Kasan. 2014 waren sie noch Helden. Nun erlebten die Weltmeister wieder Historisches. Das Vorrunden-Aus in Kasan bedeutet eine Zäsur.
Der Ort, an dem Abschied genommen werden musste, ist kein sonderlich schöner. Kühles Licht illuminiert den Raum, durch den die Spieler raus aus dem Stadion in Kasan geschleust werden. Dort, wo die Decke weniger tief hängt, zieren sie große Glassteine. Wie Puzzlestücke, nur kantiger. Tiefrot. Oder ist es doch schwarz? Es ist der Ort, an dem etwas endet, das Geschichte hätte werden sollen. Und Geschichte geworden sind. Raus aus dem Turnier. Als Titelverteidiger. Als Gruppenletzter. Die Implosion eines Traums. Und das Ende einer Goldenen Generation.
Wer auch immer da aus der Kabine kam und dem Ausgang entgegenstrebte, tat es gebeugt. Das eisige Schweigen aus der Kabine brachen sie nur widerwillig. Sie versuchten es so gut es ging zu erhalten, in dem sie die Lautstärke dimmten. Manch ein Satz war aber auch so laut genug.
Nicht wie Deutschland gespielt
„In keinem der Spiele hat man gesehen, dass da eine deutsche Mannschaft auf dem Platz stand, vor der man Angst hat, vor der man Respekt hat, gegen sie zu spielen“, sagte Torwart Manuel Neuer (32), der wohl noch am ehesten aus der Generalkritik zu entlassen war. „Selbst wenn weitergekommen wären, hätte jeder gern gegen uns gespielt. Wie sollen wir einem Gegner gefährlich werden, wenn wir so eine Leistung abrufen?“ Eine Frage, auf die er keine Antwort wollte. „Die Bereitschaft, die wir hier an den Tag gelegt haben, habe ich so noch nicht gesehen.“ Neuer wird als der Kapitän dieser Mannschaft in die Geschichtsbücher des Deutschen Fußballs eingehen. Er ist ein Gesicht. Thomas Müller (28) ein anderes.
Bundestrainer Joachim Löw verzichtete erstmals in seiner Startformation bei einem WM-Spiel freiwillig auf den Münchner. Heldendämmerung? Mesut Özil (29) und Sami Khedira (31) mussten schon im Spiel zuvor gegen Schweden erfahren, dass sie alsbald verzichtbar sein könnten, dass ihr Status der Unverzichtbarkeit bröckelt. „Die Mannschaft ist am Boden zerstört“, sagt Müller. „Es ist peinlich, dass wir Gruppenletzter werden mit einem solchen Kader, mit solchen Ansprüchen.“
Was wird aus jenen Helden von 2014, die vier Jahre später am vollkommen anderen Ende der Gefühlsskala angekommen sind? Matt. Traurig. Nicht fähig, sich ausreichend zu wehren gegen die Widerstände eines Turniers. „Es ist grundsätzlich die falsche Entscheidung, sich eine halbe Stunde nach so einem Ereignis über die Zukunft Gedanken zu machen. Das muss jeder für sich machen, mit ein bisschen Abstand und rationalem Gedankengut“, sagt Müller: „Wir müssen diesen Schock erst einmal verarbeiten.“
Sami Khediras Worte klangen schon fast ein wenig nach Melancholie. „Die letzten Jahre waren sensationell“, blickt er zurück. „Dass man mal Schiffbruch erleidet, war zu erwarten.“ Aber das? Das ist die komplette Havarie. „Wir haben in der Vorbereitung die Kurve nicht bekommen. Wir haben schon erkannt, was die Probleme waren. Wir waren einfach zu offen und haben nicht als Team agiert auf dem Platz. Wir haben uns ein Stück weit darauf verlassen, dass es wieder so wird wie in den vergangenen Jahren.“ Selbstherrlichkeit nannte das Löw. „ich weiß nicht, ob das Selbstherrlichkeit ist. Aber jeder hat gesehen, dass das viel zu wenig war.“ Die Gegner seien giftiger gewesen, hungriger. Deutschland satt. „Wir Führungsspieler müssen dafür die Verantwortung übernehmen“, sagt Khedira.
Leblos. Wie kann das sein?
Merkwürdig tatenlos hatte die Mannschaft nun erneut gewirkt, hatte von dem positiven Erlebnis gegen Schweden so gut wie nichts zu transportieren vermocht. Eine Erklärung dafür sei „schwer“, sagt Toni Kroos (28), der anmutige Stratege, der aber körperlichen Kontakt bisweilen als Majestätsbeleidigung auffasst. Als leblos bezeichnete er die erste Halbzeit gegen Südkorea. Leblos. In einem entscheidenden Spiel ums Weiterkommen. Wie kann das sein? Was ist passiert? Warum hat diese talentierte Mannschaft nicht zeigen können, was sie eigentlich kann?
Fragen für die kommenden Tage, Wochen. „Irgendwas fehlt“, sagt Kroos. Ob sich die Goldene Generation nun zu großen Teilen verabschiedet? „Das weiß ich nicht. Es war in der Vergangenheit immer so, dass nach Turnieren der Zeitpunkt für Veränderungen gekommen ist. Wie groß diese sein werden, werden wir sehen.“ Ob er den Neuaufbau mit angeht? „darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht“, sagt er.
Es wird sich also alsbald weisen müssen, ob jene aus der Generation derer, die 2009 die U21-EM gewannen, es noch einmal wissen wollen oder ob sie es ertrügen, mit dieser außerdimensionalen Schmach abzutreten. Mats Hummels (29) hatte vor dem Turnier gesagt, dass er die EM 2020 auf jeden Fall noch mitnehmen wollen würde. „Ich kann nicht erklären, was falsch gelaufen ist“, sagte der Verteidiger vom FC Bayern München, der als mit Abstand bester Feldspieler das Aus auch nicht verhindern konnte.
„Ich hatte schon das Gefühl, füreinander kämpfen wollten.“ Klappte nur eben nicht. „Ich glaube, das letzte überzeugende Spiel, das wir abgeliefert haben, war im Herbst 2017. Das ist ein bisschen lange her“, raunte Hummels. Und auch er blickt noch ein bisschen wehmütig zurück. „Wir waren in den vergangenen Jahren immer eine der stärksten Nationalmannschaften der Welt.“ Waren.