Kamen/Rouen. Sigurdsson hat Deutschland zum Handball-Europameister gemacht. Nach der WM nimmt der Isländer Abschied. Aber wehmütige Parolen bleiben aus.

Wenn Dagur Sigurdsson auf seinen letzten großen Wettbewerb mit den deutschen Handballern angesprochen wird, tut er gern so, als würde ihn das nicht tangieren. Am Montag hat der Bundestrainer beim Test gegen Österreich (33:16) sein letztes Spiel auf deutschem Boden geleitet. Am Freitag startet er mit seinem Team in Rouen gegen Ungarn in die Weltmeisterschaft (17.45 Uhr/handball.dkb.de). Danach schlägt Sigurdsson als Nationaltrainer in Japan ein neues Kapitel auf.

Wehmütige Worte oder Parolen auf einen letzten großen Erfolg mit dem deutschen Team kommen ihm nicht über die Lippen, das heißt aber nicht, dass sie nicht doch in seinem Kopf umherschwirren. Wer den Welthandballtrainer des Jahres 2016 ein bisschen kennt, weiß, dass ihm vieles gar nicht so egal ist, wie er nach außen vorgibt. Es gehört vielmehr zu den größten Stärken des ehemaligen isländischen Nationalspielers, sich von seinen Gedanken nicht davontragen zu lassen. Diese Fähigkeit, den Fokus absolut im Moment zu behalten, hat einen großen Teil dazu beigetragen, dass der 43-Jährige den deutschen Handball anderthalb Jahre nach seinem Amtsantritt wieder ganz oben platziert hat.

Die Skeptiker sind verstummt

Nicht alle waren zunächst angetan von dem jungen Isländer, den Bob Hanning 2014 als Bundestrainer vorschlug, nachdem er ihn bereits 2009 zu seinem Klubtrainer bei den Füchsen Berlin gemacht hatte. Doch Hanning setzte sich durch. „Ich war von Anfang an überzeugt, dass Dagur der Richtige ist“, sagt er.

Durch Feinfühligkeit oder Diplomatie hat Sigurdsson in seiner Amtszeit nicht bestochen, gleiches gilt für Hanning, der aufgrund seiner stringenten Marschroute einige Kritik einstecken musste, seit er 2013 das Amt des DHB-Vizepräsidenten Leistungssport übernahm. Mit genau dieser Arbeitsweise haben die beiden Männer dem deutschen Handball allerdings einen großen Dienst erwiesen: Deutschland, das sich sportlich weder für die Olympischen Spiele 2012, die EM 2014 noch die WM 2015 qualifizierte, gehört nun als Europameister und Olympiadritter wieder zu den Favoriten auf einen WM-Titel. „Ich wusste, dass wir diese schwierige Umstrukturierung nur hinbekommen, wenn man fernab von Freundschaft Entscheidungen treffen kann“, sagt Hanning.

Sigursson und seine ungewöhnlichen Wege

Mit unpopulären Entscheidungen hat Sigurdsson kein Problem. Das bewies er bereits als Nationaltrainer in Österreich. Da setzte er mit David Szlezak den Kapitän der Mannschaft ab – und hatte Erfolg. Bei der EM 2016 ließ er Deutschlands bis dahin schillerndsten Handballer Silvio Heinevetter zu Hause – Deutschland holte den Titel. Auch bei dieser WM geht Sigurdsson wieder einen ungewöhnlichen Weg: Statt 16 nominiert er nur 15 Spieler, um im rechten Rückraum Platz für Holger Glandorf zu lassen. Der Weltmeister von 2007 hat beim Testspiel gegen Österreich eindrucksvoll bewiesen, dass er der richtige Joker sein kann, eine komplette WM würde er mit seinen 33 Jahren aber nicht durchhalten, weiß Sigurdsson.

Was ihm bei seiner Mission außerdem hilft, ist eine Eigenschaft, die andere vielleicht nicht so offen kommunizieren würden: Sigurdsson kann einfach nicht verlieren. Selbst als Profispieler kullerten ihm nach Niederlagen noch heiße Tränen über die Wangen, als Trainer gelingt es ihm inzwischen besser, seine Enttäuschung zu verbergen, seine eingefrorenen Mundwinkel und die zuckende Augenbraue verraten aber stets, dass da etwas in ihm schlummert.

Dieses Gefühl will der Isländer unbedingt vermeiden, also entwickelt er clevere Ideen, die ihn zu dem begnadeten Taktiker machen, der er ist. Ein bisschen profitierte Sigurdsson auch davon, dass er bislang keine großen Erwartungen zu erfüllen brauchte. Dieses Mal betont er, eine Platzierung unter den ersten Sechs würde ihn zufrieden stellen. Die Gedanken des Mannes, der selbst ein virtuelles Pokalregal für das Smartphone entworfen hat, damit er seine Trophäen stets bei sich tragen kann, gehen aber sicher in eine andere Richtung. „Ich hoffe, dass wir ihm mit dem Weltmeistertitel den Weg gen Osten bereiten können“, sagt Torhüter Andreas Wolff.