Bottrop. Der SSV Bottrop 1951 prägte die Welheimer Mark. Drei Weggefährten erinnern sich an die familiäre Struktur, die Höhepunkte – und den Absturz.
Einzelne Inseln von Grasbüscheln prägen das Bild des zugewachsenen Fußballplatzes. Drumherum wuchert das Grün, der Löwenzahn blüht, unterbrochen nur von einer liegengelassenen und verrotteten Gummimatte. Die alte Trainer- und Auswechselspielerbank steht mit Graffitis besprüht einsam auf dem leeren Feld.
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Bei Regen tropft es in die verlassenen Kabinen und Duschräume, der Briefkasten am Kassenhäuschen neben dem mit einem einfachen Schloss verriegelten Zugangstor hängt offen hinunter und macht auch dem letztem klar: Hier, an der Klopriesstraße, wo früher zahlreiche Kinder auf dem Sportplatz des SSV Bottrop 1951 aus der Welheimer Mark den Bällen nachjagten, huschen nun höchstens noch Elstern auf der Suche nach Nahrung hinüber.
Die Facebookseite des Klubs gibt es noch, auch wenn sie längst inaktiv ist. „Nur der SSV“ sind die letzten Worte, die unter einer Spielankündigung vom 18. November 2018 stehen. „Nur der SSV“ ist auch ein Motto, das zum Leben erwacht, im Gespräch mit drei ehemaligen Gesichtern des Klubs: Jürgen Döblitz, Jürgen Koch und Sascha Bialas.
Die Lokalduelle des SSV Bottrop gegen Ebel waren gerngesehene Schlachten
„Ich bin im Ortsteil groß geworden, bin dort aufgewachsen“, erinnert sich Sascha Bialas. Lange kickte er in der Jugend für den Verein, später war er neuneinhalb Jahre Trainer beim SSV, sowohl bei den Junioren als auch bei den Senioren.
„Es war früher ein sehr familiärer Klub. Die Leute, die dort gespielt haben, haben auch in der Welheimer Mark gewohnt und man war auch außerhalb des Platzes befreundet. So etwas gibt es heute gar nicht mehr“, sagt Bialas. Besonders die Lokalduelle gegen Ebel bleiben ihm im Kopf. „Da sind die Massen zu Fuß zum anderen Ortsteil gelaufen. Die Leute mussten den Getränkelieferanten sagen, sie brauchen für das Spiel das doppelte als sonst“, so Bialas lachend.
2016 war es, als der heute 37-Jährige als Trainer versuchte, den Verein aus den Niederungen der Kreisliga C wieder zumindest in die B-Liga zu führen. Dorthin, wo der Verein jahrelang sein sportliches Zuhause hatte. „Fast hätten wir das auch geschafft. Vielleicht hätten wir dem Klub so noch ein paar Jahre mehr schenken können“, bedauert Bialas.
Die Kunstrasenplätze in der Umgebung erschweren das Vereinsleben
Denn nur zwei Jahre später war Schluss, Aladin und Sadettin Senyüz versuchten es als Trainerteam noch einmal, doch der Klub war nicht mehr zu retten. „Alles hat sich weiterentwickelt, nur der SSV leider nicht. Es gab veraltete Strukturen, der Umbruch fand nicht statt. Die Leute, die da waren, haben sich bemüht. Aber es waren zu wenige. Und Spieler waren irgendwann sowieso nicht mehr da, weil es ein Ascheplatz ist und alle Jungs auf Kunstrasen spielen wollten“, so Bialas.
Die letzten Jahre war er nicht mehr vor Ort, kennt den überwucherten Platz nur von Fotos. „Das sieht aus, als ob da 20 Jahre nicht mehr gespielt worden wäre. Es ist schon traurig, dass man es so sehen muss. Dass es so verwildert, obwohl da früher so viel Leben drauf war“, sagt Bialas, für den der SSV dennoch „immer ein Verein bleiben, der zu mir gehört.“
In der Vereinskneipe war der SSV 1951 stets Thema Nummer eins
Das kann auch Jürgen Koch getrost von sich behaupten. 40 Jahre war er mit kurzen Unterbrechungen im Verein, sprang immer wieder ein, wenn es personelle Engpässe gab, fungierte unter anderem als Vorsitzender und Geschäftsführer. Die Welheimer Mark ist seit 1979 seine Heimat geworden, seit 1980 war er im Vorstand beim SSV. Aus beruflichen Gründen zog er aus Boy dorthin und fühlt sich seitdem wohl im Stadtteil. „Aus unserem Haus werden sie mich irgendwann mit den Füßen voraus tragen“, sagt er und verdeutlicht so die Verbindung.
Auch für den ehemaligen SPD-Ratsherrn, Vorsitzenden des Sport- und Bäderbetriebs und A-Jugendspieler von Rhenania Bottrop, war es die vertraute Atmosphäre, die zur Identität des Vereins wurde.
