Essen. DFB-Präsident Reinhard Grindel bricht sein Schweigen. Er sieht in der auch für ihn prekären Lage sieht er von verbalen Angriffen ab.
Reinhard Grindel ist nun nicht unbedingt das, was man öffentlichkeitsscheu nennt. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes – früher Journalist und Politiker – hat sehr wohl das Gespür für den Moment, hat die Rhetorik für einen wirkungsvollen Auftritt, hat ein Lächeln für die Kameras stets bereit. Aber derzeit ist das alles nicht zum Lächeln. Auch deshalb ist er abgetaucht. Zumindest sein Schweigen im Fall Özil brach der heftig in die Kritik geratene 56-Jährige am Donnerstag. Per Erklärung auf der verbandseigenen Internetseite. Kein Lächeln. Keine Nachfragen. Nur Zurückhaltung. Schließlich geht es um seinen Job.
Grindel: "Die persönliche Kritik hat mich getroffen"
„Das sportliche Abschneiden bei der WM hat vieles infrage gestellt. Natürlich stelle auch ich mir die Frage, was ich in dieser Zeit hätte besser machen können“, ließ Grindel in einer schriftlichen Stellungnahme vom DFB am Donnerstag verbreiten: „Ich gebe offen zu, dass mich die persönliche Kritik getroffen hat. Noch mehr tut es mir für meine Kollegen, die vielen Ehrenamtlichen an der Basis und die Mitarbeiter im DFB leid, im Zusammenhang mit Rassismus genannt zu werden. Für den Verband und auch für mich persönlich weise ich dies entschieden zurück.“
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Es sind die ersten Worte des Präsidenten in dieser auch für ihn prekären Lage, die ihren Anfang nahm mit einem Foto, auf dem Özil zusammen mit dem umstrittenen türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan posierte und das die deutsche Nationalmannschaft durch das sportliche Desaster bei der WM begleitete. Özil - geboren und aufgewachsen in Gelsenkirchen, Wurzeln in der Türkei - schwieg dazu. Und Grindel beging den Fehler, den Spieler nach dem Turnier öffentlich zu einer Erklärung zu drängen. Diese wurde eine Abrechnung. Özil warf vor allem Grindel am Sonntag Rassismus vor. Der 29-Jährige erinnerte daran, dass der Präsident gegen die doppelte Staatsbürgerschaft argumentierte, als er vor mehr als zehn Jahren noch Bundestagsabgeordneter der CDU war. Dass er Multikulti für ein nicht gerade tragfähiges Konstrukt hielt.
Der Druck auf Grindel war groß geworden
„Die Werte des DFB sind auch meine Werte. Vielfalt, Solidarität, Antidiskriminierung und Integration, das alles sind Werte und Überzeugungen, die mir sehr am Herzen liegen“, ließ Grindel wissen: „Ich habe in meiner Zeit beim DFB erleben dürfen, was der Fußball für die Integration leisten kann.“ Fehler räumt er indes auch ein. Er bedaure es sehr, dass das Foto von Özil mit Erdogan „für rassistische Parolen missbraucht wurde. Rückblickend hätte ich als Präsident unmissverständlich sagen sollen, was für mich als Person und für uns alle als Verband selbstverständlich ist: Jegliche Form rassistischer Anfeindungen ist unerträglich, nicht hinnehmbar und nicht tolerierbar.“
Der Druck auf Grindel war groß geworden in den vergangenen Tagen, der Gegenwind immer heftiger. Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandschef des Marktführers Bayern München, vermutet „Amateure“ an der Verbandsspitze. Harald Stenger, ehemaliger DFB-Pressechef, meint, Grindel sei der „schlechteste Präsident in den letzten 50 Jahren“. Und auch die Politik meldete sich am Donnerstag zu Wort. „Ich habe bis heute nicht verstanden, weshalb man beim DFB zugelassen hat, dass aus einer so unklugen Fotoaktion eine derartige Staatsaffäre gemacht wurde“, gab Wolfgang Schäuble, Bundestagspräsident und ebenfalls CDU-Mann, gegenüber den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland dem DFB die Schuld an der jüngsten Eskalationsstufe.
Grindel verzichtete in seiner Erklärung auf Einlassungen zu seiner Zukunft. Er entschied sich für Defensive, statt auch darauf hinzuweisen, dass das Bild, das Özil mit seiner dreiteiligen Tirade von Deutschland zeichnete, unvollständig ist. Darauf verweist Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) im Gespräch mit dieser Redaktion. „Die überwältigende Mehrheit der Sportvereine ist mitnichten integrationsfeindlich oder gar rassistisch, sondern ganz im Gegenteil ein großartiges Vorbild für Integration“, sagte Herrmann. „Es ist schade, dass in der aktuellen Rassismus-Debatte ein völlig schiefes Bild entstanden ist.“
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Der Verband steht vor den Scherben seines Krisenmanagements. Aber Grindel wird freiwillig seinen Stuhl nicht räumen. Die „laufende Debatte zum Thema Integration und den veränderten Resonanzboden für dieses Thema“ müsse man zum Anlass nehmen, „unsere Arbeit in diesem Bereich weiterzuentwickeln“.
Am 27. September wird die EM 2024 vergeben
Aber mindestens genauso wichtig ist ihm der Verweis auf das „große gemeinsame Ziel“, das der Verband ja nun habe. Es hängt mit einem Datum zusammen: 27. September. Dann nämlich wird darüber entschieden, ob das bis vor wenigen Wochen favorisierte Deutschland den Zuschlag für die Ausrichtung der EM 2024 erhält. Nun drohen die Probleme dem Mitbewerber in die Karten zu spielen. Der heißt: Türkei. „Das Turnier kann eine neue Geschichte des Fußballs erzählen, Kinder in die Vereine bringen, Menschen noch enger zusammenbringen“, so Grindel. „United by football“, schloss er. Vereint durch Fußball. Danach zu leben, ist im DFB gerade nicht so leicht.