Sotschi. Aus Sicht Uruguays ist der WM-Achtelfinal-Gegner Portugal ein fußballerischer Riese. Dabei gibt es auch einige Parallelen.
Ach, wie gut haben es doch die Portugiesen. „Sie haben viele Profis, die jedes Wochenende zusammenspielen, das hilft einer Nationalelf“, berichtet Uruguays Verteidiger Sebastián Coates. Das ist etwas romantisiert: in Wirklichkeit kicken nur sechs von 23 WM-Spielern in Portugals Liga. Was aber andererseits immer noch mehr sind als die zwei in Uruguay, die auch nur deshalb da sind, weil sie ihre Auslandskarriere schon hinter sich haben. Aus uruguayischer Sicht ist selbst Portugal ein Riese.
Heute begegnen sich beide Länder im WM-Achtelfinale von Sotschi (20 Uhr/ARD) zum ersten Mal in einem Pflichtspiel. Das erstaunliche Portugal mit seinen zehn Millionen Einwohnern, das seine stabile Präsenz in der Weltspitze vor zwei Jahren mit dem Europameistertitel krönte. Und das unerklärliche Uruguay, das mit gut drei Millionen Menschen zweimal Weltmeister wurde und fünfzehn Mal die Südamerikameisterschaft gewann, öfter als Argentinien (44 Mio. Einwohner), öfter als Brasilien (207 Mio.). Ein Uruguay, das in Luis Suárez und Edinson Cavani zwei der weltbesten Stürmer aufbietet und gleichzeitig als einziges WM-Team noch kein Gegentor kassiert hat.
Uruguays spezieller Kampfgeist
Wie das gehen kann, über Generationen in diesem kleinen Land – das ist eines der Grundgeheimnisse des Weltfußballs. „Man kann es nicht wissen“, sagt selbst einer, der es wissen müsste, Diego Forlán, WM-Torschützenkönig beim vierten Platz 2010 und mittlerweile TV-Experte. Natürlich, es gibt die Kickertradition eines Landes, das der Soziologe Eduardo Galeano mal als „Fußballplatz mit Häusern“ definierte. Es gibt die oft beschworene „garra charrúa“, diesen spezifischen Kampfgeist und Zusammenhalt, gestählt in der Nachbarschaft zu den beiden Giganten. Es gibt die soziale Realität, in der Fußball oft die einzige Aufstiegschance darstellt, wie bei Suárez, der schon als Elfjähriger parkende Autos bewachte oder Telefonkarten verkaufte, um sich die Busfahrten zum Training zu finanzieren. Aber so oder so ähnlich passiert das alles auch anderswo, und daher erlebte Uruguay vor der Jahrtausendwende eine lange Phase der Dekadenz, ehe unter Regie des heutigen Nationaltrainers Óscar Washington Tabárez ein nationales Leistungszentrum gegründet wurde, das aus der Not eine Tugend machte: wo das Land schon so klein ist, kann man wenigstens bereits im Nachwuchs alle interessanten Spieler wöchentlich an einem Ort zum Training zusammenziehen.
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Ausbildung und Trainingswissenschaft gehören auch zu den Erfolgsfaktoren Portugals. Insbesondere die Nachwuchsschule von Sporting Lissabon, die elf Akteure des 23ers-Kaders produzierte, gilt seit langem als eine der führenden des Kontinents. Aus ihr kommt etwa ein gewisser Cristiano Ronaldo, der aber vorher auch andere Erfahrungen machte, die sich denen von Suárez annähern – am Bolzplatz seines Armenviertels auf Madeira. Zu Portugals Eigenheiten gehört auch, dass es wie sonst kaum noch in Europa echte Straßenfußballer hat wie den irren Ricardo Quaresma, dessen Außenrist-Schnibbelschuss gegen den Iran nicht nur das einzige Tor Portugals war, das nicht Ronaldo erzielte. Sondern wohl das schönste der bisherigen WM.
Mehr als Ronaldo gegen Suarez
Es wird also noch mehr zu sehen geben bei diesem Achtelfinale als das Duell zwischen Ronaldo und Suárez, dem nicht zuletzt wegen der feurigen Charaktere besonders entgegengefiebert wird. Für sein Land geht Ronaldo über sonstige Grenzen und konvertiert gar zum selbstlosen Teamplayer. Anders geht es eben nicht für eine kleine Nation. In Uruguay wissen sie das schon immer. Die defensive Mithilfe von Suárez und Cavani ist vorbildlich, der Block steht fest und firm.
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Die Parallelen lassen sich fortführen. Beide Teams werden von Altmeistern trainiert, die sich problemlos den Zeiten anpassen. Tabárez, 71, „El Maestro“ – der Lehrer – coacht nach 1990, 2010 und 2014 bereits seine vierte WM und lässt sich nicht mal von einer Krankheit in die Knie zwingen, wegen der er mittlerweile auf Krücke agiert. Fernando Santos, 63, profilierte sich während seiner Zeit mit Griechenland als brillanter Stratege, ehe er sein Heimatland zur ersehnten Titelpremiere führte. Beide streben grundsätzlich einen gepflegten Passfußball an – so wie Santos 2016 hat Tabárez dafür 2018 einen Schwung junger, neuer Mittelfeldspieler parat. Aber beide haben auch kein Problem damit, notfalls auf robust und ultrapragmatisch umzustellen. Bei Uruguay entspricht das alter DNA, bei Portugal zumindest der aktuellen Generation. Wer so weit über der eigenen Gewichtsklasse boxt, der muss Stilfragen manchmal beiseite legen.