„Wir hatten hier eine Gaststätte, die gleichzeitig das Vereinslokal war. Dort spielte sich alles ab, man traf sich auch Sonntag Morgen zum Frühshoppen. Der SSV 51 war das Gesprächsthema Nummer eins“, sagt Koch.
Rund 40 Prozent der Männer im Ortsteil seien auch Mitglieder beim SSV Bottrop gewesen. Das Mitfiebern mit dem Klub ein Teil der Orts-Gemeinschaft. Sowohl bei Spielen in Bottrop als auch bei Auswärtsfahrten.
„Von den 70ern bis zu den 90ern haben wir zu Pfingsten immer einen Ausflug mit dem Verein und ein Freundschaftsspiel gegen einen anderen Dorfklub gemacht. Ins Sauerland oder in den Westerwald zum Beispiel. Da hatten wir stets zwei Busse voll“, sagt sich Koch, der sich auch besonders gerne daran erinnert, wie der unterkellerte Komplex mit den Umkleidekabinen und Duschräumen entstanden ist.
Beim Bau der Duschen und Umkleiden war der SSV Bottrop ein Vorbild in der Stadt
„Wir hatten früher nur zwei Umkleiden und Duschräume. Wenn morgens die A-Jugend gespielt hatte, dann die Seniorenmannschaften, war es ein heilloses Durcheinander. Das wollten wir ändern, Duschcontainer wie bei anderen Vereinen gefiel uns aber nicht, für mehr fehlte aber das Geld. Damals war ein Bottroper Schatzmeister des DFB. Mit ihm habe ich gesprochen und es gab unglaubliche Geldtöpfe, die die großen Klubs abschöpften, von denen die kleinen aber gar nichts wussten“, sagt Koch.
Dadurch kam der Klub zunächst an 20.000 Euro – ohne Zinsen und bei pünktlicher Rückzahlung der ersten Hälfte, wurde die zweite erlassen.
„So ein ähnliches Programm gab es auch beim Landessportbund. Der wollte aber, dass wir in die Kurve der Laufbahn bauen, wodurch wir einen Architekten brauchten, den wir nicht hatten. Am Ende hat es dann die Stadt geplant und der Bau kostete 260.000 Euro. Das war ein Highlight. Denn durch diese Geschichte haben die ganzen anderen Vereine mitbekommen, wie man an Geld kommt und dadurch haben sie auch gebaut“, sagt Koch.
Die Altersstruktur in der Siedlung war ein Problem
Heute steht auch das einst so schmucke Gebäude leer und verlassen auf der Anlage. Die Probleme des Vereins hatten auch mit der Überalterung im Stadtteil zu tun.
„Die Siedlung wurde Anfang der 50er-Jahre gegründet. Damals lebten hier junge Bergleute mit ihren Familien. Viele sind hier alt geworden. Aber Anfang der 2000er fing es an, dass wenig junge Leute hiergeblieben sind, weil die Wohnverhältnisse nicht gut waren. Eine Wohnung mit zweieinhalb Zimmern war hier schon groß. Dadurch bekamen wir auch Probleme mit dem Nachwuchs im Verein“, so Koch.
Und dann kam noch die Hypothek des Ascheplatzes hinzu, die Anlagen mit Kunstrasen in der Umgebung wurden zu einer Einbahnstraße – weg vom SSV.
„Als die Kunstrasenplätze kamen, gingen die Jugendmannschaften nach und nach verloren. Es fing an mit dem Umbau bei Rhenania. Dort hatten sie auf einmal riesige Jugendmannschaften. Und dann ging es ruckzuck weiter mit dem VfL Grafenwald und dem VfB Kirchhellen. Ab da hat man es wirklich gemerkt“, so Koch, der befürchtet, dass bis auf Rhenania, Fortuna, den VfB, Fuhlenbrock und dem FC Bottrop alle Klubs durch ihre Anlage und die Folgen des Coronavirus Probleme bekommen werden.
Kooperation mit einer Grundschule trug keine Früchte
Um den SSV zu retten, sei sehr viel versucht worden. „Wir hatten eine Kooperation mit der Grundschule. Dadurch kamen immer mal ein paar Kinder zum Verein, aber es waren auch einfach zu wenige im Ortsteil. Heute könnten es wieder mehr sein. Durch den Umbau hier sind mehr jüngere Familien gekommen“, sagt Koch.
Nach und nach verließen immer mehr Personen den Verein, es gab keine Freiwilligen mehr, die sich engagieren wollten, die Jugendabteilung lag komplett brach. „Da verliert man irgendwann auch selbst den Mut. Es war eine schleichende Geschichte“, so Koch.
Noch besteht der Klub offiziell
Die Saison 2018/2019 sollte zur letzten in der Vereinsgeschichte werden. „Da hatten wir schon nur noch 12, 13 Spieler. Ende 2019 hatten wir schon an die Auflösung des Klubs gedacht. Da haben aber einige noch einmal ein paar Monate versuchen wollen, Leute für eine nächste Saison in der Kreisliga C zu bekommen. Daraus wurde aber nichts. Im Mai 2020 haben wir bei einer Mitgliederversammlung dann beschlossen, den Klub aufzulösen“, so Koch.
