Moskau. Messi und Ronaldo schauen nun aus der Ferne zu, wie sich andere Figuren in den Vordergrund spielen. Vor allem der 19-jährige Mbappé.

Kylian Mbappé gab gerade ein TV-Interview, als Antoine Griezmann euphorisiert dazwischenfunkte und jene drei Worte ins Mikrofon rief, die er für die Botschaft des Abends hielt. „Vive la France“ (es lebe Frankreich) schrie er, was nach dem Einzug ins WM-Viertelfinale durch das spektakuläre 4:3 gegen Argentinien eine gewisse Berechtigung hatte, vor allem aus Sicht Griezmanns und der Franzosen. Der Stürmer von Atlético Madrid konnte da noch nicht wissen, dass sich nach Argentiniens Lionel Messi später am Abend auch Cristiano Ronaldo aus dem Turnier verabschieden sollte, durch die 1:2-Niederlage Portugals gegen Uruguay im zweiten Achtelfinale.

Messi und Ronaldo, die prägenden Fußballer der vergangenen Dekade, schauen nun aus der Ferne zu, wie sich andere Figuren in den Vordergrund spielen. Vor allem Mbappé, der 19 Jahre alte Stürmer Frankreichs, der mit seinem überragenden Auftritt gegen Argentinien dem im Nationaltrikot wieder einmal ziemlich unscheinbaren Lionel Messi die Show sogar im direkten Duell gestohlen hatte.

Letzte WM für Messi und Ronaldo?

Über den Rücktritt des ungekrönten 31-Jährigen aus der Albiceleste wird nun erneut spekuliert. Zumindest könnte seine vierte auch die letzte WM gewesen sein. Ebenso wie für Portugals Ronaldo, 33, der seine Zukunft vorerst offenließ, nachdem er vor dem Turnier in Russland erklärt hatte, er würde, sofern es seine Fitness erlaube, „gerne spielen, bis ich 37, 41 oder 45 bin“. Letzteres wäre bei der WM 2030 der Fall, Mbappé wäre dann noch im ziemlich besten Fußballeralter von 31 Jahren.

Es könnte durchaus sein, dass das Publikum am Samstag Zeuge einer Zeitenwende bei den prägenden Figuren des Fußballs geworden ist, die plakativ als Superstars firmieren. Die langjährigen Kickerkönige Messi und Ronaldo sind Geschichte, vive le Mbappé (es lebe Mbappé), wenn man es so zuspitzen will. Neben dem von ihm erzwungenen Foulelfmeter waren dem Angreifer von Paris Saint-Germain gegen Argentinien zwei Tore gelungen, was ihm sogar den Vergleich mit einem anderen ganz Großen seiner Zunft einbrachte, der diese von den späten 50er- bis zu den frühen 70er-Jahren geprägt hatte. Edson Arantes do Nascimento hieß dieser, besser bekannt als Pelé. Bei der WM 1958 war diesem geglückt, was Mbappé nun erstmals seit 60 Jahren wiederholte: ein WM-Doppelpack eines Teenagers. „Pelé? Wirklich?“, fragte Mbappé erstaunt bis ehrfürchtig, als er davon erfuhr.

Parallelen zu Pelé lassen sich ziehen

Andere stuften die fußballhistorischen Taten des französischen Rechtsaußen weniger zurückhaltend ein. „Ich habe es schon vorher gesagt: Kylian Mbappé wird der nächste Weltstar des Fußballs“, befand Englands Legende Gary Lineker. Zumindest ein paar Parallelen zu Pelé lassen sich schon einmal ziehen. Wie dieser bei der WM 1958 in Schweden trägt Mbappé nun ebenfalls das Trikot mit der Rückennummer 10, die Pelé damals übrigens von der Fifa zugeteilt bekam, weil Brasiliens Verband diese Nummern für seine gesamte Mannschaft nicht angegeben hatte. Und wie Pelé kommt Mbappé vor allem wegen seiner enormen Geschwindigkeit, aber auch technischen Fähigkeiten wie ein Naturereignis daher.

Pelé war allerdings fast zwei Jahre jünger, als sein Stern in Schweden mit einem Hattrick, einem Doppelpack und insgesamt sechs Toren samt WM-Titel aufging. Das geriet für die damals noch nicht multimedial vernetzte Welt weitaus überraschender als nun bei Mbappé, der spätestens seit seinem Wechsel vom AS Monaco zu PSG für 180 Millionen Euro Ablöse im Sommer 2017 als aussichtsreichstes Talent der Branche betrachtet wird.

Die Bedeutung des Kollektivs nimmt zu

Bis zu Pelé, dem dreimaligen Weltmeister, ist es aber noch ein weiter Weg. Auch bis zu Messi und Ronaldo, den je fünfmaligen Weltfußballern. Doch langsam dürfte es für diese eng werden, ihren Sonderstatus zu wahren, wenngleich sich übergeordnet eher der Trend abzeichnet, dass die Bedeutung des Kollektivs zunimmt und die der alles überstrahlenden Einzelkönner sinkt. In den Vordergrund spielen kann man sich dennoch, und das ist neben Mbappé auch anderen gelungen.

Das gilt besonders für Englands Stürmer Harry Kane, 24, der die Liste der erfolgreichsten Schützen nach der Gruppenphase mit fünf Toren anführte, obwohl er nur zwei Spiele absolviert hatte. Im Achtelfinale gegen Kolumbien an diesem Dienstag in Moskau könnte er nachlegen. Das gilt auch für Belgiens Stürmer Romelu Lukaku, 25, der ebenfalls nur zwei Auftritte in der Gruppenphase benötigte, um vier Tore zu erzielen und an diesem Montag im Achtelfinale gegen Japan in Rostow seine Bilanz ausbauen möchte, sofern sein lädierter Knöchel hält. Brasiliens Neymar, 26, mit 222 Millionen Euro Ablöse derzeit teuerster Spieler der Geschichte, fiel vor dem Achtelfinale gegen Mexiko an diesem Montag in Samara dagegen bisher vor allem durch Theatralik auf. Sein Vereinskollege Mbappé hat ihm vorgemacht, wie man sportliche Schlagzeilen produziert. Und der Franzose findet, das Weltturnier sei „eine Gelegenheit zu zeigen, was man drauf hat und was für Fähigkeiten in einem stecken. Es gibt keine bessere Bühne als eine WM.“ Er hat sie schon genutzt.