Wattenscheid. Sindermann, Dauerbrenner der SG Wattenscheid 09 spricht über das Gefühl eines Abstiegs, den Spirit seiner Mitspieler und seine eigene Zukunft.
In 21 Regionalliga-Spielen in Folge stand Tom Sindermann für die SG Wattenscheid 09 über die volle Spielzeit auf dem Platz, führte den Tabellenvorletzten zuletzt auch als Kapitän aufs Feld. Der 25-jährige Student (Mathe und Sport) wurde unter anderem beim FC Schalke ausgebildet. Er spielte für Concordia Wiemelhausen, die TSG Sprockhövel und seit 2020 für die SGW, mit der er im vergangenen Sommer den Regionalliga-Aufstieg feierte. Im WAZ-Interview spricht er über die letzte Hoffnung im Abstiegskampf, die besondere Stimmung in der Wattenscheider Mannschaft, die Stammplätze – und einen Abstieg mit Christian Britscho.
Herr Sindermann, das 2:3 gegen Köln ist nun zehn Tage her – Sie hatten ein freies Wochenende. Seitdem gab es den Einspruch gegen die Spielwertung, der Rückzug von Kaan-Marienborn wurde öffentlich, die Konkurrenten im Tabellenkeller haben gewonnen. Was für Gefühle löst das bei Ihnen aus, wie sprechen Sie mit den Mitspielern darüber?
Nach dem freien Wochenende bin ich gut erholt. Die anderen Themen haben wir in der Mannschaft natürlich besprochen. Was Kaan angeht, da war es ja ein sehr kurzer Zeitraum vom Gerücht bis zu dem Zeitpunkt, dass es offiziell war. Der Trainer hat es natürlich vor der ganzen Mannschaft angesprochen, damit das auch jeder mitkriegt, was das für uns bedeutet. Wir haben dadurch sicher etwas neue Hoffnung. Aber mehr auch nicht.
Stichwort neue Hoffnung: Hatten Sie nach der Niederlage gegen Köln das Gefühl, dass es das war mit der Chance auf den Klassenerhalt?
Nein, daran denkt man in dem Moment nicht. Wir verlieren ja schon seit einigen Wochen immer wieder und das hängt uns zum Hals heraus – direkt nach dem Spiel ärgere ich mich über die Niederlage, da denke ich nicht so an die Tabelle. Solange der Ligaerhalt möglich ist, glauben wir natürlich trotzdem dran.
Jetzt läuft der Einspruch gegen Köln, wahrscheinlich werden Köln drei Punkte abgezogen für den Wechselfehler.
Ja, der Fehler war ja sehr schnell unstrittig. Wir warten noch auf das Urteil, aber es hieß oft, dass Köln die Punkte abgezogen bekommt, wir aber das 2:3 behalten – obwohl wir direkt benachteiligt worden sind. Ich habe, weil mich das beschäftigt hat, danach auch selbst noch etwas in den Regeln nachgelesen und verstehe es nicht. Und das ist natürlich ein Thema, über das wir in der Mannschaft diskutieren: Was ist das für ein Paragraph? Der Trainer hat auch da eine Ansprache gehalten und erklärt, wie der Verein mit der Situation umgeht. Unabhängig davon, dass wir betroffen sind und wie das Urteil lautet: Ich finde es wichtig, dass es für den Verein auch ein Anliegen ist, dass diese Regel geändert wird.
Wie oft ist für Sie und die anderen Spieler die Tabelle ein Thema?
Je knapper es ist, desto häufiger gucke ich. In der Zeit, als wir viel verloren haben, wusste ich oft nicht, wie viele Punkte Rückstand wir genau haben. Durch den Rückzug von Kaan ist es wieder enger: Vor den Nachholspielen am Wochenende waren es nur zwei Punkte. Nun sind es wieder fünf, weil Ahlen gewonnen hat. Aber solange wir selbst nicht gewinnen, brauchen wir uns damit nicht zu beschäftigen.
Wattenscheid hat in den vergangenen zwei Jahren ein starkes Mannschaftsgefüge ausgemacht – haben Sie Sorge, dass das Team im Fall des Abstiegs auseinanderbricht? Viele Spieler haben ja wahrscheinlich trotzdem den Anspruch, weiter in der Regionalliga zu spielen.
