Tusem-Trainer Jamal Naji schaut im Interview auf die Saison zurück und zeigt auf, wo es gehakt hat. Der Abschied aus Essen fällt ihm nicht leicht
Der Tusem Essen befindet sich in der Sommerpause und wird sich bald mit einem neuen Trainer auf die anstehende Saison in der 2. Handball-Bundesliga vorbereiten. Doch bevor Michael Hegemann das Ruder übernehmen wird, haben wir mit dem scheidenden Trainer Jamal Naji gesprochen und einen Strich unter die abgelaufene Saison und seine Zeit in Essen gezogen.
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Herr Naji, eine lange und teils zähe Saison endete für Ihre Mannschaft nur auf Rang acht. Zu wieviel Prozent zufrieden sind Sie?
Naji: „Zu sagen, dass ich zu 100 Prozent zufrieden wäre, wäre albern und unseriös. Wir haben es immerhin geschafft einige Spieler individuell weiterzuentwickeln und auf ein neues Niveau zu bringen. Wir wussten schon zu Beginn der Saison, dass es nicht einfach und die Kadersituation hin und wieder eine echte Flickschusterei werden würde. Und das ist uns ehrlicherweise auch nicht immer gelungen, als die Spieler ausfielen. Unser größtes Manko war die schwache Abschlussquote der freien Würfe und die Durchbrüche über das Zentrum im Angriff. Damit können wir nicht zufrieden sein.“
Abschlussqualität muss verbessert werden
Eigentlich sollte der Aufstieg das Ziel sein. Was waren die Hauptgründe dafür, dass es nur zu Platz acht gereicht hat?
„Die Abschlussqualität muss dringend verbessert werden und auch im Zusammenspiel zwischen Torhüter und Abwehr sehe ich noch Entwicklungspotenzial. Unsere spielerische Qualität war teilweise sehr gut, aber wir haben zu wenig Kapital daraus geschlagen und eben die einfachen Chancen liegenlassen.“
Sich die Chancen zu erarbeiten ist meist schwieriger, als sie zu verwerten. Können Sie das Verwerten der einfachen Chancen überhaupt trainieren?
Eigentlich müssten Zweitligaprofis dies ja können…„Ich würde es mir nicht zu einfach machen und sagen, dass ich als Trainer keine Chance hätte, das zu verbessern. Aber ich habe, ehrlich gesagt, keine Lösung dafür gefunden. Und wenn ich sie hätte, dann würde ich vielen anderen Trainern überlegen sein (lacht).“
Die Spieler haben mehr Werkzeuge entwickelt
Was konnten Sie denn in den zwei Jahren beim Tusem Ihren Spielern beibringen?
„Individuell haben einige Spieler ein größeres Portfolio ihrer Stärken bekommen, denke ich. Sie haben mehr Werkzeuge entwickelt, um variabler zu sein, und das macht mich schon auch stolz. Noah Beyer hat sich noch einmal deutlich weiterentwickelt, Felix Klingler hat einen Riesen-Sprung gemacht, genauso wie Tim Rozman. Größten Respekt habe ich außerdem vor Jonas Ellwanger, der trotz seiner schweren Verletzungen immer wieder zurückgekommen ist und sein enormes Spielverständnis noch etwas weiterentwickelt hat.“
Was fehlt dem Tusem, um wieder um den Aufstieg mitspielen zu können?
„In Bezug auf die Breite des Kaders sehe ich Nachholbedarf. Wenige Spieler tragen sehr viel Last und müssen unglaublich viele Spielminuten sammeln. Da fehlt im Rückraum auf jeden Fall noch ein gleichwertiger Spieler, der diese Last mit abfedern kann. Und auch die Fernwurfqualität ist nicht auf dem Niveau, das wir für die oberen Plätze bräuchten.“
Was hätten Sie gerne anders gemacht?
„Wir hätten vor der Saison in der Kaderplanung einige Dinge anders machen müssen. Den Verlust von Tim Zechel haben wir nicht eins-zu-eins auffangen können und wir mussten mit dem dünnen Kader sehr viel rotieren. Das ging dann zu Lasten der Qualität auf einigen Positionen. Wir hätten in der Planung auch einiges variabler gestalten müssen, teilweise war es sehr zäh und schwierig, von Abwehr auf Angriff zu wechseln. Aber einige Ideen, die wir hatten, sind auch an der finanziellen Situation gescheitert.“
Die Selbstreflexion hat viel Zeit gekostet
Wie belastend war diese Saison für Sie persönlich?
