Der VfB Kirchhellen lernt im freien Fall das Fliegen
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Gelsenkirchen. . Der VfB Kirchhellen liegt nach 90 Minuten mit 1:3 hinten, schafft aber das Unfassbare und steht jetzt als Aufsteiger fest.
Der VfB Kirchhellen ist sich treu geblieben. Der finale Akt um den Einzug in die Bezirksliga durfte am Sonntag als nervenaufreibende Fortsetzung des Relegationsdramas der Vorsaison verstanden werden, diesmal mit einem glücklichen Ende. Dass der VfB gegen die SG Eintracht Gelsenkirchen nach 90 Spielminuten mausetot schien, dann aber dennoch das Unfassbare mit zwei Treffern in der Nachspielzeit möglich machte, passte nur allzu gut ins Drehbuch einer total abgedrehten Geschichte.
Auf den 50 Metern von der Mittellinie zum Elfmeterpunkt schossen dem jungen Mann noch quälende Gedanken durch den Kopf. Dann legte er sich entschlossen den Ball zurecht, blickte Schiedsrichterin und Torhüter an und nahm Anlauf. Ein Schuss, ein Tor, ein Tollhaus. Marc Bühler riss sich das Trikot vom Leib, pustete die Backen auf und erwartete in Ronaldo-Pose den Ansturm. Von links rannten die Fans auf ihn zu, von rechts die Mitspieler. Bühler bildete am Sonntag das Epizentrum Kirchhellener Glückseligkeit. „Links“, meinte Bühler trocken, „ich schieße immer links.“ So, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, in dieser heiklen Situation der eigenen Routine zu vertrauen. Von seinem Schuss hing der Erfolg einer ganzen Saison ab. Der junge Mann schien das für einen kurzen Moment komplett vergessen zu haben. Gut so.
Bühler war aber nur einer von vielen Aufstiegshelden. An erster Stelle stand der Mann mit der Nummer 1 auf dem Trikot, dessen Nachnahme so gut zu seiner Leistung passte: Alexander Groß. Der Schlussmann hatte in den regulären 90 Spielminuten zwar dreimal hinter sich gegriffen, trug aber bei keinem Gegentreffer die Schuld. Dass der VfB das Ruder noch einmal herumreißen konnte, hatte er erst möglich gemacht. Beeindruckende Reflexe, gutes Stellungsspiel und eiskalte Nerven in brenzligen 1-gegen-1-Situationen, und von denen gab es reichlich. Groß war gefordert und er machte alles richtig. Im Elfmeterschießen parierte er die Versuche von Tuncay Günaydin und Abdullah Akca.
Zum Spiel: Das Duell mit der SG Eintracht Gelsenkirchen wurde für die mehr als 1200 mitgereisten Kirchhellener zu einer emotionalen Achterbahnfahrt. Die Blau-Weißen begannen konzentriert und druckvoll, spielten den Gegner regelrecht an die Wand und hatten vor und nach dem 1:0 durch Fabian Mohs (14.) hochkarätige Chancen. Das Spiel hätte schnell entschieden sein können. Doch dann weckte ein böser Abwehrschnitzer die Lebensgeister des Gegners. Die SG Eintracht brauchte nur wenige Momente, um dem Spiel eine neue Wendung zu geben. Der Ausgleichstreffer in der 17. Minute mag in seiner Entstehung schmeichelhaft gewesen sein. Dass er verdient war, bewiesen die Minuten bis zum Halbzeitpfiff von Schiedsrichterin Kathrin Heimann. Die Gelsenkirchener wirbelten die VfB-Abwehr mit ihren quirligen und schnellen Offensivspielern ordentlich durcheinander. Phasenweise standen die Kirchhellener völlig neben sich. Nichts erinnerte mehr an die Souveränität der Meistersaison. Auch Bartosz Maslon hatte Probleme, seine Mannschaft in die Spur zu bringen. Die Ansprache des Trainers in der Halbzeitpause wirkte nur wenige Minuten, dann hatte Gelsenkirchen wieder Oberwasser und kam durch Engin Polat zum Führungstreffer (65.). Das Spiel schien entschieden, als Sahin Dogan nach 73 Minuten das 3:1 nachlegte. Nicht wegen des Ergebnisses, sondern wegen der Körpersprache des VfB. Die Kirchhellener mühten sich vergeblich, zwischen Defensive und Offensive klaffte ein großes Loch. Mit spielerischen Mitteln konnten die Blau-Weißen dem Gegner nicht mehr gefährlich werden.
