Samara. Brasilien steht im Viertelfinale der Fußball-WM. Superstar Neymar erzielte beim 2:0 gegen Mexiko ein Tor und bereitete das zweite vor.
Eine knappe halbe Stunde war nach dem 2:0-Sieg Brasiliens gegen Mexiko in Samara vergangen, als der Hauptdarsteller des Nachmittags vor die Kamera trat. Oben ohne, nur mit einem ganzen Haufen von Tätowierungen und mit zwei Goldketten bedeckt, dankte Neymar zunächst artig seinen Komparsen: „Ich bin überglücklich, ein Teil dieser Gruppe zu sein“, sagte der Protagonist des Tages, der fast im Alleingang für Brasiliens Einzug ins Viertelfinale gesorgt hatte. „Es ist einfach toll, dass wir weiterhin bei dieser WM dabei sein dürfen.“
Doch statt der erhofften Komplimente für seine fußballerische Darbietung musste sich Neymar kritische Nachfragen gefallen lassen. Warum er der umstrittenste Spieler der Welt sei, wollte eine brasilianische Journalistin wissen. „Ich will diese Polemik nicht“, antwortete Neymar. „Ich bin Fußballer. Und nichts anderes.“
Neymars Paraderolle: der sterbende Schwan
Dass es ein ziemlich ungemütlicher Nachmittag werden könnte, deutete sich allerdings schon einige Stunden zuvor an. So kündigte das russische Ministerium für Notfallmaßnahmen via SMS an die Bevölkerung „ein Gewitter mit schweren Windböen“ über Samara an. Die Behörde riet: „Schließen Sie die Fenster, bleiben Sie weg von Bäumen und meiden Sie schlecht befestigte Strukturen.“ Und dann noch ein letzter wohlgemeinter Rat: „Seid vorsichtig."
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Nun, das angekündigte Unwetter blieb zwar aus. Doch das mit der Vorsicht nahmen sich die Brasilianer besonders zu Anfang des Spiels sehr zu Herzen. Die Mannschaft von Trainer Tite ließ sich vom aggressiven und mutigen Spiel der Mexikaner ungewohnt stark verunsichern. So brauchte man nur wenige Minuten zuzuschauen, um eine Ahnung davon zu bekommen, warum sich auch die deutsche Mannschaft bei ihrem WM-Auftakt so schwierig gegen die Mittelamerikaner tat. Besonders DFB-Schreck Hirving Lozano, der gegen das Löw-Team in Moskau den Treffer des Tages erzielt hatte, war auch am Ostufer der Wolga in Samara kaum zu bändigen.
Der fünfmalige Weltmeister brauchte exakt 25 Minuten, um dank eines ersten Geniestreiches Neymars ins Spiel zu finden. Sein Tänzchen mit anschießendem Gewaltschuss wollte Mexikos Torhüter Guillermo Ochoa zwar nicht belohnen. Doch das lange vermisste Zeichen zur brasilianischen Attacke war gesetzt.
Mexikos Rafael Marquez stellt Rekord für die Ewigkeit auf
Die gegen Deutschland so konterstarken Mexikaner wirkten von einen auf den anderen Moment so, als ob das vom Ministerium für Notfallmaßnahmen angekündigte Gewitter gerade über sie hereingebrochen war. Der einzige Vorwurf, den man der Seleção in der zweiten Hälfte der ersten Hälfte noch machen konnte, war, dass Neymar und Co keine der zahlreichen Chancen (Jesus/26., Coutinho/27., Jesus/33., Coutinho/34., Neymar/40.) nutzen konnte.
Mexikos kolumbianischer Trainer Carlos Osorio reagierte zur Pause und brachte für Methusalem-Profi Rafael Marquez (39) den neun Jahre jüngeren Miguel Layun. Und obwohl der Altherren-Fußballer durchaus seine Schwierigkeiten mit den immer stärker werdenden Brasilianern hatte, darf sich Marquez immerhin über einen Rekord für die Ewigkeit freuen: Der Oldie, der bereits vor der WM seine Vereinskarriere beendet hatte, ist nun der erste Fußballer, der sage und schreibe fünfmal in einem WM-Achtelfinale eingesetzt wurde – allerdings auch alle fünf Achtelfinals am Ende verlieren sollte.
Der Anfang vom Ende bei Mexikos insgesamt sogar siebten Achtelfinalaus in Folge sollte nur fünf Minuten nach Marquez‘ Auswechslung folgen. Einen Hackentrick Neymars nutzte der Hochgeschwindigkeitsfußballer Willian, um sich den Ball in Mexikos Strafraum zunächst selbst vorzulegen und ihn dann quer zu spielen, wo natürlich kein geringer als Neymar selbst schon wieder lauerte (51.). Viel brasilianischer hätte Brasilien das heißersehnte Führungstor nicht erzielen können.
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Und die Neymar-Show ging weiter, allerdings anders als erhofft. Denn der Torschütze überzeugte fortan nur noch in seiner eigentliche Paraderolle: die des sterbenden Schwans. So krümmte sich der 222-Millionen-Euro-Mann nach einem leichten Kontakt von Frankfurts erblondeten Carlos Salcedo Mitte der zweiten Hälfte minutenlang samt zahlreicher Pirouetten und schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rasen, ehe er dann doch plötzlich wieder wie ein junges Rehkitz über dem extra aus Deutschland importierten Rasen hüpfte. Eine Szene, die besonders Mexikos Trainer Osorio auf den Plan brachte: „Bei jeder noch so kleinen Berührung unterbrach der Schiedsrichter die Partie, was uns leider komplett aus dem Konzept gebracht hat. Es war tatsächlich eine Schande, was sich da ein einziger Spieler geleistet hat“, schimpfte der Kolumbianer, und legte sogar noch einmal nach: „Das ist ein Spiel für Männer und nicht für Clowns.“
Neymar zum "Man of the Match" gekürt
Ganz zum Schluss wurde dann aber doch noch einmal so etwas Ähnliches wie Fußball gespielt. Brasiliens „Clown“ zeigte kurz vor Schluss, dass er neben der Lust am Theater durchaus auch eine Begabung fürs Kicken hat. Sein 40-Meter-Sprint mit anschließender Butterweich-Hereingabe brauchte der Sekunden zuvor eingewechselte Firmino nur noch zum 2:0 über die Linie drücken.
Kurz danach war die Partie vorbei – und Neymar offiziell von der Fifa zum „Man of the Match“ ausgezeichnet. Ob für die beste fußballerische oder die beste schauspielerische Leistung blieb allerdings offen. Fortsetzung folgt im Viertelfinale am Freitag in Kasan.