Essen. . Der frühere Welthandballer Daniel Stephan aus Duisburg zieht erste WM-Bilanz: Großes Lob für Deutschland – aber Favorit ist Gastgeber Frankreich.
Bei Weltmeisterschaften hatte Daniel Stephan noch nie Glück. Der 42-Jährige war 2004 Europameister und Olympiazweiter. Doch wenn es für Deutschland zur WM ging, war der Welthandballer des Jahres 1998 immer verletzt und stets nur Zuschauer. Inzwischen ist der gebürtige Duisburger nicht mehr am Ball und verfolgt die WM deutlich entspannter.
Herr Stephan, für viele Handballfans in Deutschland ist es eine große Umstellung, die Spiele der deutschen Männer zu sehen, da sie ja nicht im Fernsehen, sondern nur im Internet übertragen werden. Wie lange haben Sie gebraucht, um sich daran zu gewöhnen?
Daniel Stephan: Nicht wirklich lange (lacht). Aber ich saß wie alle anderen auch beim ersten Spiel der Deutschen gegen Ungarn vor dem schwarzen Bildschirm. Ich habe auch vorher schon viele Spiele im Internet verfolgt, aber eine komplette WM-Übertragung im Netz ist dann doch Neuland. Und die ältere Generation hat damit sicherlich Schwierigkeiten. Eine optimale Lösung ist es nicht.
Wer hat Schuld daran? Der Rechteinhaber beInsport, der eine verschlüsselte Übertragung fordert? ARD und ZDF, die deshalb nicht extra einen neuen Satelliten in die Umlaufbahn schießen wollen? Oder der Weltverband IHF, der die Übertragungsrechte erst an das katarische Unternehmen verkaufte?
Stephan: Man kann jetzt nicht hingehen und einen Alleinschuldigen suchen. Da sitzen viele im Boot. Fakt ist: Die Probleme gibt es nur in Deutschland und sonst nirgendwo. Und das Problem gibt es ja bereits seit der WM 2015. Man hatte also zwei Jahre Zeit, es irgendwie zu lösen. Auch wenn da viel versucht wurde, sollte man doch denken, dass die Verantwortlichen innerhalb von zwei Jahren auf einen gemeinsamen Nenner kommen können. Das ist leider nicht geschehen und man muss ja froh sein, dass das Turnier immerhin im Internet läuft.
Wie sehen Sie denn bisher das spielerische Niveau bei diesem Turnier?
Stephan: Es ist gar nicht so schlecht. Klar, wie beim Fußball auch ist eine WM immer ein bisschen verwässert durch die vielen Mannschaften, die dabei sind. Spiele wie die von Deutschland gegen Chile und Saudi-Arabien waren teilweise langweilig, keine Frage. Aber andererseits sind es für diese Nationen auch Chancen, sich weiterzuentwickeln.
Wer hat Ihnen bisher gut gefallen?
Stephan: Frankreich gefällt mir sehr gut und ist im eigenen Land auch mein Favorit auf den Titel. Was die spielen, ist klasse und trotz seiner 40 Jahre ist Thierry Omeyer im Tor einfach sensationell. Norwegen gefällt mir auch ganz gut, Dänemark ist stark und natürlich auch Deutschland.
Dann bleiben wir doch gleich bei den Deutschen.
Stephan: Ich glaube, es ist realistisch, was sich die Mannschaft selbst als Ziel gesetzt hat: ins Halbfinale kommen und um die Medaillen mitspielen. Man kann von dieser Mannschaft aber nicht erwarten, dass sie jetzt bei jedem Großereignis eine Medaille holt. Die Jungs sind gut drauf, sie sind bis auf das Ungarn-Spiel aber auch noch nicht so richtig gefordert worden. Gegen Ungarn ging es nur um den Sieg, um am Ende Erster oder Zweiter der Gruppe zu werden. Dann geht es gegen Katar oder Ägypten, und das wäre nicht ein ganz so schweres Los im Achtelfinale.
Was haben die Spiele gegen Chile, Saudi-Arabien und am Mittwoch auch gegen Weißrussland für eine Aussagekraft?
Stephan: Was will man da bewerten? Da kann man nichts bewerten. Wenn man überhaupt etwas kritisieren könnte, wäre es die Chancenverwertung. Aber es ist natürlich schwer, die Konzentration hochzuhalten, wenn man wie gegen Chile und Saudi-Arabien mit zehn Toren führt. Die deutsche Mannschaft hat zwei hervorragende Torhüter und ist mannschaftlich so geschlossen, dass sie nur schwer auszurechnen ist. Holger Glandorf wird am Donnerstag noch dazustoßen. Kai Häfner macht seine Sache im Rückraum auch wirklich gut. Ich glaube, dass wir wirklich eine gute WM spielen werden. Eine Medaille ist aber nicht selbstverständlich.
Kommt Freitag der erste richtige Härtetest mit Kroatien?
Stephan: Das Ungarn-Spiel darf man nicht vergessen. Kroatien spielt mal so, mal so. Ich schätze sie eher nicht so stark wie in den vergangenen Jahren ein. Ich sehe das deutsche Team schon in der Favoritenrolle. Es hat diese Euphorie, diesen Hunger auf ein gutes Abschneiden und eine Medaille und es hat dieses Selbstvertrauen aus dem EM-Titel und Olympia-Bronze.
Einer steht im Mittelpunkt: Kapitän Uwe Gensheimer, dessen Vater kurz vor Turnierstart verstarb.
Stephan: Das ist natürlich eine sehr schwierige Situation. Aber Uwe Gensheimer macht das wirklich hervorragend. Er gibt keine Interviews. Er fokussiert sich voll auf das Handballspielen. Das hilft wahrscheinlich auch, die Trauer ein bisschen zu verstecken. Er ist einfach enorm wichtig. Nicht nur durch seine spielerische Klasse auf dem Feld, sondern auch einfach dadurch, dass er der Mannschaft Halt gibt. Bewundernswert, wie er mit dieser Situation umgeht.
Es wird das letzte Turnier unter Bundestrainer Dagur Sigurdsson sein. Spielt das in den Köpfen der Spieler derzeit wohl eine Rolle?
Stephan: Ich denke, dass die Jungs das nicht im Kopf haben. Die spielen weder für noch gegen den Trainer, sondern für Deutschland und um zu gewinnen. Natürlich braucht es dafür an der Seitenlinie auch einen guten Trainer. Ich finde es schon schade, dass Sigurdsson die Nationalmannschaft verlässt und nach Japan geht. Ich hätte gerne gesehen, wie sich der Weg dieses Teams unter ihm fortsetzt.
Juckt es bei Ihnen selbst noch manchmal in den Fingern, wenn Sie ein WM-Spiel sehen?
Stephan: Och, die Zeiten sind vorbei (lacht). Natürlich, man vermisst den Wettkampf ein bisschen, dieses Ringen um Sieg oder Niederlage. Aber da ist keine große Wehmut, ich gucke mir die Spiele gerne an und drücke den Jungs die Daumen.