Essen. Jamal Naji, Trainer des Tusem Essen, blickt auf die Saison in Liga eins zurück, erklärt, was dem Absteiger fehlte – und schaut Richtung 2. Liga.

Vom Jäger zum Gejagten: Nach dem Abstieg aus der 1. Handball-Bundesliga blickt Trainer Jamal Naji im Interview zurück auf das eine Jahr im deutschen Handball-Oberhaus und auf die kommende Saison in der 2. Liga.

Herr Naji, Ihre Mannschaft hat als Aufsteiger sieben Siege geholt, 15 Punkte gesammelt und auf dem vorletzten Tabellenplatz abgeschlossen. Hätten Sie dieses Ergebnis vor der Saison so unterschrieben?

Naji Ne. Wir sind ja abgestiegen. Da müssen wir uns nichts vormachen. Von einhundert Leuten hätten 99,5 gesagt, dass wir absteigen. Aber wenn du dann so nah dran bist – und wir waren in vielen Spielen sehr nah dran – dann empfindest du es erstmal als eigenes Versagen, dass du es nicht geschafft hast. Da brauchen wir auch nichts beschönigen. Wir haben viele sehr gute Spiele gemacht, aber am Ende des Tages waren es fünf Siege zu wenig. Punkt.

Mit welchem Gefühl gehen Sie aus der Saison?

Trotz des Abstieges mit einem sehr guten. Wir haben die Rückmeldung bekommen, dass wir vielen Leuten sehr viel Spaß bereitet haben. Das ist erst mal schön und eine Motivation dafür, warum ich überhaupt Trainer bin. Und ich denke, dass kein Spieler behaupten würde, dass er sich nicht weiterentwickelt habe. Wir haben jetzt schon maximale Vorfreude auf das, was nächstes Jahr in dieser wahnsinnigen zweiten Liga kommen wird.

Sie haben viel Wertschätzung von Kollegen bekommen. Allerdings fehlte die unmittelbare Rückmeldung durch die Fans, die nicht in der Halle dabei sein konnten…

Auch interessant

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit Zuschauern zehn Punkte mehr gesammelt hätten. Und diese letzten zwei Spiele mit Fans waren letztendlich ein Geschenk. Und ich fand es beeindruckend: trotz der hohen Niederlage gegen die Rhein-Neckar Löwen wurden wir von den Fans gefeiert – das war grandios.

Haben Sie denn auch Gegenwind verspürt?

Nein, da war ich etwas überrascht. Denn normalerweise hat so eine große Stadt ja gefühlt 10.000 Bundestrainer. Aber tatsächlich ist die Anhängerschaft des Tusem sehr realistisch und reflektiert. Ich bin zwar nicht in den Sozialen Medien so aktiv, aber direktes negatives Feedback habe ich nicht erfahren – und die Mannschaft auch nicht.

Was war Ihr Höhepunkt der Saison?

Das Gefühl des ersten Bundesliga-Sieges, damals gegen Balingen, war schon krass. Aber auch der Tag nach dem Heimspiel gegen Flensburg war heftig. Auch wenn wir das Spiel knapp verloren hatten, wussten wir, was wir da eigentlich geleistet hatten. Es gab viele tolle Höhepunkte, aber auch einige Momente, in denen du dich lieber in dein Zimmer hättest einsperren wollen.

Welche?

Das waren die beiden Nordhorn-Spiele, die wir verloren haben. Hätten wir gewonnen, hätte die Saison für uns noch einen anderen Ausgang nehmen können.

Was hat Ihrer Mannschaft gefehlt, um solche Spiele zu gewinnen?

Erfahrung. Ich habe darüber lange gegrübelt und die wildesten Thesen aufgestellt. Ich habe sogar mit Sportpsychologen und befreundeten Trainern darüber geredet, die 30 Jahre Erfahrung haben. Aber am Ende ist es eben nur Erfahrung.

Welche Schwächen wurden Ihrer Mannschaft noch aufgezeigt?

