Essen. . Schon am Sonntagmorgen leitete Karsten Neitzel die erste Einheit bei Rot-Weiss Essen. Das 1:2 gegen Rödinghausen hatte vielen den Rest gegeben.
Als die überschaubare Kulisse an der Essener Hafenstraße – offiziell 5367 – sich am Samstag nach der 1:2-Heimniederlage gegen den SV Rödinghausen auf den Heimweg machte, hörte man immer wieder den Satz: „So kann es hier nicht weiter gehen“.
Und so ging es auch nicht weiter. Während die Fans noch hitzig diskutierten und neue Namen kursierten, wurde hinter den Kulissen nach einem klaren Plan agiert: RWE-Sportdirektor Jürgen Lucas informierte eine Stunde nach dem Spiel Trainer Argirios Giannikis, dass er sich ab sofort voll und ganz auf seine kommenden Aufgaben beim Drittligisten VfR Aalen konzentrieren kann. Unterdessen saß sein Nachfolger zusammen mit seiner Lebensgefährtin oben im Assindia-Bereich völlig allein an einem Tisch, gänzlich unbeachtet von den Edelfans.
Mannschaft erfuhr es Sonntagmorgen
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Am nächsten Morgen wurde die Mannschaft informiert und um kurz nach elf Uhr ging es für Trainer Karsten Neitzel und sein neues Team hinaus auf den Rasen, diesmal ungewohnterweise im Stadion. Der 50-jährige gebürtige Dresdner ist in der Fußballszene kein unbeschriebenes Blatt, zuletzt löste er seinen Vertrag beim Südwest-Regionalligisten SV Elversberg auf und unterschrieb vergangene Woche – trotz Angebots aus der Dritten Liga – einen Vertrag an der Hafenstraße bis Sommer 2020. Der ehemalige Profi, der 1997 beim SC Freiburg seine Karriere beendete, war daraufhin Co-Trainer unter Volker Finke, holte sich Auslandserfahrung bei den Urawa Reds in Japan, ehe er in Bochum – seinem jetzigen Wohnort – vom Co-Trainer zum Trainer des Zweitligisten aufstieg. Die auffälligste Arbeit leistete der 178malige Ex-Profi aber beim Drittligisten Holstein Kiel, als er die „Störche“ bis in die Relegation zur Zweiten Liga führte, dort aber knapp an 1860 München scheiterte. In seiner Kieler Zeit, später dort auch noch Sportlicher Leiter, stammt sein besonderer Verdienst, zwischen Verein und Fans eine verschworene Einheit geformt zu haben, wovon der aufstrebende Zweitligist heute noch profitiert.
Einer, der die Ärmel hochkrempelt
Und das wird nach den aktuellen „atmosphärischen Störungen“ im Stadion Essen seine dringlichste Aufgabe sein. Neitzel hat in den vergangenen Wochen die Heimspiele der Rot-Weissen live im Stadion verfolgen können, „incognito“ auf der Helmut-Rahn-Tribüne. Kopfschüttelnd nahm er dabei auch die Opernkulisse zur Kenntnis. „Das darf es hier nicht geben“, so der Neue im ersten Gespräch, und berichtet aus seiner Zeit in Japan: „Da haben wir uns nach dem Spiel nach allen vier Seiten verbeugt, da flogen auch Bierbecher und einiges mehr – aber im Spiel waren wir eine Einheit.“
Da will er dann auch durchaus offensiv auf die Kurve zugehen und das Gespräch mit dem einen oder anderen suchen. Der erste Eindruck über den Coach ist jedenfalls, dass wieder einer da ist, der die Ärmel hochkrempelt und nicht Statistik-Analysen aus seinem Laptop zitiert.
Am Mittwoch geht es gleich nach Wuppertal
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Somit weinte am Samstag dem scheidenden Trainer Argirios Giannikis, der in den letzten Tagen große Bereitschaft zum Wechsel signalisierte, auch keiner groß eine Träne nach. Nach dem wiederholten Frust-Erlebnis beim 1:2 gegen wahrlich nicht starke Rödinghauser, durfte er ein letztes Mal über „Ballzirkulation und Schnittstellen“ referieren.
Das Spiel ist schnell erzählt: Besagte Zirkulation in Halbzeit eins hielt sich in engen Grenzen. Rot-Weiss war zwar spielbestimmend, zeigte aber bei den Führungstreffern von Marius Bülter (40.) und Christian März (80.) haarsträubende Nachlässigkeiten in der Abwehr. Auch der Ausgleich durch Kai Pröger (60.) entsprang einem katastrophalen Rückpass der Gäste. Kapitän Benjamin Baier, dessen Muskel kurz vor der Pause zumachte, meinte: „Es ist nie so recht Stimmung aufgekommen auf dem Platz, wir haben bei den Gegentoren nicht zugegriffen.“
Nun, das sollte sich schnell wieder ändern, am besten gleich am Mittwoch beim Wuppertaler SV.