Frankfurt. Die ständigen Attacken setzen dem umstrittenen Spieler zu. Mesut Özil äußert sich und reagiert auch auf rassistische Attacken.
Es sollte niemanden wundern, wenn Mesut Özil in ein, zwei Monaten aus der deutschen Nationalmannschaft zurücktritt. Wenn der 29-Jährige seinem Geburtsland, in dem er sich als Kind oft so fühlte, als gehöre er nicht dazu, den Rücken kehrt. Dann wird das letzte Bild von diesem famosen Nationalspieler sein, der in 92 Länderspielen 23 Tore für Deutschland erzielte und 40 Treffer vorbereitete, wie er beim Verlassen des Stadioninnenraumes von Kasan mit einem deutschen Fan streitet. Wie er wütend die Augen aufreißt, gestikuliert und dann geschützt vom Bundestorwarttrainer Andreas Köpke und einem Bodyguard die Nationalelf-Bühne verlässt. Wohl für immer.
"Wir waren einfach nicht gut genug"
Dass er sich bei seiner Entscheidung - ähnlich wie sein Bundestrainer Joachim Löw - noch Zeit lassen werde, unterstrich er am Freitagabend mit einem Tweet. Auf Englisch meldete sich Özil erstmals seit dem WM-Aus zu Wort. In dem sozialen Netzwerk schreibt er, dass ihm das Aus bei der Weltmeisterschaft noch immer wehtue. "Wir waren einfach nicht gut genug", räumt der Profi vom FC Arsenal ein. Und ergänzt: "Ich werde einige Zeit brauchen, um das zu verarbeiten." Zur Erdogan-Affäre verliert er aber weiterhin kein Wort.
Auffällig auch: Der Gelsenkirchener benutzte den Hashtag #SayNoToRacism in seinem Tweet. In seinen Mitteilungen zuvor, die er während des Turniers in Russland auf Twitter, Facebook oder Instagram getätigt hat, hatte er keinen Bezug zu Rassismus und Antirassismus genommen.
Es gab unzählige Schmähungen bei Twitter, die Rassismus in sich trugen. Der Kampf gegen Özil wurde ausgerechnet dort besonders erbittert geführt, wo der Arsenal-Profi mit rund 70 Millionen Fans eigentlich der Beliebteste aus der deutschen Elf ist, in den sozialen Netzwerken.
Im Fokus seit der Erdogan-Affäre
Natürlich ist Mesut Özil Teil des kolossalen Niedergangs der deutschen Auswahl bei dieser WM. Er hat dazu beigetragen, als er sich gemeinsam mit Ilkay Gündogan vor dem Turnier mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan fotografieren ließ und so die Stimmung um das und im Team vergiftete, die allerdings schon davor nicht gut war.
Aber Özil ist nicht der Grund für das deutsche Vorrunden-Aus. Sportlich versagte er nicht. Beim 0:2 gegen Südkorea im letzten Gruppenspiel in Kasan kreierte er sieben Chancen, alle aus dem Spiel heraus. Keinem anderen Spieler ist das bisher in einem Turnierspiel in Russland gelungen. Doch Özils Vorlagen nutzten weder Timo Werner per Fuß, noch Mats Hummels per Kopf.
Özil hätte der Initiator der Wiederauferstehung werden können
Fußball ist ein einfacher Sport: Er wird immer vom Ende her erzählt. Hätten Werner oder Hummels getroffen, Özil wäre der Initiator der Wiederauferstehung gewesen. So ist er die Figur, an der sich allerhand Leute – einige aus politischen Motiven – abarbeiten. Stellvertretend dafür war ein Tweet des TV-Senders ProSieben am Mittwochabend: „Kleine Inspiration. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt für Mesut Özil und den ein oder anderen, aus der Nationalmannschaft zurückzutreten“, stand da.
Ob die Erdogan-Affäre verursacht von Özil und Gündogan ein Grund für das Ausscheiden gewesen sei, wurde Thomas Müller gefragt. Seine Antwort ließ zumindest den Schluss zu, dass das Politikum intern als erhebliches Problem wahrgenommen wurde: „Wenn du Weltmeister bist, stehst du unter Beobachtungen. Dann musst du dich mit vielen Dingen auseinandersetzen, die gar nichts mit Fußball zu tun haben“, sagte der Angreifer. „Es werden von außen auch Störfeuer gern genommen. Das wisst ihr Reporter so gut wie ich. Ihr springt ja auf den Zug auf. Dementsprechend haben alle auch ein bisschen ihren Fuß drin. Jetzt haben wir die Quittung bekommen.“
Noch am Donnerstag schwieg Özil eisern. Vor dem Rückflug der deutschen Mannschaft, stieg Antonio Rüdiger gemeinsam mit ihm in die Maschine nach Frankfurt ein. Einen besseren Bodyguard als den Verteidiger gibt es nicht. Als Bundestrainer Joachim Löw nach Özil gefragt wurde, antwortete er schmallippig: „Auch andere Spieler haben nicht das gezeigt, was sie können.“ Özil war nicht gut bei dieser WM, aber er war eher noch einer der Besseren unter schlechten Spielern.
Mesut Özil ist einer, der sich nicht zu viele Gedanken macht. Das unterscheidet ihn von Gündogan. Und dennoch steht dieser einfache Sohn türkischer Eltern, einer Putzfrau und eines Bergarbeiters, für den komplexen Konflikt um Integration in Deutschland. An Özil zerrten stets alle – gern aus unterschiedlichen Richtungen. Erst die Türken, die ihn für das Land seiner Eltern spielen sehen wollten und die ihn dann auspfiffen bei einem deutschen Länderspiel gegen die Türkei in Berlin. Özil, der Verräter.
Deutschland verlöre einen famosen Fußballer
Dann zerrten die Deutschen. Kanzlerin Angela Merkel ließ sich mit dem Oberkörper entblößten Özil in der Kabine fotografieren. Özil das Integrationsvorbild. Das war überzeichnet, weil Özil selbst sich nie so sah. Er lernte erst mit vier Jahren Deutsch. Reizfigur oder Posterboy, das hing oft vom Ende des Spieles ab – und von den politischen Rahmenbedingungen. Das erinnert an einen Satz, den der französische Stürmer mit algerischen Wurzeln, Karim Benzema einst sagte: „Wenn ich treffe, bin ich Franzose. Wenn nicht, bin ich Araber.“
Die Karriere des Mesut Özil in der Nationalelf ist auch eine deutsche Karriere im Zeitalter des Integrationskonflikts. Sie begann bei der WM 2010 mit Euphorie wie zum Start der Flüchtlingskrise 2015, als eine neue Willkommenskultur möglich erschien. Sie endet nun wohl mit einem tiefen Zerwürfnis.
In Özils Umfeld haben sie das Gefühl, dass alles verloren ist. Dass kein Interview und auch keine Erklärung von Özil noch reparieren könnte, was kaputt ging. Dass Özil zurücktreten wird, gilt daher als wahrscheinlich. Deutschland verlöre einen famosen Fußballer. Die Debatten um Integration aber bleibt dem Land so oder so erhalten. (mit meme und sat)