Auch interessant

Wir haben häufig sofort einen auf die Fresse bekommen, wenn wir keine hundertprozentige Spieldisziplin hatten. In der 2. Liga brauchst du das nicht immer, denn da ist dein Gegenüber auch nicht immer voll diszipliniert. Aber auf dem Erstliga-Niveau bekommt man so etwas nicht mehr geändert. Außerdem fehlte unserem Kader die Breite, vor allem nach der Verletzung von Jonas Ellwanger und später auch der von Dennis Szczesny.

Hundertprozentige Spieldisziplin – ist das nicht zu viel verlangt von so einer jungen Mannschaft?

Absolut. Aber es muss ja mein Anspruch sein als Trainer, die Spieler dazu anzutreiben.

Wie würden Sie Ihre Mannschaft beschreiben?

Sie ist frech. Aber auch sehr akribisch und ehrgeizig, humorvoll, aber auch sehr mündig. Sie hat einen hohen handballerischen Intellekt. Es macht Spaß sich mit den Jungs über verschiedene Dinge auszutauschen.

Hat Sie etwas überrascht?

Die Mannschaft hat überraschend schnell die Idee verstanden, wie ich Handball spielen möchte. Das ist aber keine reine Eigenleistung von mir und Michael Hegemann. Das liegt auch daran, dass mein Vorgänger Jaron Siewert in den Jahren davor schon sehr viel aufbereitet hat. Ich denke schon, dass wir die Idee ein Stück weit weiterentwickeln konnten. Das hätte aber nicht funktioniert, wenn nicht vorher auch schon ein junger und innovativer Trainer mit der Mannschaft gearbeitet hätte. Die Performance, die die Mannschaft auf die Platte gebracht hat, ist auch zu großen Teilen Jaron zu verdanken.

Was werden Sie an der 1. Liga vermissen?

Auch interessant

Alles (lacht). Natürlich die Gegner, die Qualität und alles, was drumherum mit der Liga verbunden ist. Auch die Aufmerksamkeit, die der Tusem bekommen hat, wird fehlen. Das ist jetzt natürlich alles eher auf kleinerer Flamme.

Mit Blick auf die neue Saison: wie zufrieden sind Sie mit dem Kader? Schließlich verlassen mit Tim Zechel, Niklas Ingenpaß und Laurenz Kluth nur drei Spieler den Verein…

Es fehlt noch an Breite. Aber das werden wir zum Teil auch mit der Rückkehr von Jonas Ellwanger auffangen können, wenn sein Kreuzbandriss verheilt ist. Aber eingespielt sind die Jungs natürlich, das ist gut.

Was sagen Sie zu den Neuzugängen Viktor Glatthardt und Markus Dangers, die beide für die Kreisläufer-Position verpflichtet wurden?

Ich freue mich sehr auf beide und bin schon in regem Austausch mit ihnen. Sie sind Musterprofis und denken den Handball sehr weit. Sie sind sehr kluge Köpfe und bringen einfach eine gewisse Siegermentalität mit. Das ist auch das, was eine so junge Mannschaft braucht.

Welche Rolle wird der Tusem in der neuen Saison einnehmen?

Wir waren zuletzt eine Mannschaft, die jeder schlagen musste. Jetzt werden wir eine sein, die jeder schlagen will. Wir sind ein bisschen die Gejagten, aber es wird generell eine unfassbar starke zweite Liga. Und von der Kaderstärke und -struktur gibt es da durchaus Mannschaften, die uns überlegen sein dürften.

Meinen Sie, die Rolle des Gejagten steht Ihrer Mannschaft?

Ich bin da selbst sehr gespannt und weiß es noch nicht. Ich kann keinem Spieler nächstes Jahr erzählen, dass wir gegen Aue der Underdog sind. Auch wenn ich weiß, dass es unfassbar schwierig ist, in Aue zu gewinnen. Aber wir müssen uns auch nichts vormachen: natürlich gehört man als Absteiger zu den Favoriten. Das wird schon knackig.