indem alles stimmt. Dann sei es möglich, die magische Minuten-Marke zu unterbieten. Denn die Medaillen, so vermutet er, werden im Bereich von 59,5 Sekunden weggehen. Es gebe aber auch viele Schwimmer, die in diesen Bereich vorstoßen können.
Angst zu versagen, dass er vielleicht schon im Vorlauf scheitern könnte, die spüre er jedenfalls nicht. „Ich freue mich drauf“, sagt Hendrik Feldwehr. Er sei eher ein Wettkampftyp, mental stabil, unempfindlich gegenüber dem ganzen Rummel, der in London herrschen wird. Das beflügle ihn eher, als dass es ihn belaste. „Und bei der schönen Extrawurst, die ich vom DOSB bekommen habe, möchte ich natürlich auch nicht enttäuschen.“