Dortmund. Unser Laufblogger steckt zwischen Alltagsstress und Trainingsplan. Ohne eisernen Willen und Selbstdisziplin läuft nichts. Gibt's dafür eine Pille?

Es ist ein Kreuz mit dieser Lauferei. Nein, ich will nicht jammern. Es zwingt mich ja niemand, an Volksläufen oder großen Marathons teilzunehmen, nach Trainingsplänen zu suchen, mich manisch um dieses Hobby zu kümmern, das inzwischen viel mehr als ein Hobby ist. Mir macht es ja auch Spaß, bei Wettkämpfen zu starten. Am vergangenen Wochenende lief ich beim Castrop-Rauxeler Charitylauf, einer sehr familiären Veranstaltung auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Erin.

Läufe wie der kleine in Castrop - über die zehn Kilometer waren nur 69 Männer am Start, ich wurde 30. - sind eine der positiven Seiten eines Trainigsplans. Denn Altmeister und Trainingsplan-Guru Herbert Steffny baut in seine Pläne Testrennen ein, die als kleine Leistungschecks dienen, als Stadortbestimmung, ob sich der Novize "im Plan" befindet. Das Dumme dabei: Ich bin nie im Plan. Ich glaube, ich habe es noch nie geschafft, ein Steffny-Testrennen in der vom Plan vorgeschriebenen Zeit zu absolvieren.

Die gelaufenen Zeiten schönreden

Den Castroper Lauf wollte ich in 48 Minuten laufen. Am Ende waren es 49:17 Minuten, allerdings erwies sich die Strecke im Nachhinein auch als rund 400 Meter zu kurz. Für den 6. September hat Steffny eine Halbmarathon-Zeit von 1:46 Stunden eingeplant. Ich kann schon jetzt versprechen, dass es keine Zeit unter 1:50 sein wird, die ich beim Halbmarathon in Bochum laufen werde. Zwar gelingt es mir immer wieder, mir die Zeiten schönzureden ("der Hügel hat Kraft gekostet", "die Strecke war voll", "es war zu heiß"), aber Fakt ist: Ich hinke den Plan-Zeiten notorisch hinterher.

Warum ist das so? Ganz einfach: Ich bin faul und habe keine Selbstdisziplin. Ich habe meinen Trainingsplan so modifiziert, dass er mehr Intervall-Einheiten beinhaltet als von Steffny vorgesehen. Intervalle sind nicht so zeitraubend und lassen sich besser mit dem Berufsalltag verbinden. Aber sie kosten Überwindung. Da es in der Vorwoche hervorragend mit einer Intervalleinheit über 3 mal 2000 Meter geklappt hatte, sah mein modifizierter Plan nun 3 mal 3000 Meter bei einer Pace von unter 5 Minuten vor. Eigentlich machbar, sagte mein Körpergefühl.

Mit vollem Bauch zum Intervall-Training

Doch dann kam der Hunger und die gefühlte Verpflichtung, mich der Reste des Abendessens vom Vortag anzunehmen. Es gab zum Mittag also Hühnerfrikassee mit Reis und so aß ich mich sehenden Auges ins Verderben. Zu allem Überfluss ploppte dann auch noch die Frage, ob ich ein Eis wolle, auf dem Handy auf. Da ich bei Essen grundsätzlich und bei Eis im Speziellen nicht "nein" sagen kann, war die Sache mit dem Intervall-Training so gut wie gelaufen.

Einen Rettungsanker hatte ich aber noch. Die große Tochter wollte mich bei meinen Runden um den Phoenixsee auf Inlinern begleiten. Also radelten wir zum See. Schon beim Einlaufen spürte ich, wie Frikassee und Eis in meinem Magen rumpelten. Ich ließ mir nichts anmerken und startete zu Intervall Nummer Eins, den ich sogar in der geplanten Pace bewältigte. Nach der kurzen Erholungspause zwang ich mich auf die nächste Runde. Nach gut anderthalb Kilometern war Schluss. Ich ging und joggte, lief wieder an. Doch es hatte keinen Sinn - Abbruch. Betrübt und verärgert über meine Disziplinlosigkeit walkte ich zum Fahrrad zurück. Angeblich kann man im Training weder gewinnen noch verlieren. Aber eine abgebrochene Einheit fühlt sich dennoch an wie eine Niederlage.

Mehr Selbstdisziplin!

Habe ich etwas aus dem Intervall-Desaster gelernt? Ich hoffe es doch. Schon in der vergangenen Woche habe ich mich darauf besonnen, mich vernünftiger zu ernähren. Weniger bis keinen Alkohol, morgens Müsli. Vielleicht sollte ich auch mal wieder Ackerschachelhalm zu mir nehmen. Das Zeug schmeckt widerlich, wird aber als Wundermittel für die Sehnen angepriesen. Oder ich probiere mal Aminosäuren, die sollen ja gut für die Muskeln sein. In den vergangenen Jahren habe ich ja doch das eine oder andere legale Mittelchen, also etwa Enzyme, Kieselerde oder L-Carnitin, zugefüttert und mich immer ganz wohl dabei gefühlt.

Ich fürchte allerdings, dass es keine Pille gibt, die es schafft, dass ich an einem Eis vorbeigehen kann oder vor einem Intervall-Training etwas Passendes esse. Der Alltag ist einfach widrig und ich ich gebe mich diesen Widrigkeiten allzu gerne hin, stellen sie doch immer wieder eine perfekte Ausrede dar. Die Kantine bietet nun mal kein Mittagessen für Marathon-Trainierer. Zum Stadionbesuch gehören Bratwurst und Bier, auf der Arbeit lauert immer ein Geburtstagskind mit einem vollen Kuchentablett. Es ist so verführerisch leicht, die Schuld nicht bei sich selbst zu suchen.

In Wahrheit liegt es natürlich doch an mir. Jetzt ist es noch ein Monat bis Berlin. Meine langen Läufe an den Wochenenden habe ich bisher immer brav absolviert. Konditionell dürften die 42 Kilometer zu schaffen sein. Aber ich will ja Spaß haben und mich nicht über die Strecke quälen wie beim Vivawest-Marathon. Ich will unter vier Stunden laufen - da ist Berlin doch wie gemacht. Also: Zähne zusammenbeißen, Schuhe an und los! Kilometer fressen, kein Hühnerfrikassee!