Bochum. . Tono Kirschbaum ist Leichtathletik-Trainer beim TV Wattenscheid 01. Sport steht bei ihm im Mittelpunkt, aber er ist auch oft im Schauspielhaus.
Anton „Tono“ Kirschbaum war ein erfolgreicher Mittelstrecken-Läufer, 1978 wurde er hinter Thomas Wessinghage Deutscher Vizemeister über 1500 Meter. Nicht zu vergessen der Hallentitel mit der 3 x 1000-Meter-Staffel des TV Wattenscheid 01 1978, als sich Startläufer Kirschbaum, Jürgen Lubrecht und Willi Wülbeck den Sieg schnappten. Nach dem Leistungssport stieg er beim TV Wattenscheid 01 als Trainer ein. Mit großem Erfolg, hier betreute er Top-Läufer wie Rüdiger Stenzel, Mark Ostendarp, Michael Fietz, Alexander Lubina, Jan Fitschen und Denise Krebs. Für unser Interview waren wir am Anneliese-Brost-Musikforum verabredet, aber dann stellte sich heraus, dass Tono Kirschbaum noch lieber als ins Konzert ins Theater geht. Also ging’s fürs Foto-Shooting hinüber zum Schauspielhaus. Eine kurze Wegstrecke, auf der aber Grundsätzliches geklärt werden konnte.
Sie sind als Trainer stark eingespannt, bleibt da überhaupt Zeit für kulturelle Unternehmungen?
Tono Kirschbaum: Die nehme ich mir, Kultur ist wichtig in meinem Leben. Das habe ich früh gemerkt, damals waren wir mit Freizeitfahrten der katholischen Jugend unterwegs. Wir stellten jedesmal ein Theaterstück auf die Beine, das hat mir Spaß gemacht. Musik mag ich auch, da denke ich an das Weihnachtskonzert der Bochumer Symphoniker, das meiner Frau und mir sehr gut gefallen hat. Aber ich bin besonders gern im Schauspielhaus. Dieses Jahr aus Zeitgründen nicht sehr regelmäßig, aber in den vorherigen Spielzeiten hatten wir immer ein Abo gebucht.
„Auch Kunst ist harte Arbeit“
Was haben Sie zuletzt gesehen?
Die „Johnny Cash“-Show. Aber auch das „Bochum“-Singspiel war ein sehr schöner Abend. „Kabale und Liebe“ hat mir ebenfalls gefallen und „Hans im Glück“. Das war ein Stück von einem zeitgenössischen Bühnenautor. Ich fand’s gut, meine älteste Tochter auch, die jüngere nicht so.
Zur Person
Anton Kirschbaum wurde 1954 in Münster geboren. Am Gymnasium erkannte sein Sportlehrer Hans-Adolf Hüsgen sein läuferisches Talent und betreute ihn bei der LG Ratio Münster, der auch Harald Norpoth und Franz-Josef Kemper angehörten, in den 1960er Jahren Weltklasseläufer.
1980, mit 25 Jahren, gab Kirschbaum den aktiven Sport auf wegen Problemen an der Achillessehne und dem Sprunggelenk. Er studierte Sport und Geschichte für die Sekundarstufe I und II an der Ruhr-Uni. Nach dem Referendariat bekam er keine feste Anstellung und stieg schließlich als Trainer beim TV Wattenscheid 01 ein.
Wo, denken Sie gibt es zwischen Sport und Kultur Überschneidungen? Kann man das überhaupt vergleichen?
Ich denke doch. Sport und Kultur spielen eine wichtige gesellschaftliche Rolle. Normalerweise heißt es, dass der körperlich intensive Sport „profan“ und die Kultur ganz anders sei, irgendwie „geistig“. Aber das stimmt nur bedingt, denn auch Kunst ist harte Arbeit, das weiß jeder, der sich einmal mit dem Körpertraining von Schauspielern beschäftigt hat. Und es gibt noch etwas Gemeinsames: Erfolge in der Leichtathletik wie im Theater verlangen eine lange Vorbereitung, beide zielen nicht auf kurzfristige Effekte ab.
Erfolgreich zu sein, vom Publikum anerkannt oder gefeiert zu werden, gehört ebenfalls zu beiden.
Das Gefühl des Gescheitert-Seins kennen Schauspieler und Sportler gleichermaßen. Wenn eine Aufführung durchfällt oder ein sportliches Ziel verpasst wird, ist der Frust vergleichbar. Andersherum gibt’s natürlich auch den Push des Erfolges. Wenn es auf der Bühne „läuft“, ist das für einen Schauspieler ebenso motivierend wie für einen Fußballer, wenn es auf dem Platz klappt.
Die Schauspielschulen sind voll und können sich vor Bewerbern kaum retten. Wie steht es um den Nachwuchs in der Leichtathletik?
