Rio de Janeiro. . Das Maracanã, gebaut als ein gigantisches Symbol der Demokratie, ist vom Volkstheater zum Ort der Eliten geworden. Die einst größte Arena der Welt ist nach dem Umbau durch die WM-Auflagen der Fifa nur noch ein gewöhnliches Fußball-Stadion – und seiner ganzen Magie beraubt.

Wenn das Maracanã eine Seele hat, dann muss sie vernarbt sein. Das Stadion hat in seinen 64 Jahren manch bitteren Moment erlebt, allen voran die sportliche Tragödie vom 16. Juli 1950: Damals verlor das große Brasilien gegen das kleine Uruguay das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft. Der „Maracanaço“ war geboren, der Schock von Maracanã, und die ganze Welt kannte plötzlich die gigantische Arena in Rio de Janeiro.

Lokalderby vor 194 603 Fans

Aber es gab auch glückliche Momente, etwa das 1000. Tor von Pelé am 19. November 1969, das er per Elfmeter in der Partie seines FC Santos gegen Vasco da Gama erzielte. Und dann natürlich die epischen Kräftemessen zwischen „Flu“ und „Fla“, den beiden beliebtesten Klubs in Rio. Am 15. Dezember 1963 zog die Partie Fluminense FC gegen CR Flamengo 194 603 Zuschauer an. Die überwältigende Mehrzahl von ihnen waren einfache Menschen, und die Weißen waren in der Minderheit.

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In diesen Jahren war das Estádio do Maracanã Volksbühne, Treffpunkt und Ausflugsziel der Massen. Manchmal ging man nur ins Stadion um des Stadions willen, unabhängig vom gerade gebotenen Spektakel. Manche Cariocas, wie die Einwohner Rios heißen, bezeichneten das Maracanã als ihr Zuhause. Jedenfalls sei die Arena „Ort der kulturellen und sozialen Reproduktion“ gewesen, sagt Christopher Gaffney, ein US-Amerikaner, der als Gastprofessor an der Universität Fluminense in Rio lehrt und vieles über das Stadion geschrieben hat.

1948, als Europa sich noch vom Zweiten Weltkrieg erholte, begannen 11 000 Arbeiter damit, diese Arena für das Volk zu bauen. Ein gigantisches Symbol der Demokratie sollte es werden. Die Tribüne war rund, damit jeder den gleichen Blick auf das Spielfeld hatte. Es gab einen Ober- und einen Unterrang, aber keine Blöcke. Jeder konnte stehen oder sitzen, wo er wollte. Wenn die Mannschaften die Seite wechselten, gingen die Fans einfach mit. Manche Karten waren so günstig, dass sie selbst für Bettler erschwinglich waren. Zur WM 1950 wurde das Stadion eröffnet.

Die Maracanã-Magie fehlt

Vor einigen Jahren aber ist die Seele des Maracanã tief gekränkt worden. Denn man hat dem Stadion dieses Besondere, dieses Einzigartige genommen. 2007 sprach der Fußball-Weltverband Brasilien die WM 2014 zu. Für den Fifa-Standard musste ein radikaler Umbau her, der im September 2010 begann. Nur die Hülle des denkmalgeschützten Gebäudes blieb.

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Wer in diesen WM-Tagen das Stadion besucht, dem fällt es schwer, die Maracanã-Magie nachzuempfinden. Im Fifa-Wunder- und Konsumland gibt es Fan-Shops von Fifa-Sponsoren, Getränke von Fifa-Sponsoren, Essen von Fifa-Sponsoren und für besonders betuchte Gäste die so genannten Hospitality-Areas. „Einkaufszentrum mit Rasen in der Mitte“, nennt das WM-Kritiker Gaffney spöttelnd. Viele Brasilianer können sich den Eintritt nicht mehr leisten. „Es ist ein Stadion für die bessere Gesellschaft“, sagt Gaffney.

Das neue Maracanã hat nur noch Platz für 78 838 Menschen. Und es könnte so auch an jedem anderen Ort der Welt stehen. Ein stinknormales, teures Stadion.