Ganz offiziell ist das übrigens noch nicht. Zwar ist der SSV Bottrop 1951 nicht mehr im Vereinsregister zu finden, bevor er aber gelöscht werden kann, muss alles unter notarieller Aufsicht ein Jahr ruhen, falls jemand noch finanzielle Ansprüche anmeldet. Erst im März 2022 ist für den Klub dann der letzte Vorhang gefallen – mit einer Spende.
Koch: „Das bisschen Geld, das noch übrig ist, wird dann an den Förderverein für Kinder und Jugendliche in der Welheimer Mark gehen. Das wichtigste ist, dass das Geld hier im Ortsteil bleibt.“
Jürgen Döblitz prägte den Verein und den Stadtteil
Im Ortsteil verwurzelt ist auch Jürgen Döblitz. Auch der heute 58-Jährige ließ jahrzehntelang viel Schweiß für den Klub als Jugendtrainer und Jugendleiter und für den Ortsteil als Postbote. „Ich habe in der Jugend beim SSV gespielt. 1978 habe ich dann die erste Mannschaft übernommen und in 40 Jahren Jugendarbeit von der E- bis zur A-Jugend alles trainiert“, sagt Döblitz.
Der SSV sei ein Verein gewesen, bei dem jeder jeden kannte, die Stimmung stets vertraut. „Nach den Spielen ist man noch am Platz geblieben und hat etwas getrunken. Oder man ist zum Essen in die Vereinsgaststätte gegangen. Hier haben alle zusammengehalten“, sagt Döblitz.
Die Fahrten ins Ausland bleiben unvergessen
Mit seinen Jugendmannschaften hatte er immer den Anspruch oben mitzuspielen, den größeren Klubs ein Schnippchen zu schlagen. 13-mal in 40 Jahren gelang es ihm, mit seinen Teams die Meisterschaft zu holen.
„Es war eine richtig geile Zeit. Wir waren mit dem SSV auch oft in Holland oder auch mit der Stadtauswahl der A- und B-Jugend in Bottrops Partnerstadt Veszprém in Ungarn. Das war ein Mammutprogramm, wir sind 18 Stunden mit dem Bus hingefahren und waren mit den 14- bis 18-Jährigen drei, vier Tage dort. Es war wunderschön, direkt am Balaton. Jede dieser Fahrten war ein Ereignis und da denkt man auch noch dran zurück, wenn man die Jungs wiedersieht“, so Döblitz, dessen Schützlinge bis heute noch den Bottroper Fußball prägen.
Mit Samet Kanoglu zusammen im Trainerteam
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Holger Czeranski kickte unter ihm oder auch Kudret und Samet Kanoglu, die heute den VfB Bottrop in die Landesliga führen sollen. „Die haben hier alle angefangen. Samet habe ich noch die Schuhe gebunden und die Nase geputzt“, sagt Döblitz und lacht. Später war der Torjäger des VfB Bottrop sogar sein Co-Trainer in der C-Jugend der Saison 2013/2014.
Doch irgendwann ging es eben nach und nach bergab. „Im Jugendbereich konnten wir keine A- und B-Jugend mehr stellen. Man hatte nur noch die Kleinen. Und vor sechs Jahren gab es dann nur noch einer 7er-C-Jugend. Die hatten wir zusammengehalten, aber dann bekam der VfB Bottrop seinen Kunstrasen und die Spieler sind dorthin, zu Rhenania, Dostlukspor oder Barisspor gegangen“, so Döblitz.
Er selbst wurde dann durch eine Lungenembolie zum Kürzertreten gezwungen. „Danach hatte ich nicht mehr die Kraft, so viel zu machen. Ich habe mein Leben umgekrempelt, denn ich hätte jetzt auch drei Meter tiefer liegen können. Da habe ich mir gesagt, ich mach nichts mehr“, sagt Döblitz.
Nach der Lungenembolie folgt die emotionale Abkapselung
Am Anfang sei diese Umstellung schon sehr schwer gewesen. „Es hat so sehr gefehlt. Auch das Sitzen am Platz, das Klönen mit den Rentnern. Meine Frau sagte mir, ich soll mir einen anderen Verein suchen. Aber ich habe mir gesagt, dass ich dafür brennen müsste, wenn ich wieder was mache. Am Anfang bin ich überall hingefahren und habe mir Spiele angeguckt, aber irgendwann ist es mir gleichgültig geworden“, sagt Döblitz und beschreibt damit unbewusst verschiedene Trennungsphasen, vom Gefühlschaos über die Neuorientierung bis hin zur Akzeptanz.
Bei ihm betrifft die Abkapselung nur eben einen Verein, der allerdings für zahlreiche Menschen steht. Was bleibt, sind die Erinnerungen. Döblitz: „Die Zeit vergisst du nichts. Es war zu 95 Prozent positiv.“