Bottrop. Sie war fast rund um die Uhr auf der Sportanlage von BW Fuhlenbrock: Für Christiane Weidemann ist die Corona-Herausforderung eine ganz besondere.

Zum zweiten Mal heißt der Treffpunkt Torhaus am Stadtgarten. Ich bin mit Christiane Weidemann, der Ikone des Bottroper Frauenfußballs, der Großen Dame von Blau-Weiß Fuhlenbrock verabredet. Tagelang hatte es geregnet, aber heute ist das Wetter großartig, es passt perfekt.

„Bestes Fußballwetter“, stellt Christiane Weidemann fest. Weidemann ist waschechte Bottroperin, oder genauer Fuhlenbrockerin, und der Typ Mensch, der das Ruhrgebiet ausmacht. Sie spricht, wie ihr der Schnabel gewachsen ist und hat das Herz am rechten Fleck. Wir sind schnell bei der schönsten Nebensache der Welt und ich frage sie nach ihrem Resümee der Bundesligaspiele vom Wochenende. Doch davon hat Christiane Weidemann nicht viel mitbekommen.

Normalerweise ist sie immer auf dem Laufenden, doch aktuell gibt es da eine Hürde, die in den letzten Wochen schlicht nicht zu überwinden war. „Ich bin im Moment komplett von der Außenwelt abgeschnitten“, sagt sie, „ich habe seit ein paar Wochen weder Fernsehen noch Internet, da tut sich einfach nix. Seit meinem Umzug bin ich offline und kriege gar nichts mehr mit. Das ist wohl diese Digitalisierung, von der gerade alle so viel reden. Das dauert wohl noch ein wenig“, sagt sie und lacht.

Weidemann: Ich bin es gewohnt, sieben Tage in der Woche auf dem Sportplatz zu sein

Sie bekomme die Ergebnisse am Handy mit. Doch der moderne Profifußball sein nicht mehr ihr Ding: „Mich interessiert es aktuell auch nicht so richtig, was da auf den Plätzen passiert. Dieses Super League-Ding, also nee, das hat mit dem Sport, wie ich ihn kenne und liebe, nichts mehr zu tun. Ich vermisse guten, alten Amateursport, wo auch mal über den Platz gebrüllt wird. Ich bin es gewohnt, sieben Tage in der Woche auf dem Sportplatz zu sein.“ Doch das ist momentan nicht drin. „Jetzt bin ich einmal die Woche auf Fuhle und da ist dann nix los. Das Ordnungsamt kennt mich mittlerweile und winkt freundlich. Am Anfang war das anders, da wurde ich argwöhnisch beäugt und mehrfach angesprochen, was ich denn auf der Anlage zu suchen hätte. Hey, ich arbeite hier.“

Christiane Weidemann und WAZ-Mitarbeiter Kai-Uwe Müller liefen gemeinsam eine Runde durch den Stadtpark.
Christiane Weidemann und WAZ-Mitarbeiter Kai-Uwe Müller liefen gemeinsam eine Runde durch den Stadtpark. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Für einen vielseitigen Menschen wie Christiane Weidemann ist die aktuelle Situation rund um das Coronavirus sehr anstrengend. Weder im Fußball noch im Rehasport kann sie derzeit so arbeiten, wie sie es gewohnt ist: direkt am Menschen, immer im Austausch und mit Engagement. Es fehlt der Austausch, das Miteinander und auch die Reibung, die entsteht, wenn Generationen aufeinander treffen. Denn resolut ist sie, Respekt ist ihr wichtig und das vermittelt sie Kindern genauso wie Erwachsenen. Sport funktioniert im Miteinander und im voneinander Lernen.

Kleine Laster und die unmögliche Weltmeisterschaft in Katar

Über Corona und die Pandemie, die seit mehr als einem Jahr unser Leben bestimmt, wollen wir nicht lange reden. Wir sprechen über Laster und stellen fest, dass wir einige Gemeinsamkeiten haben: Ja, Christiane Weidemann raucht. Und trinkt dazu auch gerne mal ein Bierchen. Wir sprechen über die kommende WM in Katar. Da vertritt Christiane einen klaren Standpunkt: „Ich würde und könnte niemals nach Katar fliegen. Ich werde mich niemals verschleiern. In Katar werden Menschenrechte mit Füßen getreten, wie kann dort das größte Fußballturnier der Welt durchgeführt werden? Nee, da bin ich raus.“

