Essen. Kaum Floskeln, keine Schwalben, Respekt auf und neben dem Platz. Die WM zeigt die schönen Seiten des Sports - mit einer Ausnahme. Eine Kolumne.

Handball ist, wer will daran zweifeln, ein mitreißender Sport. Bei der Weltmeisterschaft in Deutschland und Dänemark genießen wir gerade eine ganze Reihe von Top-Spielen auf allerhöchstem Niveau. Und bei solchen Turnieren werden einem auch besonders die Unterschiede zum Fußball verdeutlicht. Wie krass die sind!

Kaum Gemecker über den Schiedsrichter

Beim Handball müssen die Schiedsrichter im unübersichtlichen Gewühl auf engem Raum den Überblick behalten, und es ist erstaunlich, wie oft sie richtige Entscheidungen treffen, während sich viele Zuschauer erst mit Hilfe von Zeitlupen einen Durchblick verschaffen können. Und wenn die Schiedsrichter mal falsch liegen, dann wird allenfalls ganz kurz gemeckert und nur äußerst selten lange lamentiert.

Peter Müller
Peter Müller

Fans der Heimmannschaft empfinden es weder als Pflicht noch als Notwendigkeit, Spieler und Anhänger des Gegners auspfeifen, verunglimpfen, beleidigen zu müssen. Verträgliches Verhalten ist tatsächlich auch auf den Rängen möglich.

Respekt auf und neben dem Platz

Und wie respektvoll die Spieler miteinander umgehen. Sie rasseln im Eifer des Gefechts zusammen, könnten sich gegenseitig beschuldigen. Aber nein, sie helfen sich gegenseitig auf, ein kurzer Klaps – und weiter geht’s. Beim Spiel Deutschland gegen Frankreich geschah nach einem Foul eines Franzosen Unfassbares: Die Leute auf der französischen Bank erschraken – und entschuldigten sich bei dem gefoulten Deutschen.

Weit und breit keine Neymar-Schwalben

Trotz des enormen Körpereinsatzes wird beim Handball nicht lange geheult und gejammert. Spieler, die liegen bleiben, sind tatsächlich schwerer verletzt. Sind sie es nicht, rollen sie sich nicht ewig ab, sondern sie gehen kurz raus und lassen sich behandeln. Schauspielerei gehört nicht zum Repertoire. Haben wir beim Handball schon mal Schwalben gesehen? Es ist Weltmeisterschaft – und weit und breit kein Neymar zu entdecken.

Die ohnehin schwer beanspruchten Nationalspieler müssen zudem mehrmals an zwei aufeinander folgenden Tagen aufs Parkett. Kam uns je eine Klage zu Ohren? Aber wehe, der Fußballer muss donnerstags in der Europa League und sonntags in der Bundesliga spielen. Das Wort Doppelbelastung fällt dann garantiert in jeder Analyse.

Ehrliche Worte bei der Handball-WM

Überhaupt: Stichwort Analyse. Bei den Handballprofis hören wir, was sie denken, sehen wir, was sie fühlen. Auch direkt nach den Spielen. Weil sie es meistens geradeheraus sagen. Weil es ihnen offenbar wichtig ist, authentisch zu bleiben und sich nicht auf auswendig gelernte Floskeln zu beschränken. „Ich bin froh, dass ich der Mannschaft helfen kann“ – ein Phrasenfestival dieser Art erwartet uns ab sofort wieder in der Fußball-Bundesliga.

Eines aber gibt es doch, das auch der Handball vom Fußball lernen kann. Man muss sein Publikum nicht für einfältig halten. Man kann ihm durchaus zutrauen, dass es nicht ständig von einem leider nicht neu­tralen Hallensprecher animiert werden muss. Und dass es Pausen auch mal ohne diese unerträgliche Skihüttenmusik aushält.