Nachwuchsarbeit im Sport wird immer schwieriger, sieht man mal vom Fußball ab. Die Leichtathletik insgesamt hat sicher ein Nachwuchsproblem. Auch wenn wir in Wattenscheid immer noch einen sehr großen Zulauf haben. Die Interessen der Jugendlichen verteilen sich heute auf so viele Bereiche, es wird viel mehr angeboten als früher, denken Sie an den Fun-Sport oder an E-Games im Internet. Hier sehe ich eine gewisse Passivität um sich greifen. Selbst aktiv zu werden, ist seltener geworden. Aber man sollte auch nicht zu schwarz malen. Jugendliche, die Leidenschaft für eine bestimmte Disziplin mitbringen, gibt es natürlich immer noch. Wobei Leidenschaft immer auch mit Leidensbereitschaft verbunden ist.
Sport in der Schule braucht höheren Stellenwert
Wie könnte das Interesse an Sport, aktiv ausgeübtem Sport, gefördert werden?
Auch interessant
Wichtig wäre, dem Sportunterricht an den Schulen wieder einen höheren Stellenwert einzuräumen. Damit meine ich nicht den Leistungssport. Das würde die Begeisterung, sich körperlich zu erfahren und auszudrücken, aber auch die Selbstdisziplin und die Einstellung zur Anstrengung der Jugendlichen steigern und auch den sozialen Aspekt fördern, denn gemeinsam etwas zu erreichen, ist ein super Ansporn. Gleiches gilt übrigens für das Theaterspielen, Theater-AGs dienen letztlich auch der Förderung des Selbstvertrauens.
Zum Schluss eine Frage an den Literaturfreund. Kennen Sie das Buch „Die Einsamkeit des Langstreckenläufers“?
Ich kenne den Titel, und ich glaube, wir haben das in der Schule durchgenommen. Aber worum geht es da nochmal?
Um einen unangepassten Jugendlichen, den sein läuferisches Talent letztlich dazu führt, seinen „eigenen Kopf“ zu entwickeln. Gerade im Gegensatz zur ihn umgebenden Gesellschaft.
Das mit dem „eigenen Kopf entwickeln“, da ist auf jeden Fall ‘was dran. Beim Langstreckentraining kommt man schnell in einen Gedanken-Flow, der im besten Fall nicht nur dazu führt, dass man entspannter wird, sondern auch seine Ideen geordnet bekommt. Langstreckenläufer sind in der Regel ausgeglichene Menschen. Im Beruf übrigens, im Anschluss an ihre Laufkarriere, meist sehr erfolgreich.
>>> Fünf Fragen an...: „Kultur trifft Sport“ – der Fragebogen der WAZ
1. Komplettieren Sie bitte diesen Satz: Schulsport war für mich...?
. . . leider nicht täglich auf dem Stundenplan.
2. Welches Buch hat bei Ihnen Eindruck hinterlassen?
Es waren mehrere: „Die Abenteuer von Huckleberry Finn“ von Mark Twain. „Ende einer Dienstfahrt“ von Heinrich Böll. „Die Entdeckung des Himmels“ von Harry Mulisch. „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ von Milan Kundera. „Unterleuten“ von Juli Zeh.
3. Glauben Sie, dass es Gemeinsamkeiten im Berufsleben der Künstler und Sportler gibt?
Ja, eine Menge, allen voran: Begeisterung und Leidenschaft. Dazu kommt hartes Training, über Jahre hinweg, geprägt von Disziplin, aber ohne Erfolgsgarantie. Aufstieg und Fall liegen in beiden Bereichen oft nah beieinander, man muss sich der Öffentlichkeit stellen und dem Druck standhalten. Das Arbeitsumfeld ist oft von Unzulänglichkeiten aufgrund von Geldmangel geprägt.
4. Künstlern wie Sportlern wird ständig von aller Welt auf die Finger und die Füße geschaut. Ist Ihnen das unangenehm oder lässt Sie das gleichgültig?
Leichtathletiktrainer stehen nicht so im Fokus der Öffentlichkeit. Gleichgültig lässt es mich aber nicht. Nach Niederlagen will man sich oft verstecken, nach Erfolgen schmeichelt einem die Aufmerksamkeit. Aber nach mittlerweile fast 40 Jahren Trainertätigkeit sehe ich dieses „Spiel“ wesentlich gelassener als in meinen Anfangsjahren.
5. Bekommt der Sport im Vergleich zur Kultur zu viel öffentliche Aufmerksamkeit?
Klammert man beim Sport den Fußball aus – und den muss man ja fast schon zur Schauspielerei rechnen, wenn man bedenkt, wie perfekt die Fußballer „toter Mann“ spielen können –, halte ich das Verhältnis für ausgewogen.
>>> WAZ-Serie „Kultur trifft Sport und Sport trifft Kultur“
Das Interview gehört zu unserer neuen Serie „Kultur trifft Sport und Sport trifft Kultur“. Es geht dabei um einen Rollentausch von Kultur- und Sportredakteuren in Gesprächen mit Künstlern und Kulturschaffenden sowie Sportlern.