Dortmund. Christine Finke will den sportlichen Wettkampf beenden, wegen der vielen frustrierten Kinder. Unser Laufblogger stimmt zu - und widerspricht.
Ist es mutig oder populistisch, wenn jemand die Abschaffung der Bundesjugendspiele fordert? Vermutlich beides. Denn für eine Hälfte der Schüler sind die Spiele ein alljährliches Sportfest, für die andere Hälfte eine Qual. Beides kann ich nachvollziehen, da ich bei Bundesjugendspielen leistungsmäßig immer zwischen den Stühlen saß. Es gab Disziplinen, die mir lagen und solche, die ich hasste.
Nun hat sich Chrstine Finke aus Konstanz in den Ring begeben und per Online-Petition den Kampf gegen die Institution Sportfest aufgenommen. Stand Donnerstag, 25. Juni, 14.30 Uhr, haben 6.278 Menschen die Petition digital unterschrieben. In ihrem Blog "Mama arbeitet" erklärt Finke, was sie an den Bundesjugendspielen stört.
Mathearbeiten abschaffen!
"Ich tue das für all die Kinder, die jedes Jahr am Abend vor den Bundesjugendspielen Bauchschmerzen haben, für jene, die während der Wettkämpfe am liebsten im Boden versinken würden, und für alle, die hinterher beim Verteilen der Urkunden am liebsten in Tränen ausbrechen würden", schreibt Finke dort. So kritisch ich der Institution der Bundesjugendspiele auch gegenüber stehe - mit dieser Begründung könnte ich auch eine Abschaffung von Mathearbeiten fordern.
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Klar, Mathe ist ein Pflichtfach, das wir alle irgendwann im Leben noch dringend brauchen, während Sport natürlich eine zu vernachlässigende Nebensache ist. Echt? Nein! Ich kenne unzählige Menschen, für die Treppensteigen schon Sport ist, die nicht willens oder fähig sind, statt einer Rolltreppe mal die Stufen zu nehmen, um vom Erd- ins Untergeschoss zu gelangen. Diesen Menschen hätte ein vernünftiger Sportunterricht sicherlich mehr geholfen als Kurvendiskussion, Vektor- und Integralrechnung. Und wenn es einen vernünftigen Sportunterricht gäbe, dann bräuchten wir auch nicht über die Abschaffung der Bundesjugendspiele zu diskutieren.
Sport lebt von Siegen und Niederlagen
"Sport sollte Spaß machen und ein positives Körpergefühl vermitteln. Aber die Bundesjugendspiele leben von Wertung: Aufwertung und Abwertung einzelner auf Kosten anderer", schreibt Finke weiter. Auch da möchte ich mein Veto einlegen. Sport lebt vom Wettkampf. Vom Wettkampf gegen andere, gegen die Uhr oder sich selbst. "Oft ist das Lehrpersonal auch noch so unsensibel, die Unterschiede zwischen den Kindern besonders herauszustellen bei der anschließenden Vergabe der Urkunden in der Klasse. Bei einem Wettkampf gehöre es dazu, heißt es dann", klagt Finke. Ja, Niederlagen gehören zum Leben dazu. Siege aber auch.
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Damit wir uns richtig verstehen: Ich bin kein Freund von Menschen, die mit ihren Leistungen prahlen und mit dem Finger auf andere zeigen, die es nicht geschafft haben. Ich bin aber, spätestens seit ich laufe, ein Freund davon, stolz auf das zu sein, was man erreicht hat. Auf längere Läufe, bessere Zeiten, ein besseres Körpergefühl, verringertes Gewicht. Laufen ist ein täglicher Wettkampf und nach fast jedem Lauf habe ich Grund, mich über einen Sieg zu freuen. Sei es, dass ich stolz darauf bin, mich durch ekelige, feucht-warme Luft gequält zu haben oder weil ich wirklich eine sportliche Leistung erbracht habe. In jedem Fall habe ich das Gefühl, etwas geleistet zu haben.
Natürlich soll Sport Spaß machen. Wenn er das nicht tut, sind aber nicht die Wettkämpfe schuld, sondern der Weg dorthin. Der Weg zu den Bundesjugendspielen führt über den Sportunterricht. Und der ist, naja, wie soll ich sagen? Suboptimal?
Ohne vernünftigen Sportunterricht läuft nichts - und niemand
Aus eigener Anschauung an meinem Kind, das gerade die fünfte Klasse hinter sich gebracht hat, kann ich sagen, dass Sportunterricht an Schulen jeder Beschreibung spottet - wenn es ihn überhaupt gibt. Im vierten Schuljahr hatte meine Tochter in der Woche eine Stunde Sport und zwei Stunden Schwimmen. Im fünften Schuljahr gab es überhaupt keinen Sportunterricht, sondern nur schwimmen. Natürlich nahmen die Klassen dennoch an den Bundesjugendspielen teil.
Wer Kinder nicht im Rahmen eines spannenden Sportunterrichts den nötigen Spaß an der Bewegung vermittelt, darf sich nicht wundern, wenn Bundesjugendspiele Angst und Schrecken verbreiten. Denn dann ist das Sportfest lediglich ein Fest für diejenigen, die sowieso sportlich sind oder in der Freizeit im Sportverein trainieren. Das ist ungefähr so, als müssten Kinder in einem Orchester spielen, die noch nie ein Musikinstrument in der Hand gehalten haben. Unter dieser Voraussetzung fordere ich auch: Abschaffen!