„Innerhalb der Saison gab es einige Phasen, die sehr anstrengend waren. Vor allem die Selbstreflexion hat viel Zeit gekostet, weil es immer wieder um die gleiche Frage ging: Wie verbessern wir unsere Abschlüsse? Auch die Niederlagenserie im November war sehr kräfteraubend und es war mühsam, die Mannschaft beim Glauben zu halten. Aber ich muss dem Verein zugute halten, dass er immer versucht hat, den Druck von uns wegzuhalten. Dass Fans meckern, gehört dazu. Aber teilweise gab es auch sehr unsensible Äußerungen, die mit unseren jungen Spielern natürlich etwas machen. Aber klar, zu unserem Sport gehört es auch dazu, so etwas auszublenden und zu ignorieren.“
Was konnten Sie aus dieser Zeit und diesen Phasen lernen?
„Vor allem die Phase im November hat auch mir sehr viel Laune gekostet, was ich auch mit nach Hause genommen habe. Da habe ich viel Hilfe von Co-Trainer Michael Hegemann bekommen. Aber solche Situationen werden immer wieder kommen. Wichtig ist nur die Erkenntnis, dass man mit viel harter Arbeit aus jeder schwierigen Phase wieder herauskommen kann. Das haben die Jungs bewiesen.“
Sie haben den Tusem nach dem Aufstieg in die 1. Bundesliga übernommen, vorher hatten Sie noch keine Profi-Mannschaft im Seniorenbereich trainiert. Was nehmen Sie generell aus der Zeit in Essen mit?
„Ich hatte das Glück einen wirklich tollen Verein kennenzulernen. Daher werde ich mit viel Wehmut gehen. Die Mannschaft ist charakterlich einwandfrei und dass es so viele Kumpel gibt, ist auf diesem Niveau nicht Usus. Ich wusste damals nicht, ob ich für diese Aufgabe gut genug sein würde. Die Erfolgserlebnisse haben mir viel Selbstwert gegeben. und ich brauche mich nicht zu verstecken. Ich bin sehr dankbar dafür, dass der Verein mir als jungem Novizen die Chance gegeben hat, sich auf diesem Niveau beweisen zu dürfen.“
Auch wenn es am Ende nicht zum Klassenerhalt gereicht hat, durften Sie mit dem Tusem ein Jahr in der 1. Bundesliga spielen. Was war Ihr Höhepunkt in den letzten beiden Jahren?
„Für mich war es das erste Heimspiel, bei dem erstmals nach Corona wieder Fans zugelassen waren. Das war gegen die Rhein-Neckar Löwen. Obwohl wir einige Fehlwürfe und verloren hatten, haben uns die Fans lange Applaus gespendet. Das war sehr prägend. Natürlich macht einen jeder Erfolg am glücklichsten, aber auch das Feedback einiger Spieler zu meiner Person hat mich immer wieder glücklich gemacht.“
Andere Art der Arbeit beim Bergischen HC
Nun machen Sie den nächsten Schritt in Ihrer Profilaufbahn als Trainer und wechseln zum Erstligisten Bergischer HC. Was wird sich nun für Sie ändern?
„Ich freue mich sehr darauf. Es ist eine andere Art der Arbeit, auch weil die Stärken und Strukturen innerhalb einer Mannschaft nun anders verteilt sein werden. Es ist nicht meine erste Aufgabe jeden einzelnen Spieler besser zu machen, da geht es um andere Dinge, die die gesamte Mannschaft betreffen. Der BHC ist ein sehr gut geführter Verein, bei dem man nicht von Beginn an auf dem Schleudersitz ist. Für mich war es auch ein großer Beweggrund dorthin zu gehen, weil es nah an meiner Heimat ist.“
Was werden Sie am Tusem und an Essen vermissen?
„Die Mannschaft natürlich. Aber der Tusem hat auch viele tolle Mitarbeiter und in der Halle hat man einen großartigen Support der Fans gespürt. Sportlich war es eine Super-Zeit, aber für mich war das Wichtigste aber, dass es auch menschlich passt. Und das ist beim Tusem exorbitant gut. Die Margarethenhöhe ist ein tolles Viertel und werde ich natürlich auch vermissen. Aber die Freundschaft zu Michael Hegemann und Betreuer Christoph Höwing bleibt bestehen und deswegen werde ich auch hin und wieder mal zu einem Heimspiel des Tusem vorbeikommen. Und dann vielleicht Hege von der Tribüne aus beschimpfen (lacht).“
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