Essen. Er ist eine Legende der TGD Essen-West. Portrait über Dankbarkeit, die Bedeutung von Ehrenamt und ein Fußballer-Herz an der Seitenlinie
- Werner Gehrke ist ein leidenschaftlicher und vielseitig engagierter Mitarbeiter bei der TGD Essen-West, der sich seit 60 Jahren dem Verein widmet, von Jugendtraining über Platzwarttätigkeiten bis hin zum Linienrichten.
- Seine Hingabe zeigt sich in seinem täglichen Einsatz für den Verein, auch wenn er sein Alter und seine langjährige Erfahrung humorvoll reflektiert.
- Trotz der Herausforderungen und Rückschläge, die der Fußballverein erlebt hat, bleibt Gehrke ein aktives und integrales Mitglied, das mit Herzblut und Begeisterung für sein Team lebt und arbeitet.
Werner Gehrke fuchtelt mit den Händen. „Ich komm sofort, ich muss nur noch ein bisschen...“, sagt er und eilt über die Sportanlage der TGD Essen-West, von einem Ende zum anderen. Der Mann hat Stress, 35 Minuten sind es noch bis zum Anstoß der Bezirksliga-Partie gegen die DJK Sportfreunde Katernberg. Von rechts nach links, von links nach rechts. Gehrke tigert über die Anlage an der Haedenkampstraße, ehe er Zeit für ein Gespräch findet. „So, jetzt geht es. Gleich muss ich aber an die Linie“, sagt er und wirft einen Blick auf die Uhr seines Telefons.
„Schau mal“, sagt er lachend, „das ist mein Agentenhandy, ich brauche keine Whatsapp-Gruppen“, so der 74-Jährige über ein altes Nokia, welches zahlreiche Gebrauchsspuren aufweist. Hier ein Kratzer, da eine Schramme, Tesafilm hält das Display zusammen. „Aber ich komme damit klar“, sagt Gehrke, der nächstes Jahr sein 60-jähriges Jubiläum bei der TGD Essen-West feiert.
Jugendtrainer, Geschäftsführer, Platzwart: die Aufgaben, die er in den Jahrzehnten übernahm, sind vielfältig. Damals wie heute. Jede Woche kümmert er sich um die Wäsche, bei jedem Spiel macht er den Linienrichter. Die Frage, ob er nicht irgendwann einmal ans Aufhören gedacht habe, wiegelt er trocken ab: „Nö, ich bin doch zufrieden hier, alles in Ordnung. Ich mach noch bis 80 oder solange meine Füße mich tragen.“
Die Seitenlinie ist das Gebiet von Werner Gehrke bei der TGD Essen-West: „Das ist mein Leben, der Verein“
Aktuell tun sie dies noch ziemlich gut. Schnellen Schrittes geht es in das Häuschen neben dem kleineren der beiden Kunstrasenplätze hinter dem Verkaufsstand. Früher sei das hier die Wohnung des Platzwartes gewesen. Aber jetzt „ist es quasi mein Reich“, sagt Werner Gehrke. Stolz ist aus seiner Stimme herauszuhören, als er die verschiedenen Räume präsentiert, in denen er sich um die Wäsche der Fußballer kümmert. Auch, wenn er den scheinbar am liebsten verstecken würde.
An der Wand hängen zahlreiche Fotos und Zeitungsausschnitte. Alte Wegbegleiter schauen Gehrke so quasi zu, wie er die Hosen zusammenlegt oder die Wäsche aufhängt. „Das ist mein Leben, der Verein. Meine Arbeit und mein Zuhause. Ich bin doch Rentner, da kann man das machen. Morgens geht es einkaufen, dann hierhin. Da bleibt man frisch und jung“, sagt er.
Genau das sei schon immer Motivation für ihn gewesen, nachdem er mit Anfang 20 selbst mit dem Fußballspielen aufhören musste. „Da habe ich es mit dem Hüftgelenk bekommen, kaputt. Dann ging nichts mehr. Irgendwas muss man aber doch machen, wenn man jung bleiben will und nichts mit Älteren am Hut haben wollte“, sagt Gehrke, macht eine kurze Pause, und schmunzelt, ehe er den Satz weiterführt: „Und dann habe ich alles mitgemacht hier, von 1965 an. Dann ging es los.“
Mit dem Bus zu Rot-Weiß Oberhausen und Fortuna Düsseldorf
Zahreiche Spiele fallen ihm nach und nach ein, als er über die Höhepunkte in den vergangenen Jahren nachdenkt. Von einem Doppelpack gegen den TuS Helene, den er als B-Jugendlicher selbst erzielte, geht zu Partien gegen Rot-Weiss Essen, Rot-Weiß Oberhausen oder Fortuna Düsseldorf und die Busfahrten dorthin..
