Sao Paulo. . Kurz vor dem Anpfiff der WM in Brasilien versammeln sich die höchsten Fußball-Funktionäre in Sao Paulo. Das Turnier am Zuckerhut spielt trotz mancher akuter Probleme aber nur eine Nebenrolle. Kernpunkt des Fifa-Kongresses ist der Machtkampf um den Präsidentenposten.
Mit seinem untrüglichen Gespür für Macht und Menschen hat Joseph Blatter unmittelbar vor dem brisanten Kongress in Sao Paulo seine Strategie geändert und Attacken gegen die "Feinde" der Fifa gefahren. Den bösen Kontrahenten sieht der allmächtige Boss des Fußball-Weltverbandes nach monatelangem Verbalscharmützel mit den internen Gegnern um Uefa-Boss Michel Platini oder DFB-Präsident Wolfgang Niersbach nicht mehr unter den eigenen Funktionärskollegen, sondern außerhalb der Fifa.
"Ich weiß nicht, was der Grund hinter all dem ist. Aber wir müssen jetzt zusammenstehen", rief der Schweizer den asiatischen Kollegen bei deren interner Sitzung vor der großen Vollversammlung im Transamerica Expo Center zu. Die afrikanischen Delegierten schwor er bei deren Planungsmeeting noch martialischer ein und prangerte direkt das "rassistische" Verhalten speziell der britischen Medien bei deren Berichterstattung über die umstrittene Katar-WM 2022 an.
Es geht um den Machterhalt
Sachthemen, wie die auf der Zielgerade stockende Demokratiereform und sogar das unmittelbar bevorstehende und keinesfalls problemfreie WM-Turnier am Zuckerhut, waren für den Schweizer vor Kongressbeginn mit einer Musikshow am späten Dienstagabend und dem formellen Sitzungsteil am Mittwoch sekundär. Jetzt geht es um den Machterhalt, und das Rezept ist simpel. Eine gute Portion Wir-Gefühl soll Grundlage für ein positives Votum bei der erwarteten Kandidaten-Proklamation für eine fünfte Blatter-Amtszeit sein.
"Wieder gibt es eine Art Sturm gegen die Fifa in Verbindung mit der Katar-WM. Leider gibt es eine große Portion Diskriminierung und Rassismus, und das tut mir weh", sagte Blatter. Die "Sunday Times" hatte bei ihren Enthüllungen zu angeblichen Bestechungen durch den Katarer Mohamed bin Hammam über Millionenzahlungen an Funktionäre aus Afrika und Asien berichtet.
Blatter: "Ich habe noch Feuer in mir"
Blatter bewies wieder einmal, dass er es versteht, der Funktionärs-Seele zu schmeicheln. Erst versprach er eine höhere Beteiligung für die Verbände aus dem WM-Gewinntopf. Dann stellte er fest: "Wir sind in einer Situation, in der wir Führung brauchen. Ich habe noch Feuer in mir", betonte der 78-Jährige.
Die Verbandsführungen aus Asien und Afrika hat Blatter hinter sich. Zum Knackpunkt wird das Verhalten der Europäer. Die haben sich längst gegen den Schweizer formiert und könnten mit ihren 53 Delegierten bei insgesamt 209 Mitgliedern eine Krönungsmesse spürbar stören. Wie groß das Schlupfloch in der Blatter-Wagenburg sein wird, ist eine der Unbekannten vor dem Kongress.
Erstmals seit 2002 - als Blatter am Vorabend der WM in Japan und Südkorea gegen Issa Hayatou um das Präsidentenamt stritt - wird ein Kongress wieder derart von der Machtfrage überlagert. Und das, obwohl die Präsidentschaftswahlen nach den Erfahrungen vor zwölf Jahren extra von den WM-Turnieren entkoppelt wurden und diesmal erst am 29. Mai 2015 stattfinden.
DFB-Chef Niersbach taktiert
Eher ein taktisches Manöver ist die Aussage von DFB-Chef Niersbach, der stellvertretend für die Anti-Blatter-Fraktion eine erneute Kandidatur des Schweizers infrage stellt. "Wir gehen solange davon aus, dass seine Aussage gilt, bis er offiziell eine erneute Kandidatur ankündigt. Ob er das jetzt beim Kongress in Sao Paulo machen wird, weiß ich nicht", sagte Niersbach und erinnerte somit pointiert an Blatters Ankündigung aus dem Jahr 2011, als dieser bereits letztmals für den Top-Job kandidieren wollte.
Diese Stars fehlen bei der WM
Der Machtkampf Blatter gegen Europa lähmt die Fifa in manchen wichtigen Themenfeldern. Dieses Problem wird sich wohl erst lösen, wenn geklärt ist, ob Uefa-Chef Michel Platini für den höchsten Fifa-Posten kandidieren will und falls ja, ob dem Franzosen dann der Umsturz in Zürich gelingt.
Zum Opfer fällt dem Disput womöglich die letzte Stufe der viel diskutierten Demokratiereform. Auch in Sao Paulo wird nicht endgültig entschieden, wie eine Amtszeitregulierung für Fifa-Funktionäre künftig konkret aussehen soll. Dieser Punkt war schon im Vorjahr auf Mauritius Auslöser heftiger Kontroversen und wird nun erneut bis zum kommenden Jahr verschoben.
Abstimmen werden die Delegierten wohl nur, ob sie generell für eine Begrenzung der Amtszeiten sind - dafür reicht eine einfache Mehrheit. Eine Statutenänderung mit dem wahrscheinlichen Modell von maximal drei Amtszeiten à vier Jahren benötigt eine Dreiviertelmehrheit, die ohne die Stimmen Europas nicht möglich ist. Als sicher gilt, dass die Delegierten schon jetzt ein Alterslimit ablehnen werden. Dies wird nicht nur von Blatter (78) als diskriminierend empfunden. (dpa)