Essen. Noah Beyer und sein Essener Team sind in der Handball-Bundesliga noch nicht abgeschrieben – und sie wollen am Sonntag nachlegen.

Anfangs waren die aufmunternden Worte noch Seelen-Balsam, doch irgendwann kam der Zeitpunkt, als Noah Beyer genug hatte. Genug von den verbalen Schulterklopfern der Konkurrenz, genug vom noch immer wohlwollenden medialen Echo. Immer wieder wurde Tusem Essen ein starker Auftritt attestiert, doch positiv in der Tabelle der Handball-Bundesliga schlugen sich die Leistungen nur selten nieder. Noah Beyer und der Tusem wollten endlich wieder gewinnen statt nur gelobt zu werden.

Vergangenen Samstag gelang der ersehnte Erfolg gegen einen der deutlich höher platzierten Konkurrenten. Es war ein Sieg mit Signalwirkung: Der Aufsteiger kann weiter vom Verbleib in der Bundesliga träumen. „Wir haben das Ziel, nicht abzusteigen. Klar haben wir ein bisschen gebraucht, um in der Liga anzukommen. Aber jetzt sind wir da“, sagte Noah Beyer, 23 Jahre alt und mit 102 Toren erfolgreichster Schütze des Tusem.

Von der A-Jugend in die A-Klasse

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Als der Linksaußen und seine Teamkameraden als Aufsteiger mit dem jüngsten Team und dem kleinsten Etat in die Spielzeit starteten, glich diese einem einjährigen Ausflug mit datiertem Rückfahrticket. Bei vier Absteigern in dieser Corona-Ausnahmesaison glaubte kaum einer an eine realistische Chance, dass der dreimalige Deutsche Meister nicht sofort wieder den Weg in die seit Jahren angestammte Zweitklassigkeit gehen würde. Drei Siege gegen direkte Konkurrenten und der 27:20-Erfolg gegen den TVB Stuttgart vergangenen Samstag lassen die Welt aber wieder anders aussehen. „Ich predige seit 19 Spielen, dass wir irgendwann einen größeren Gegner schlagen werden“, sagte auch Tusem-Trainer Jamal Naji nach dem Sieg, den er als wahren „Befreiungsschlag“ wahrnahm.

Naji und der Tusem passen gut zusammen: Auch den Trainer hatte vor Saisonbeginn keiner auf der Rechnung. Vom Jugend-Koordinator bei Bayer Dormagen stieg der 34-Jährige zum Bundesligatrainer auf. Von der A-Jugend in die A-Klasse des Handballs, weil Aufstiegstrainer Jaron Siewert zu den Füchsen Berlin ging. Naji ist ähnlich taktikbesessen wie sein Vorgänger, lebt seinem Team mit positiver Ausstrahlung vor, nach Niederlagen nicht Trübsal zu blasen. „Es ist unglaublich: Auch nach einem enttäuschenden Wochenende komme ich zum Training und blicke wieder in hochmotivierte Gesichter“, hatte er einmal völlig begeistert nach einem der Siege erzählt. Doch auch Naji weiß: Der Erfolg gegen ein Mittelfeld-Team nützt wenig, wenn in Spielen gegen die anderen Kellerbewohner der Liga nicht nachgelegt wird.

Fast-Sensationen gegen Topklubs

„Wir haben gegen Stuttgart gewonnen. Da wollen wir gegen Nordhorn nicht verlieren“, sagt auch Noah Beyer. Die HSG Nordhorn-Lingen ist am Sonntag der nächste Gegner der Essener (16 Uhr/Sky), sie steht in der Tabelle nur einen Zähler vor dem Turn- und Sportverein Essen-Margarethenhöhe. Ein Sieg, und der Traum vom Klassenerhalt wird noch ein wenig realistischer. „Es ist möglich, dass wir es schaffen“, sagt Beyer. „Aber dafür müssen wir die Spiele gegen die direkte Konkurrenz auch gewinnen.“

Es gab sie, die Fast-Sensationen gegen die Füchse Berlin, gegen den SC Magdeburg oder den SC DHfK Leipzig. Spiele, die dann doch noch durch Fehler in den finalen Minuten oder Sekunden verloren gingen. Den Tusem zeichnet eine gute Abwehr und ein mutiges Angriffsspiel aus – aber auch der Hang zu technischen Fehlern, die die Essener häufig um den Ertrag bringen.

Doch statt Trübsal zu blasen, startet der Tusem in der Folgewoche einfach einen neuen Versuch. „Sich hängen lassen, ist schlecht“, sagt Beyer – und gibt weiter Vollgas. Mit seinen 102 Treffern liegt der gebürtige Dinslakener auf Rang zwölf der Torschützenliste. Zum Vergleich: Nationalmannschafts-Kapitän Uwe Gensheimer traf als Siebter 121 Mal, der Linksaußen der Rhein-Neckar Löwen hat aber drei Spiele mehr absolviert als der phasenweise verletzte Beyer. Der freut sich über seine Tore von der Außenbahn und dem Siebenmeterpunkt, sagt aber auch: „Wenn ich nur einen von sieben treffe und wir gewinnen, ist mir das viel lieber als 17 von 17 versenkten Bällen und eine Niederlage.“