Mit langen Bällen zum Erfolg
Als alles längst verloren schien, drängte Kirchhellens Defensive um Daniel Schlak noch einmal mutig nach vorn. Die langen und hohen Bälle in den Strafraum zeigten schnell Wirkung. Gelsenkirchen verlor mit Ausnahme des überragenden Marcel Kouakou völlig den Überblick. Die reguläre Spielzeit war bereits abgelaufen, als Dominik Selm aus dem Gewühl zum 2:3 traf. Auf dem Weg zum Mittelkreis hielt Schiedsrichterin Kathrin Heimann die fünf Finger ihrer linken Hand in die Luft. Der VfB belagerte nun mit zehn Mann den Gelsenkirchener Strafraum, erspielte sich zwei gute Chancen in kürzester Folge, Marc Bühler kam nur einen Schritt zu spät, Dominik Selm schoss knapp daneben. Jetzt verlies auch Alexander Groß seinen Platz zwischen den Pfosten, schaltete sich in die Serie von Eckbällen ein. Die fünfte Nachspielminute lief, als der VfB noch einen Freistoß zugesprochen bekam. Der kam eigentlich viel zu kurz, doch während sich die Gelsenkirchener selbst auf den Füßen standen, behielt Daniel Schlak den Überblick und drückte den Ball über die Linie. Pech für die Zuschauer unter den knapp 2000, die das Stadion schon verlassen hatten.
Eintracht in der Verlängerung völlig ausgepumpt
In der Verlängerung spielte nur noch der VfB Kirchhellen, weil die SG Eintracht körperlich längst nicht mehr Schritt halten konnte. Die Gelsenkirchener sackten reihenweise ins Gras, um ihre Krämpfe behandeln zu lassen. Erschreckend war die Anzahl der Unterbrechungspausen. Doch so sehr sich die Gelsenkirchener auch bemühten, Zeit zur Regeneration zu schinden: Am Spiel nahm nur noch Kirchhellen teil.
Bitter, dass der erlösende Treffer nicht fallen wollte. Blieb nur noch das Elfmeterschießen, um die Saison zu entscheiden. Eins vorweg: Das hatte keine der beiden Mannschaften verdient. Kirchhellen und Gelsenkirchen waren als Meister einer langen A-Kreisliga-Saison in die Partie gegangen. Die Entscheidung vom Elfmeterpunkt war unwürdig aber unumgänglich. Marc Baßenhoff verwandelte den ersten, Julian Thimm vergab den zweiten. Fabian Mohs, Dominik Selm und Marc Bühler trafen, während zwei Gelsenkirchener Versuche an Alexander Groß scheiterten. Kirchhellen ist Bezirksligist.
Stimmen zum Spiel
Kapitän Daniel Schlak: „Dieses Spiel war unglaublich. Ein geiles Gefühl, als Spieler auf dem Feld zu stehen. Wir waren nach dem 1:3 schon tot und ganz ehrlich: ich habe selbst nicht mehr dran geglaubt, dass wir es schaffen können. Es in der Schlussphase mit langen Bällen in den Strafraum zu versuchen, war eine klare taktische Vorgabe unserer Trainer. Aus der Erfahrung des letzten Jahres wussten wir, dass das Gelsenkirchener Abwehrverhalten in die Hose gehen kann. Wir werden jetzt bis Sonntag durchfeiern.“
Co-Trainer Michael Terwellen: „Ich bin unheimlich erleichtert. Wir haben uns das Spiel selbst schwer gemacht. Bei unserer Qualität wäre das nicht nötig gewesen. Aber solche Spiele haben ihre ganz eigenen Regeln. In fünf Minuten kann ganz viel passieren.
Marc Wischerhoff: Das war nervenaufreibend, von der Dramaturgie nicht zu toppen. Die Mannschaft hat Charakter gezeigt. Ich freue mich für jeden einzelnen.
Fabian Mohs: Mir fehlen immer noch die Worte. Dieses Spiel hat gezeigt, was für ein Charakter in der Mannschaft steckt und dass das ganze Dorf hinter uns steht. Ich glaube, dass jeder im Team wusste, dass wir das Spiel noch drehen können. Wir mussten dafür an einem Strang ziehen und haben das auch getan.
Der VfB Kirchhellen feiert den Aufstieg in die Bezirksliga
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