Freude vermitteln, Versagensängste nehmen
Aber es ist doch möglich, Freude am Sport zu vermitteln, ohne Versagensängste zu wecken. Allerdings erinnere ich mich auch ungern an den Sportunterricht, den ich in meiner Schulzeit genießen durfte. Basketball wurde uns von einer 1,49 Meter großen Lehrerin beigebracht. Bei einem ihrer männlichen Kollegen fühlten wir uns an Wehrsport erinnert. Sportunterricht war das Erlernen von bloßen Techniken. Aber warum müssen Kinder einen Korbleger lernen, die nicht in der Lage sind, fünf Meter geradeaus zu laufen? Sollten die nicht zunächst einmal Grundlagen der Körperbeherrschung lernen?
Laufen hieß bei uns rennen. Den Unterschied zwischen aerobem und anaerobem Stoffwechsel lernten wir im Bio-LK. Ich glaube, wir haben keine einzige Sportstunde damit verbracht, unsere Grundlagenausdauer zu trainieren, also gemütlich im aeroben Bereich zu laufen. Charles Darwin hätte seine pure Freude an unserem Sportunterricht gehabt.
Erst im Februar hat das NRW-Schulministerium per Erlass geregelt, dass Sportlehrer eine entsprechende Qualifikation, etwa eine Trainerlizenz, vorweisen müssen. Da war ich aber ganz schön schockiert, als ich las, dass das bis dato offenbar nicht der Fall war! Ich war so naiv, zu glauben, Sportlehrer wären tatsächlich Sportlehrer...
Ein Blick zurück in die Kindheit: So waren Bundesjugendspiele
Das Sportfest war für mich immer ein Highlight im Schuljahr. Der Unterricht fiel aus, das Wetter war meistens passabel - da gab es schlimmere Vorstellungen als die, einen Tag auf einem Sportplatz zu verbingen. Ich mochte Sport ja grundsätzlich, am TV und auch im echten Leben. Auch Leichtathletik fand ich immer spannend, insbesondere die Sprung- und Laufdisziplinen. Werfen hingegen war nie wirklich mein Ding. Doch bei den Bundesjugendspielen waren alle Talente, auch die nichtvorhandenen, gefordert.
Seltsam fand ich schon als Kind, dass eine nur wenige Wochen dauernde Vorbereitung - so es sie denn überhaupt gab - genügen sollte, so komplexe Disziplinen wie Weitsprung zu erlernen und zur Wettkampfreife zu bringen. Machen wir uns nichts vor: Viele, viele meiner Klassenkameradinnen und -kameraden plumpsten in die Sprunggrube, als wären sie auf der Suche nach ihren Förmchen. Nach Sport sah das nicht aus. Ich konnte zum Glück ganz gut weitspringen. Laufen ging noch so, wobei sich schon in der Grundschule herausstellte, dass Sprints nicht so ganz meine Welt sind und ich eher ein Kandidat für die Langstrecke bin. Die gab es aber im Unterricht und bei den Bundesjugendspielen nicht - so stand ich auf der Aschenbahn als Loser da.
Den Wettkampftag gemütlich ausklingen lassen
Ich begann also die Bundesjugendspiele regelmäßig mit dem Weitsprung, in dem eine Siegerurkunde zumindest im Bereich des Möglichen lag. Anschließend ging ich zum Werfen, was bei mir eher ein Fallenlassen war. Danach ließ ich den Wettkampftag gemütlich beim 50-Meter-Sprint ausklingen und genoss fortan das schöne Wetter. Manchmal drehte ich danach noch ein paar Runden auf der Bahn - natürlich ohne Wertung.
Nun waren die Zeiten damals offenbar noch andere. Bei mir in der Klasse wurden die Gewinner von Sieger- oder Ehrenurkunden beklatscht. Die Loser, also auch irgendwie ich, wurden nicht ausgelacht. Das Verrückte an der Sache ist ja, dass ich überhaupt nicht unsportlich war. Ich habe jede freie Minute zum Fußballspielen genutzt. In jeder 20-Minute-Pause haben wir auf dem Schulhof gekickt wie verrückt. Lag die Pause vor einer Sportstunde, kamen wir oft schon schweißgebadet in die Halle.
Die Spiele als Highlight für alle, die Spaß daran haben
Irgendetwas stimmt also nicht am System Bundesjugendspiele/Sportunterricht. Meiner Meinung nach ist es die Vorbereitung, die ehrlich gesagt keine ist. Christine Finke fordert in ihrer Petition, die Spiele entweder abzuschaffen oder freiwillig zu machen. Das wäre mir wiederum zu einfach. Ich denke viel mehr, die Spiele könnten ein echtes Highlight für alle Kinder sein, wenn der Sportunterricht entsprechend gestaltet wäre. In vielen Fächern gibt es an der weiterführenden Schule Grund- und Erweiterungskurse. Warum gibt es die nicht im Sport? Bundesjugendspiele könnten dann zur Pflichtveranstaltung für die guten Sportler werden, während der Rest es dabei belässt, überhaupt erst einmal zu entdecken, wo sportliche Interessen oder Talente liegen könnten.
Darüber hinaus muss Sportunterricht einen Geist vermitteln, der den Schülern die Möglichkeit gibt, stolz auf ihre eigenen Leistungen zu sein und darüber vielleicht sogar Selbstbewusstsein für den Alltag zu tanken. Dazu müsste die Betreuung der Schüler natürlich individueller werden. Das kostet viel Geld, aber wie so viele andere würde sich auch diese Investition in unsere Kinder über kurz oder lang lohnen.