Klar, der ein oder andere würde sicher gerne weiter in der Regionalliga spielen. Aber dass jetzt alles zerfällt, das ist überhaupt kein Thema. Wir wussten ja vorher, was kommt, und dass es in beide Richtungen gehen kann. Dass bei einem Abstieg der Umbruch im Kader größer ist, als wenn man drinbleibt, ist auch nicht besonders. Darüber mache ich mir nicht tagtäglich Gedanken. Es ist gerade eher so, dass alle auf die letzte Chance pochen, die Liga zu halten. Das ist unser Fokus.
Sind Sie schon einmal abgestiegen?
Ja, einmal. Blöder Zufall: Das war unter Christian Britscho, mit der Wuppertaler A-Jugend. Er hat uns damals aber erst im Winter übernommen. Es war eine doofe Saison, aber wir haben eine ordentliche Rückrunde gespielt. Abzusteigen ist wirklich das schlimmste Gefühl im Fußball. Obwohl es mich damals nicht mehr direkt betroffen hat, weil ich danach aus der A-Jugend rauskam, weiß ich genau, wie es war, als der Abstieg feststand. Ich glaube, am vorletzten Spieltag – so ein Gefühl will ich nicht noch mal erleben.
Was tun Sie, um das in diesem Jahr zu verhindern? Können Sie überhaupt noch mehr tun als bisher?
Wir wissen ja, wie wir teilweise unsere Gegentore kassieren, das müssen wir in den Griff kriegen. Aber die ganzen Nachrichten der vergangenen Tage haben uns noch mehr Spirit, mehr Dampf gegeben. Und obwohl die Trainingsmöglichkeiten alles andere als optimal sind, finde ich es bewundernswert, wie die Mannschaft damit umgeht. Natürlich ist die Stimmung deshalb nicht gut – aber andere Mannschaften würden an so einer Situation eher zerbrechen.
Woher kommt diese Motivation? Ist es der Trainer, der Sie zusammenhält, sind es die Wortführer in der Kabine?
Nein. Ich glaube, das ist nichts, was einem zugeredet werden kann. Der Trainer braucht dafür auch nicht die siebzehnte Motivationsrede halten – das muss von innen kommen, aus jedem Spieler selbst. Ein Beispiel: Norman (Jakubowski, d. Red.) hat gerade beruflich viel zu tun, spielt fast gar nicht mehr. Trotzdem verbringt er jede Minute mit am Platz, die er sich freischaufeln kann. Die Jungs haben einfach von sich aus Bock, so muss es sein. Und gerade bei denen, die mit aufgestiegen sind, zeigt sich das.
Einige aus der Aufstiegsmannschaft spielen sportlich allerdings eine deutlich kleinere bis gar keine Rolle mehr. Sorgt das nicht für Ärger?
Dass der ein oder andere nicht zufrieden ist, ist doch klar. Wer mit aufsteigt, will auch seinen Stammplatz behalten. Aber diese Unzufriedenheit verwandelt niemand in schlechte Stimmung, auch wenn es verständlich ist, dass einige sauer sind. Es ist Wahnsinn, wie gut einige der Jungs das nehmen.
Sie dagegen haben seit einem halben Jahr jedes Spiel über 90 Minuten auf dem Platz gestanden, waren zuletzt auch Kapitän. Haben Sie das so von sich erwartet oder sind Sie überrascht?
Dass ich dritter Kapitän bin hinter Norman Jakubowski und Marvin Schurig, stand vorher fest, das war also keine Überraschung. Dass ich es in der Regionalliga packen kann, war auch mein Anspruch, mit dem ich in die Saison gegangen bin. Es ist mein erstes Jahr Regionalliga. Ich habe mich aber in den ersten Spielen gut gefühlt und gemerkt, dass ich das Tempo mitgehen kann.
Wollen Sie auch nächstes Jahr unbedingt in der vierten Liga spielen?
Die Ambition habe ich grundsätzlich schon, aber ich bin kein Vollprofi und muss gucken, wie der Fußball zu meiner Lebenssituation passt. Ich studiere und wohne in Bochum. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt, aber aktuell habe ich noch mit keinem anderen Verein gesprochen. Wattenscheid ist mein erster Ansprechpartner, auch wenn es wieder in die Oberliga gehen könnte.
Samstag steht das nächste Endspiel in Lippstadt an. Was erwarten Sie?
Wir haben die Videoanalyse hinter uns, kennen wie immer einige Stärken und Schwächen. Lippstadt ist sicher keine angenehme Aufgabe, aber auch keine Übermannschaft. Und wir sind sowieso nicht in der Lage, dass wir sagen: Das wird aber unangenehm, wir holen die Punkte lieber nächste Woche daheim. Wir müssen immer auf Sieg spielen.
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