Gegen RWE habe die TGD in den 80er Jahren im Pokal mit 1:0 gewonnen. „Die mussten auf Asche. Da war der Tartemann da noch Trainer. Wir haben einen Freistoß bekommen, Jürgen Bartilla hat den reingehauen. Da war hier was los“, so Gehrke. Oder im Spiel bei Rot-Weiß Oberhausen: „Da sind wir mit dem Bus hin und der Fahrer wusste gar nicht, wo der Platz ist. Das waren noch Zeiten. Da war Mario Basler da Trainer, der Basler. Der saß da wie so ein König“, sagt Gehrke und schmunzelt wieder.
Und die Tiefpunkte? „Die Abstiege, da haben wir alle geheult. Das gehört dazu. Aber sonst fällt mir nichts ein, sonst war alles in Ordnung.“
Die Seitenlinie ist Werner Gehrkes Revier bei der TGD Essen West
Noch drei Mal wird Gehrke aus dem Gespräch gerissen. Eine schwarze Hose wird für den Torhüter gebraucht – und schon eilt er wieder los. „Da musst du den Werner fragen, der kann dir alles beantworten“, heißt es kurz danach. Und dann geht es noch darum, ob der Schiedsrichter denn selbst Fahnen mitgebracht hätte oder ob Gehrke seine eigene benutzen soll. Soll er. Also flitzt Gehrke in die Kabine und stattet sich aus, ehe es zur Seitenlinie geht.
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Die ist so etwas wie sein Revier bei der TGD. Mehrere Zuschauer begrüßen ihn, nicken ihm zu. „Ich gehe immer auf diese Seite, hier habe ich meine Ruhe. Dann ist gut“, sagt er. Jemand, der mit seinem Bier hinter den Trainerbänken stehe und das Spiel kommentiere, sei er nicht. „Das machen doch schon mehr als genug“.
Das Aufregen gehört dazu, aber Werner Gehrke macht es leise
Als das Spiel gegen Katernberg angepfiffen wird, richtet sich sein Fokus auf den Platz. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt, ein Fuß für die Balance etwas weiter vorne aufgesetzt. Die Haare weiß, die Furchen im Gesicht zeugen vom Leben. Die Fahne hält er zwar in der Hand, wirklich zum Einsatz kommt sie aber nicht. „Ich darf ja nichts anzeigen, nur wenn er ganz klar im Aus ist“, sagt er. Aber dann würde es der Schiedsrichter doch wohl auch selbst sehen, oder? „Das kann man wohl meinen“, so Gehrke.
Immer wieder murmelt er leise vor sich hin. „Nach außen. Ja, richtig“, sagt er. Das 1:0 seines Teams nimmt er ganz ruhig hin, lächelt in sich hinein. Als Kapitän Özgür Akcapinar dann frei im Strafraum volles Risiko geht und den Ball volley mit Vollspann über das Tor knallt, ärgert er sich. „Den muss er doch mit der Innenseite nehmen. Wie Thomas Müller gestern.“ Auf der Gegenseite fällt direkt das 1:1, Kevin Zamkiewicz trifft per Strafstoß: „Scheiße, der Zamke. Den habe ich als A-Jugendlichen schon rumgefahren.“
So geht es weiter, die TGD führt erneut, ehe Katernberg direkt vor der Halbzeit einen Freistoß zugesprochen bekommt. „Der ist drin“, prophezeit Gehrke, „entweder der Zamkiewicz oder der andere“, sagt er – und hat Recht. Julian Fischer trifft zum Ausgleich. „So ne Scheiße“, ruft Gehrke und wirft die Fahne auf den Boden.
Aufregen kann er sich also auch noch. Gehrke ist mit vollem Herzen dabei: „Wenn ich mich nicht mehr ärgern würde, dann brauche ich doch auch gar nicht mehr hingehen“, sagt er und eilt wieder davon. Es ist Pause. Für alle – außer für Werner Gehrke.
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