Eine Frau der klaren Worte und klaren Prinzipien ist sie. Das gilt auch dann, wenn sie als Schiedsrichterin auf dem Platz steht. Eine weitere Leidenschaft der Bottroperin: „Wenn ich pfeife, habe ich meine klare Linie, aber ich erkläre auch schon mal meine Entscheidungen. Und wenn ich falsch liege, nehme ich eine Entscheidung zurück.“

Unser Gespräch dreht sich weiter um viele Themen, wir reden über die Probleme von Selbstständigen mit dem Finanzamt, von der Umstrukturierung der Post, von Arbeitsplatzwechseln und lachen gemeinsam darüber, wie oft der Satz „Das geht nicht“ im Arbeitsleben fällt. „Dabei geht doch so vieles“, sagt Weidemann, „man muss nur einfach mal anpacken. Wenn ich im Verein immer wieder ,geht nicht’ sagen würde, wäre ich im Ehrenamt falsch.“

Auf Fuhle ist Christiane Weidemann ganz in ihrem Element

Blau-Weiß Fuhlenbrock ist Weidemanns große Leidenschaft. Hier ist sie schon in jede denkbare Rolle geschlüpft. Vom aktiven Fußball verabschiedet sie sich zunehmend: „Ich kann heute einfach auch nicht mehr so auf dem Platz agieren, wie ich gerne möchte. Das klappt körperlich nicht mehr, als Trainerin muss ich ja auch vormachen, wie es geht. Was ich aber noch viel wichtiger finde, ist, dass der Sport Spaß macht. Erfolg ist auch, wenn eine Mannschaft regelmäßig die Hütte voll bekommt und man es dann schafft, mit denen nicht Letzter zu werden oder die Klasse zu halten. Mein Ziel war und ist immer gewesen, aus den Mädels und Jungs solide Fußballer zu machen. Das ist wichtig. Die Kinder sollen Spaß am Spiel und der Bewegungen haben.“

Anpacken statt rumreden: Christiane Weidemann gehört zu den Machern von BW Fuhlenbrock.
Anpacken statt rumreden: Christiane Weidemann gehört zu den Machern von BW Fuhlenbrock. © FUNKE Foto Services | Franz Naskrent

Auch Christiane Weidemann hat einmal ganz klein angefangen. Mit 14 Jahren, also im schönen Sommer des Jahres 1978, ging es für sie los beim SV Blau-Weiß Fuhlenbrock, dem Verein, dem sie bis heute treu geblieben ist. „Ich gehörte damals zu den Jüngsten. Zu dieser Zeit gab es bei den Frauen noch keine Juniorinnen-Teams, nur Erwachsene. Meine Tante wohnte in der Nähe des Platzes und immer, wenn ich bei ihr zu Besuch war, habe ich da am Zaun gestanden und geguckt. Und irgendwann kam dann eine von den Spielerinnen rüber und fragte mich, ob ich nicht mal mitmachen wolle“, erinnert sich Weidemann und ergänzt mit einem Lachen: „Meine Mutter meinte nur: Heul mir nicht die Ohren voll, wenn du nachher die Knochen kaputt hast.“

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Besonders gern erinnert sich Christiane Weidemann an das Jahr 1985, als sich Fuhlenbrocks Fußballerinnen für die Hauptrunde des DFB-Pokals qualifizierten. „Wir als Landesligist gegen den großen TSV Siegen. Da spielten so Größen wie Silke Rottenberg, Martina Voss oder die ehemalige Bundestrainerin Silvia Neid.“ Weidemann erinnert sich noch genau: „Wir haben so dermaßen den Hintern versohlt bekommen. Mitte der zweiten Halbzeit wurde Martina Voss beim Stand von 14:0 ausgewechselt. Sie ging an meinem Tor vorbei und sagte, ich sei als Torhüterin noch die beste Spielerin hier. Puh, ich war so geladen. Ich habe mich zu ihr umgedreht und ihr gesagt, dass ich mich auch selbst verarschen könne. Als wir uns im Februar 2020 beim Amateurfußball-Kongress wieder getroffen haben, haben wir beide über diese Begegnung herzlich gelacht.“

Aufreibende Anfangszeit

Die Pionierzeit des Frauenfußballs war eine wilde Zeit und für die Frauen eine Zeit des Aufbruchs und der Veränderung. Durchsetzungsvermögen und ein dickes Fell waren nötig, um der selbstgefälligen Männerfußballgesellschaft klar zu machen, dass es hier um ernsthaften Sport mit Ambitionen geht. „Wie oft habe ich den Spruch, Frauen hätten auf dem Fußballplatz nichts verloren, gehört. Das war ein langer Weg bis hierhin“, sagt Weidemann. In ihrer Stimme schwingt ein wenig auch der Stolz auf das Erreichte mit.